ARCHIV 2013
Monuments Men
Rotes Kreuz für die Kultur
Wie eine Handvoll alliierter „Kulturgüterschutzoffiziere“ das kulturelle Erbe Europas sicherte
Salzbergwerk Altaussee, 10. Juli 1945: Bergung von Michelangelos Brügger Madonna per Flaschenzug (National Gallery, Washington D.C., Gallery Archives)
Zerstörungen im Aachener Dom, Oktober 1944: „Hin und wieder tauchte die Kuppel des Doms auf, die wundersamerweise unversehrt war und sich über den eingestürzten Gebäuden erhob... Die Tore des Doms standen offen. Er überquerte den Innenhof im Sturmlauf und betrat die Pfalzkapelle. Der achteckige Gebäudekomplex hatte sechs Jahrhunderte lang alle Ankömmlinge, Betende wie Pilger, gleichermaßen in sich eingesogen, sie von der Außenwelt abgeschnitten und den Händen Gottes überantwortet... Als er in den gotischen Altarraum kam, sah er, dass eine Bombe der Alliierten die Apsis durchschlagen und den Hochaltar beschädigt hatte.“ S. 187/188 (National Archives and Records Administration, College Park, MD)
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Der Raubzug war gigantisch. Kunstobjekte im Wert von vermutlich einer Milliarde Reichsmark hatten die nationalsozialistischen Machthaber bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im besetzten Europa gestohlen, abgepresst oder enteignet. Ein Vorgang, der wohl als der größte Kunstdiebstahl der jüngeren Geschichte angesehen werden kann und bis heute mit dem Thema Restitution die Fachwelt beschäftigt. Das nun auf deutsch erschienene Buch „Monuments Men“ schildert, wie alliierte Kunstspezialisten bereits während und nach dem Kriege die von den Nationalsozialisten geplünderte Kunst, allgemein Raubgut genannt, an versteckten Orten aufspürte und gefährdete Museumsschätze – auch im Rheinland – vor der Vernichtung retteten.
DIE PLÜNDERUNGEN in Sachen Kunst betrafen in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten private wie öffentliche Sammlungen. Die Raubzüge wurden von offizieller Seite nicht nur gebilligt, sondern von Behörden akribisch geplant und organisiert. Eine dieser verantwortlichen Stellen war der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR), der systematisch Kulturgüter von Juden, NS-Gegnern oder Kirchen beschlagnahmte.
Geraubt wurden Kunstobjekte von unschätzbaren Werten – alte Meisterwerke wie etwa Michelangelos Marmorplastik „Brügger Madonna“, van Eycks „Jungfrau Maria“, Gemälde von Raphael, Rembrandt, Vermeer oder der Moderne wie von Cézanne, Picasso oder Miró. Ins Reich verschleppt wurden Kirchenschätze und -glocken, Altäre, Buntglasfenster, Thorarollen, Schmuck, Tapisserien und ganze institutionelle Bibliotheken und Archive.
Paris, Museum Jeu de Paume: Reichsmarschall Hermann Göring verläßt das Museum, in dem er gestohlene französische Kunstwerke für seine Privatsammlung aussuchte. (Library of Congress, Washington, D.C.) |
Teilweise gelangten die Gemälde und Skulpturen zwecks Devisenbeschaffung auf den internationalen Kunstmarkt, anderes fand sich später in der Privatsammlung des Reichsmarschalls Hermann Göring, nach Adolf Hitler zweiter Mann im Reich und als berüchtigter wie leidenschaftlicher Kunstsammler bekannt. Ein großer Teil der Raubkunst, so sah es eine visionäre Zukunftsplanung vor, sollte in dem geplanten „Führermuseum“ im österreichischen Linz ausgestellt werden.
Kunstraub und Restitution
Das Thema ist bis heute aktuell. Denn noch immer beschäftigen komplizierte Provenienzforschungen und Restitutionsforderungen weltweit zahlreiche Anwaltskanzleien, Gerichte und Museen. Das Problem Raubgut und Kulturrettung ist somit nicht neu, in internationalen Kunstkreisen natürlich bestens bekannt und vielfach hinreichend dokumentiert. Im Rheinland sind in jüngster Zeit zwei Gemälde restituiert worden, aus dem Bonner Kunstmuseum (mehr) und dem Museum Ludwig in Köln (mehr).
