ERINNERUNGSKULTUR
Holocaust im Comic
Kann oder darf der millionenfache Mord in den Konzentrationslagern des NS-Regimes in einem populärkulturellen Massenmedium wie dem Comic dargestellt werden?
Abbildung aus Michel Kichka „Zweite Generation“. Foto © Michel Kichka, Egmont Verlag 2014. Bildquelle © Zentrum für verfolgte Künste Solingen 2025 |
Eine solche Frage stellt heute niemand mehr. Das war vor Jahrzehnten noch anders. Längst haben sich Zeichner aus der ganzen Welt mit dem Holocaust, mit NS-Verfolgung und Deportation wie auch dem Alltag unter dem Hakenkreuz auseinandergesetzt. Als eines der jüngsten Beispiele aus dem rheinischen Raum sei auf den Comic Columbusstraße verwiesen (mehr).
Buchcover Michel Kichka „Zweite Generation“. Foto © Michel Kichka, Egmont Verlag 2014. Bildquelle © Zentrum für verfolgte Künste Solingen 2025
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Die einst als geschmacklos gescholtene Holocaust-Thematisierung mit Comickunst hat es auch in die Museen geschafft. Das Solinger Zentrum für verfolgte Künste zeigt aktuell im Bereich der Literatursammlung eine Kabinettausstellung zu Comics und Graphic Novels über den Holocaust.
Das Haus betont, dass sich in den letzten Jahren Comics zu einem bedeutenden Medium der Erinnerungskultur entwickelt haben. Dies spiegelt sich auch im Untertitel der interessanten Ausstellung.
Die ersten künstlerischen Zeugnisse der Verbrechen des Holocausts dienten oft als historische Beweise und Ausdruck des Überlebenswillens der Opfer. Viele dieser Zeichnungen wurden direkt nach dem Krieg veröffentlicht, blieben jedoch lange Zeit nur einem kleinen Kreis von Historikern und Überlebenden bekannt, wie die Kuratoren in Solingen betonen.
Buchcover zu Art Spiegelman Maus Foto © Fischer Verlag
Buchcover zu Boris Golzio Die Geschichte von Francine R. Foto © Avant-Verlag
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Auf diese frühen Zeugnisse folgte eine lange Phase des Schweigens, wie es in Solingen heißt.
Erst mit den NS-Prozessen der 1960er-Jahre und dem wachsenden öffentlichen Bewusstsein für Erinnerungskultur Ende der 1970er Jahre rückte das Thema zunehmend in den Fokus. In dieser Zeit begannen Künstler, sich intensiver mit dem Holocaust auseinanderzusetzen – nicht nur in der Literatur, sondern eben auch im Medium Comic.
Eine der weltweit bekanntesten Graphic Novels wurde „Maus“ von Art Spiegelman. Der US-amerikanische Comickünstler erzählt darin die Geschichte seiner Eltern, die als polnische Juden NS-Verfolgung und das KZ Auschwitz überlebt hatten und nach New York emigrierten. Der Comic „Maus“ wurde in Dutzende Sprachen übersetzt und avancierte zu einem Bestseller.
Als „Maus“ vor rund 35 Jahren in Deutschland auf den Buchmarkt kam, war diese Art von Comic-Biografie etwas völlig Neues, zumal Autor Spiegelman sich als Maus-Figur mit in den Comic hineinzeichnete. Für viele Comickünstler wurde Spiegelman zum Vorbild.
Die Thematik der Judenverfolgung, der Konzentrationslager, der Deportation oder des Widerstandes in den von Deutschen besetzten Gebieten hat in den letzten Jahren verstärkt den Weg in Comics gefunden. Eine Graphic Novel aus dem Jahr 2021 zum Beispiel zeigt die Erinnerungen einer Résistancekämpferin in Frankreich, sie titelt „Die Geschichte von Francine R.“ und stammt von dem Zeichner Boris Golzio. Er greift die Geschichte einer Französin auf, die das Konzentrationslager Ravensbrück überlebte.
Ein weiteres jüngeres Beispiel ist der Comic „Zweite Generation“ von Michel Kichka. Mit dem israelischen Autor und Karikaturisten und seinem Vater Henri, einem Holocaust-Überlebenden, drehten das Solinger Zentrum für verfolgte Künste und das MOCAK Museum für Gegenwartskunst in Krakau 2018 den Dokumentarfilm „Life is a Cartoon“.
rART/ bra
Die Ausstellung Der Holocaust in Comics und Graphic Novels. Die zeichnerische Erzählung als Medium der Erinnerung wird bis zum 12. Oktober 2025 gezeigt.
Zentrum für verfolgte Künste
Wuppertaler Str. 160
42653 Solingen
Öffnungszeiten
DI – SO 10 bis 17 Uhr
Ausgewählte Literaturhinweise
► Boris Golzio Die Geschichte von Francine R. Widerstand und Deportation. Text & Zeichnung B. Golzio. Übersetzung aus dem Französischen von Carsten Hinz. Hardcover, 136 Seiten, vierfarbig. Avant-Verlag 2021. ISBN: 978-3-96445-047-0
► Michel Kichka Zweite Generation: Was ich meinem Vater nie gesagt habe. Gebundene Ausgabe. Übersetzt von Ulrich Pröfrock. 112 Seiten, Egmont Verlag 2014, 978-3770455058
► Art Spiegelman Maus (The Complete Maus) Fischer Taschenbücher 18094. 300 Seiten, Fischer Verlag 2008, diverse Auflagen. ISBN-13: 9783596180943