Archiv 2015
ZENTRUM FÜR VERFOLGTE KÜNSTE
Verbotene Kunst
Es ist eine in Europa beispiellose Einrichtung. Das jetzt offiziell eröffnete Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen widmet sich in seiner Arbeit ausschließlich verfolgten Künstlern und ihren verbotenen Werken.
Blick in die Sonderausstellung „Der Tod hat nicht das letzte Wort“. Links: Łukasz Surowiec Berlin-Birkenau Installation 2013, Video 9 Min 26 Sekunden. Rechts: Otto Schubert Auschwitz Triptychon, um 1960, Öl auf Leinwand, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider. Foto ©rART 2015 |
Die Festrede zur Eröffnung, zu der rund 600 Gäste, teilweise aus Polen, den USA und Israel, gekommen waren, hielt Norbert Lammert, der Präsident des Deutschen Bundestages.
Festredner Prof. Dr. Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages Foto © Zentrum für verfolgte Künste 2015/ Thomas Hendrich, Wuppertal.
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Eric Isenburger Stillleben o.T., o.J., Öl auf Papier, auf Leinwand montiert, Kunstsammlung Gerhard Schneider, © Sheilla Low-Beer, Foto © Zentrum für verfolgte Künste 2015
Oscar Zügel Ikarus 1936, Öl auf Leiwand © Katia Zügel, Balingen, Foto © Zentrum für verfolgte Künste 2015
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Die Aufgaben Das Zentrum verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, "...Werk und Leben der von Verfolgung bedrohten Künstlerinnen und Künstler zu erforschen, sie verstärkt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die Folgen von Unterdrückung für ihr künstlerisches Schaffen aufzuzeigen."
Anfang 2015 hatten der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und die Stadt Solingen die Einrichtung als GmbH gegründet und damit dessen finanzielle Situation gesichert. Der LVR leistet als Mehrheitsgesellschafter einen jährlichen Betriebskostenzuschuss von bis zu 290.000 Euro, die Stadt Solingen in Höhe von 145.000 Euro.
Der LVR verstehe die neue Institution als Teil des LVR-Netzwerkes „Kulturelles Erbe“, betonte LVR-Mitglied Dorothee Daun. „Das Rheinische Kulturerbe zu erhalten, ist erklärtes Ziel des LVR. Die Werke der verfolgten Künstler wie Else Lasker-Schüler (mehr), Otto Pankok (mehr) oder Georg Meistermann sind Teil dieses Erbes“, so Daun.
Entwicklung Bevor es zur gefeierten Gründung kam, gingen gut zwei Jahrzehnte ins Land. 1997 stieß der Solinger Museumsdirektor Rolf Jessewitsch im Rahmen einer Bildausleihe auf die Sammlung des Kunstspezialisten Gerhard Schneider aus Olpe, der sich mit verfemter Kunst während der NS-Herrschaft und später vergessenen Künstlern befasste.
Schneiders umfangreiche Sammlung fokussierte sich auf Diffamierte und Ausgegrenzte der Nazidiktatur mit ihrer Vorstellung einer „entarteten Kunst“, implizierte aber auch das Phänomen der nicht gewürdigten „Meister im Schatten großer Namen“ durch den ideologisch dominierten Verlauf der Kunstgeschichte nach 1945 in der DDR.
Die Begegnung legte damals einen Basisstein für ein Zentrum der verfolgten Künste. Mehrere Ausstellungen zum Thema verfemte Kunst und ihre historischen Auswirkungen wurden in den Folgejahren gezeigt. Die erste Präsentation fand unter dem Titel „Verfemt, Vergessen, Wiederentdeckt - Kunst expressiver Gegenständlichkeit aus der Sammlung Gerhard Schneider“ zur Jahrhundertwende 1999/2000 statt.
Blick in die Dauerausstellung „Entdeckte Moderne – Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider“. © Kunstsammlung Gerhard Schneider; Foto ©rART 2015 |
Ausstellungsreigen Gleichzeitig mit der jetzigen Eröffnung zeigt das Zentrum für verfolgte Künste seine neu gehängte Dauerausstellung und drei Sonderschauen. Da sich die Dauerausstellung ebenfalls in zwei eigene Bereiche gliedert, kann der Besucher schon mal irritiert fragen, in welcher Exposition er sich gerade befindet. Insgesamt werden fünf Schauen geboten, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Die Präsenzausstellung zeigt in Entdeckte Moderne Gemälde und Grafiken aus der vom Zentrum betreuten „Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Scheider“. Die Schau Die verbrannten Dichter greift auf die „Literatursammlung Jürgen Serke“ zurück. Beide Präsentationen geben Einblick in das Thema der verfolgten Bildenden Kunst und der Literatur zwischen 1933 und 1945. Zugleich sind sie das Bindeglied zu den Sonderausstellungen.