In der breiten Öffentlichkeit sind die Raubkunst-Geschichten nur wenig publik, da diese in der Nachkriegszeit als unerwünschtes Relikt einer Vergangenheit, der man keinen tagesaktuellen Stellenwert zumaß, gerne verschwiegen wurden. Der Anfang eines gemeinsamen politischen Europa konnte nicht mit einer Abrechnung von Raubzügen unter Nachbarn begonnen werden. Allein Fachleute sprachen sich intern darüber ab. In den Medien wurde das Thema Raubzüge nur wenig abgehandelt, sieht man von dem beispielhaften, fast 50 Jahre alten Kinostreifen „Der Zug“ mit Burt Lancaster und Jeanne Moreau in den Hauptrollen einmal ab. Mit diesem Film wurde ein Millionenpublikum erreicht. Dass hiermit die Verklärung amerikanischen Heldentums einherging, entsprach dem Zeitgeist und war deshalb nicht falsch.
Die Kulturbewahrer
Da schließt die Monografie "Monuments Men" eine Lücke. In einer Mischung aus Sachbuch, Spionage- und Abenteuerroman à la Indiana Jones, Kultur-Krimi und populistisch aufbereiteter Historie, erzählt das Werk vom Einsatz militärischer Denkmalschützer in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Deutschland und Österreich - genauer im geografischen Dreieck Normandie, Thüringer Wald und Steiermark - die unablässig nach Raubgütern fahndeten. Das Geschehen im Rheinland wird in einigen interessanten Kapiteln aufgegriffen.
„Die 1. Armee kämpfte sich durch die Wälder in Westdeutschland zum Rheinland vor, der dicht bevölkerten Region am Rhein, in der einige der bedeutendsten Kulturzentren Deutschlands lagen. Stout rollte seine große Karte mit den Frontverläufen zusammen und griff zu seiner Rheinlandkarte ...die ...mittlerweile voll war mit Kreisen und Dreiecken, die jeweils die vermutete Lage eines deutschen Unterbringungsortes für Kunstwerke anzeigten.“ (S.287)
Unter den etwa 1,5 Millionen alliierter Soldaten, die ab dem 6. Juni 1944 in der Normandie landeten, befand sich auch eine zunächst nur aus elf Männern bestehende amerikanisch-britische Spezialeinheit. Ihre Leitung hatte US-Oberstleutnant George Stout, im Zivilen Restaurator. Seine Truppe bestand aus akademisch gebildeten Kulturschützern in Uniform. Es waren Idealisten - etwas sperrig „Kulturgüterschutzoffiziere“ genannt - , die in der kaum bekannten Abteilung „Monuments, Fine Arts and Archives“ (MFAA), auf deutsch „Abteilung Denkmäler, Schöne Künste und Archive“, der US-Armee wirkten. Im Militärjargon jener Zeit hießen sie einfach nur Monuments Men. Die Einheit existierte von 1943 bis 1951 und zählte zum Schluss rund 350 Männer und Frauen aus 13 Ländern. Durchweg waren es Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur mit oft einflussreichen Zivilberufen: Museumsdirektoren, Kuratoren, Kunsthistoriker, Architekten, Archivare, Bildhauer.
Ihr Auftrag: Zum einen versteckte geraubte und verschollene Kulturgüter aus besetzten Ländern aufzuspüren und zurückzuführen, zum anderen Kulturgüter jeder Art in den Kampfzonen - auch in Deutschland - vor Vernichtung, Beschädigung und Plünderung zu bewahren. Angesichts der unbeschreiblichen Zerstörung Deutschlands gegen Kriegsende ist die Aussage, dass wohl kein anderes Land und sein Kulturerbe von der Präsenz dieser Monuments Men mehr profitierte als Deutschland selbst, treffend. Kreuz und quer hetzten sie durch die Kriegsgebiete, meist dicht hinter den kämpfenden Einheiten an der Frontlinie. Zwei Offiziere der Einheit fielen in Kämpfen bei Aachen und Kleve.
„Hinter der nächsten Ecke war Aachen eine tote Stadt, ein Friedhof aus Stacheldraht, verrostetem Metall und Geröllhaufen...Vielleicht waren die früheren Bewohner alle tot. In diesem Augenblick hatte er gedacht, das es nirgends schlimmer sein konnte als in Aachen. Aber dann hatte er Köln gesehen.“ (Über Aachen S.307)
Kunst in Salzstöcken
Kalibergwerk Merkers/ Thüringen, 12. April 1945: Die Generäle Omar N. Bradley und George S. Patton Jr. sowie der Oberbefehlshaber der alliierten Streikräfte, General Dwight D. Eisenhower inspizieren die in Merkers gelagerten deutschen Museumsschätze. (National Archives and Records Administration, College Park, MD) |
Die MFAA-Leute sicherten Kulturdenkmäler, Sakralgebäude, Bibliotheken und Museen. Und im Chaos des dem Ende entgegen taumelnden Dritten Reichs spürten sie detektivisch Hunderte von versteckten Depots mit Zehntausenden evakuierter Kunstwerke oder Raubgütern auf: in Lagerräumen, Schlössern, Höhlen und Bergwerken. So etwa Rembrandts „Die Nachtwache“ (mehr) in den labyrinthischen Kalksteinstollen von Sint Pietersberg bei Maastricht, den Aachener Domschatz in einer Kupfermine in Siegen, Eduard Manets „Im Wintergarten“ und die Büste der Nofretete im dem thüringischen Kalibergwerk Merkers. Sie untersuchten, reparierten, katalogisierten und fotografierten Abertausende dieser Objekte, ordneten sie - sofern möglich - ihren rechtmäßigen Eigentümern zu, verpackten sie und sandten sie zurück.
