rheinische ART
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rheinische ART 02/2011

 

Archiv 2011: aus "Kultur und Geschichte"

 

Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780–1867)
Napoleon I. im Krönungsornat auf dem Kaiserthron, 1806, Öl auf Leinwand, 260 x 163 cm
Musée de l'Armée, Paris, © Musée de l'Armée
 

Zwischen Faszination und Abscheu

 

MYTHOS

 

NAPOLEON

Der kleine, große Kaiser

 

In der grandiosen Ausstellung „Napoleon und Europa. Traum und Trauma“ beleuchtet die Bundeskunsthalle Bonn den Mythos und die Person Napoleon. Wie keine andere historische Figur hat der Kaiser der Franzosen die europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt – sowohl im Positiven wie im Negativen. In Bonn wird anhand hochrangiger Leihgaben europäischer Museen und Archive ein umfassendes Bild des Politikers und Feldherrn, seiner Propaganda und Selbstverherrlichung gezeigt und die kontinentale Dimension seiner Herrschaft verdeutlicht.

 

MAN KÖNNTE meinen, über den Imperator, der die politische Landkarte Europas nachhaltig veränderte und die Modernisierung des Kontinents forcierte, sei mittlerweile alles ausgiebig geschrieben, gezeigt oder gesagt worden. Offenbar nicht. Die Idee, Napoleon angemessen zu gedenken, stößt nach Ansicht der Bonner Kuratorin Bénédicte Savoy heutzutage auf ein gewisses Unbehagen – in Frankreich übrigens mehr als in anderen europäischen Ländern, wie betont wird. Seit 1969 hat es in Paris keine großangelegte historische Ausstellung zum Empire mehr gegeben. Das Rheinland, ab Herbst 1794 für gut 20 Jahre französisch, hat dagegen die historische Bedeutung der napoleonischen Herrschaft mit dieser Präsentation zum zweiten Mal aufgegriffen, nach der 2007 im Weseler Preußenmuseum gezeigten Schau „Napoleon, Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser“.


Die schillernde Figur des Napoleon Bonaparte


Die napoleonische Ära: sie wird gedanklich verbunden mit dem kometenhaften Aufstieg eines kleinen Leutnants zum mächtigsten Mann der Welt, mit glanzvollen Präsentationen, Prachtentfaltung allerorten, „Code Civil“ und einheitlicher Rechtsprechung – aber auch mit unermesslichem Elend und Leid, Tod, Kriegstreiberei, Unterdrückung und menschenverachtendem Militarismus. Die schillernde Figur des Napoleon Bonaparte (1769-1821) bringt der einflussreiche deutsch-österreichische Schriftsteller und Politiker Friedrich von Gentz schon 1814 auf die Formel: „Die Quelle aller großen Irrtümer und folglich aller großen Leiden unserer Zeit war, dass man Napoleon entweder für einen Halbgott oder für ein Ungeheuer oder allenfalls für beides zugleich hielt.“

 

Pierre Nolasque Bergeret (1782–1863), Einzug Kaiser Napoleons I. in Berlin, 1810
Feder, braune Tinte über Spuren von Bleistift, Paris, Fondation Napoléon
© Paris, Fondation Napoléon

Die Begriffe Traum und Trauma im Titel der Bonner Ausstellung verdeutlichen, wie gegensätzlich Napoleon und seine Herrschaftszeit gesehen werden. Genialer Feldherr, großer Schlächter, Ausgeburt der Hölle, christlicher Heilsbringer, moderner Staatsmann, ambitionierter Kunstförderer aber auch begieriger Kunsträuber, das Repertoire der Begriffe und Klischees für seine Person schien und scheint ohne Ende.


400 Exponate in zwölf Kapiteln


Was die Ausstellung unter anderem so sehenswert macht, ist die raffinierte thematische Gliederung der fast 400 Exponate in zwölf Kapiteln, die zum Teil neue Perspektiven liefern. Auf jeden Fall bietet sie ein differenziertes Bild der napoleonischen Zeit in einem gesamteuropäischen Rahmen. Und sie präsentiert drei ungewöhnliche Ausstellungsschwerpunkte, die in ähnlich geschlossener Form so noch nicht zu sehen waren.

Christian Wilhelm von Faber du Faur (1780–1857)
In der Gegend von Smorgony, 3. Dezember 1812
1827–1830, Aquarell
Ingolstadt, Bayerisches Armeemuseum
© Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt

   Der Themenkomplex Krieg geht über die üblichen Feldzug-Beschreibungen hinaus und akzentuiert Tod, Soldatenverwundung und deren Einfluss auf medizinische Neuerungen sowie die Traumatisierung einer ganzen Generation junger Männer in Europa (Kapitel Traum vom Weltreich). Mindestens drei Millionen Soldaten, so Schätzungen, kamen bei den endlosen Kriegszügen in der Grande Armée und in den Heeren ihrer Gegner ums Leben, zivile Opfer entlang der Schneisen der Verwüstung nicht mitgerechnet. Die Ausstellung bietet Exponate aus Feldambulanzen wie etwa chirurgische Instrumente, Prothesen oder Anleitungen zur Beinamputation. Ergänzt werden sie durch wahre Bilder des Grauens etwa den Aquarellen des württembergischen Offiziers und Schlachtenmalers Christian Wilhelm von Faber du Faur aus dem Russlandfeldzug oder den Skizzen des schottischen Arztes und Anatomen Charles Bell von verwundeten Soldaten der Waterloo-Schlacht 1815.