Installationsansicht "Spots of Light – Frau sein im Holocaust". Eine multimediale Ausstellung des Yad Vashem mit einer Videoinstallation von Michal Rovner. Foto © Zentrum für verfolgte Künste 2015/ Thomas Hendrich, Wuppertal |
„Spots of Light – Frau sein im Holocaust“ im Untergeschoss des Solinger Kunstmuseums ist eine Sonderausstellung der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem. Die multimediale Schau reflektiert 45 Lebensschicksale von Frauen unter dem Terror der Nationalsozialisten und verdeutlicht gleichzeitig das konzeptionelle Fundament des Solinger Zentrums: Trotz der Beschäftigung mit Kunst und Literatur steht immer der Mensch und seine individuelle Biografie im Mittelpunkt.
Sonderaususstellung „Der Tod hat nicht das letzte Wort“ mit Werken von Jane Korman Dancing Auschwitz, 2010 (links), Naomi Tereza Salmon Asservate, 1994 (mittig) und Vardi Kahana Auschwitz-Birkenau 2011, 2011 (rechts). Foto © Zentrum für verfolgte Künste 2015 |
„Der Tod hat nicht das letzte Wort. Die Erfahrung von Auschwitz heute“ titelt die zweite Sonderschau, die zeigt, wie unterschiedlich Künstler aus Polen, Israel und Deutschland heute, 70 Jahre nach der Befreiung des Lagers, mit Auschwitz (mehr) umgehen. Kurator Jürgen Kaumkötter vom Zentrum für verfolgte Künste betonte, dass die Sicht auf dieses größte aller NS-Konzentrationslager durchaus sehr verschieden wäre. So stehe für israelische Künstler im Vordergrund, Kind, Enkel und Urenkel eines Opfers, eines Überlebenden des Lagers Auschwitz, zu sein.
Michel Kichka Zeichnung aus dem Comic: Zweite Generation. Was ich meinem Vater nie gesagt habe. Tusche auf Papier, Egmond-Verlagsgesellschaft, Köln 2014, S. 11. © DARGAUD & Michel Kichka, 2012. Der Text: „…und die gesamte Familie. Dieses Bild war unmittelbar vor dem Krieg in Brüssel gemacht worden. Man sieht darauf Bertha, Nicha, Joseph, Hannah und ihn selbst in einer Knickerbockers à la Tim. Als ich klein war, habe ich es ständig heimlich betrachtet und dabei dicke Tränen geweint, die ich schnell trocknete, sobald ich die Schritte meines Vaters hörte.“ |
Michel Kichka Dank an Antoine de Saint-Exupéry, 2012, Tusche auf Papier. Aus: Zweite Generation. Was ich meinem Vater nie gesagt habe. Egmond-Verlagsgesellschaften Köln 2014. ©DARGAUD & Michel Kichka, 2012. Text in der Sprechblase: „Zeichne mir eine Familie“. |
„Michel Kichka – Zweite Generation. Was ich meinem Vater nie gesagt habe“ ist eine Sonderexposition, die sich den Arbeiten eines der bekanntesten Karikaturisten Israels widmet. Seine Zeichnungen sind Kunst und Literatur in einem, autobiografische Schilderungen eines Lebensschicksals wie auch eigenständige Kunstwerke. Der Zeichner hat seine Familiengeschichte als Holocaust-Comic verarbeitet. Seine Graphic Novel „Zweite Generation“ schildert die Beziehung des Sohns zu seinem Vater, einem Überlebenden des Holocaust, und wie des Vaters Erfahrungen in Auschwitz ihn, die zweite Generation, geprägt haben.
rART/cpw
Alle Ausstellungen werden bis zum 21. Januar 2016 gezeigt.
Zentrum für verfolgte Künste
im Kunstmuseum Solingen
Wuppertaler Str. 160
42653 Solingen
Tel 0212 / 2 58 14 0
Öffnungszeiten
DI-SO 10-17 Uhr