 

Bilder als Propagandainstrument

 

Eine weitere hochinteressante Sektion der Schau bildet der napoleonische Umgang mit Bildern im weiteren Sinne, der die Kunst in bisher nicht gekannter Form zum Propagandainstrument machte, wie die Ausstellungsmacher formulieren. Napoleon galt als Meister der Propaganda (Kapitel Das Reich der Zeichen). Das kaiserliche „N“ auf Briefbögen, Mobiliar, Kleidung, Gebäuden etc. haftet - neusprachlich quasi als Corporate Design - bis heute im visuellen Gedächtnis Europas. Heroisierende Darstellungen wie unter anderem in dem Gemälde von Jacques-Louis David, das Napoleon bei der Alpenüberquerung 1800 zeigt, verdeutlichen, dass der Imperator bereits früh um die Macht der Bilder wusste.

 

Napoleon in der zeitgenössischen Kunst

Jonathan Meese,
Der Terminator: Napoleon, 2006, Bronze, Privatsammlung,
© Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin
Foto: Jochen Littkemann

Raub der Kunst und Kultur

 

Schließlich wird dem allgemein weniger beachteten Thema „Kunst- und Archivraub“ (Kapitel Objekte der Begierde) breiter Raum zugemessen. Die massive und systematische Plünderung von Kunst- und Büchersammlungen in allen besetzten Gebieten Europas und ihre Überführung nach Paris gelten als weiteres spektakuläres Zeichen der imperialen Ausbeutungsideologie und Machtpolitik Napoleons. Sie schürten die anti-französischen Gefühle auch im Rheinland beträchtlich. So schrieb der „Rheinische Merkur“ am 6. August 1815: „Die Wiederforderung dieser Gegenstände, die allgemein als ein unveräußerliches Volkseigenthum betrachtet werden, beschäftigt die Geister in Teutschland stark und sehr.“

   Paris sollte zur Hauptstadt der Künste und Wissenschaften ausgebaut werden. Frankreichs erstes öffentliches Museum im Louvre, das „Musée central des Arts“ - ab 1803 „Musée Napoléon“ genannt - bildet als Folge dieses Zwangstransfers für Kunstinteressierte und Wissenschaftler für gut ein Dutzend Jahre den kulturellen Mittelpunkt in Europa. Nach Napoleons Abdankung 1815 wurden die geraubten europäischen Schätze wieder weitgehend in ihre Heimatländer rückgeführt.

Klaus M. Martinetz

 

Die eindrucksvolle und sehenswerte Schau steht unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Sie wurde von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, initiiert und produziert. Die Ausstellung soll vom März bis Juni 2012 auch in Paris bei dem Kooperationspartner der Ausstellung, dem Musée de l´Armée gezeigt werden. Kuratorin ist Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin in Zusammenarbeit mit Yann Potin, Paris.

 

Die Ausstellung ist bis zum 25. April 2011 zu sehen.

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Tel. 0228 / 9171-200


Öffnungszeiten:
DI + MI 10 - 21 Uhr
DO - SO 10 - 19 Uhr
FR für Gruppen ab 9 Uhr geöffnet


Öffentliche Turnusführungen:
Dienstag und Mittwoch: 18 Uhr
Donnerstag: 12:30 Uhr
Freitag und Samstag: 16:30 Uhr
Sonntag und Feiertag; 11 Uhr und 16:30 Uhr
(mindestens 6 Personen, max. 25 Personen)
Der Katalog ist für 32 € erhältlich.

 

Zur Erinnerung:

Das Rheinland entstand als geschlossenes politisches Gebilde erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bis 1794 war es ein Flickenteppich aus Territorien und Fürstentümern. Im Herbst 1794 eroberte das revolutionäre Frankreich die linksrheinischen Gebiete. Ab 1797 begann der französische Generalkommissar mit der Bildung von Verwaltungsebenen nach französischem Vorbild, d.h. der Einrichtung von Départements, Arrondissements (Bezirke) und Munizipalitäten (Gemeinden). Napoleon, seit 1799 durch Staatsstreich Alleinherrscher in Frankreich, annektierte das linke Rheingebiet 1801, völkerrechtlich anerkannt durch den Frieden von Lunéville (09.02.1801) Der „Code Civil“, die französische Verfassung, wurde 1802 eingeführt. 1806 gründete Napoleon das Großherzogtum Berg mit der Hauptstadt Düsseldorf. Im Gegensatz zum Linksrheinischen gehörten die rechten Rheinlande nicht zum französischen Staat, sondern bewahrten sich als Anschlussländer eine größere Eigenständigkeit. Das Französische wurde „populaire“, war „en vogue“ und drang auch sprachlich in den Alltag ein. Aus Vetter und Base wurde Cousin und Cousine. Großmutter und Großvater lehnten sich an das französische grand-père und grand-mère an, das deutsche Ahn/Altevater oder Ahne/Altemutter kamen gänzlich außer Gebrauch. Die sog. französische Zeit mit ihren tief greifenden Veränderungen u.a. im Wirtschaftsrecht und in der Verwaltung endete im April 1815. Auf dem Wiener Kongress desselben Jahres wurden die Rheinlande dauerhaft der preußischen Krone unterstellt.

 

 

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