„Der Schaden erinnerte Hancock an das Suermondt-Museum in Aachen, wo er einen Großteil des vergangenen Monats verbracht hatte. Bis auf einige Werke von lediglich lokaler Bedeutung waren aus diesem Museum alle Gemälde vor dem Beginn der Kämpfe ausgelagert worden. Als Monuments Men musste er herausfinden, wo sie geblieben waren.“ (Über einen Kommandoposten bei Büsbach/ Kornelimünster; S.192)
Fakten und Fiktionen
Buchcover |
Autor Robert M. Edsel und Co-Autor Brett Witter schildern diese atemberaubende Schatzsuche anhand von persönlichen Briefen, MFAA-Kriegsdokumenten und Tagebuch-Notizen mehrerer Schlüsselfiguren - bis zum dramatischen Schlussakt der Kulturjagd im Schloss Neuschwanstein und im steiermärkischen Salzbergwerk von Altaussee. Monuments Men ist ein spannendes Buch, kurzweilig und informativ, flüssig verfasst und durchweg gut lesbar. Der Leser wird schlichtweg erzählerisch mitgenommen – und zwar auf eine monatelange Reise durch das kriegsgeschüttelte Nordwesteuropa. Dabei wird er immer wieder mit überraschenden Details aus der Kulturwelt konfrontiert, aber so, dass selbst ein Kunstlaie nicht überfordert wird sondern einen Mehrwert daraus zieht. Die Publikation sollte von Historikern nicht mit zu spitzen Fingern anfasst werden, sie ist ein Roman. Und das Stilmittel des Fantasiedialogs sollte als das gesehen werden, was es sein soll: Ein Mittel zum besseren Verständnis der Historie und zur Aufrechterhaltung der Spannung. Der Leser hat also keine wissenschaftliche Arbeit mit prüfbaren Zitaten vor sich. Auch wer ein Orts-, Sach- oder Namensregister sucht, tut dies vergeblich. Das schränkt zwar die Lesefreude wegen des mühsamen Suchens ein, doch ist Nachsicht geboten, wenn man sich des gewollt Romanhaften erinnert. Kurzum: Eine packend erzählte unterhaltende Geschichte, die die gewaltigen Dimensionen des NS-Kulturraubs verdeutlicht und manchen Museums- wie Kirchenbesucher nachdenklich werden lassen könnte bei der Betrachtung all der wunderbaren Kunst.
Klaus M. Martinetz
Robert M. Edsel mit Brett Witter:
Monuments Men – Die Jagd nach Hitlers Raubkunst
Residenz Verlag Salzburg, 2013, 541 Seiten;
Preis 26,90 Euro
ISBN 978-3-7017-3304-0
Weitere Informationen zum Thema Raubkunst
Der beschriebene militärische Kunstschutz, den es übrigens auch auf deutscher Seite gab, geht auf namhafte US-Kunstkenner der sogenannten „Robert Commission“ zurück. Sie forderten schon 1943 von Präsident Roosevelt die Einrichtung einer Art kulturellen Marshall-Plans für die Sicherung und den Erhalt „..von Kunstwerken, künstlerischen und historischen Denkmälern und Archiven in Europa“. Die daraufhin vom Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, General Dwight D. Eisenhower, formulierte - von den Militärs durchaus sehr kritische gesehene - Politik lautete: "Wir sind verpflichtet, Denkmäler respektvoll zu behandeln, insoweit es der Krieg erlaubt". Die MFAA-Gründung war Ausdruck des Bestrebens, Kulturgütern während Kampfhandlungen soweit wie möglich Schutz zu gewähren und in Depots verlagerte Kunst aufzuspüren und zu restituieren.
► Entscheidend zur Rettung und Bergung von Kulturgütern trugen auch deutsche Stellen und zahlreiche deutsche Kunstverwalter und -freunde bei. Erinnert sei an den Bonner Kunsthistoriker und Kunstbeauftragten des Oberkommandos des Heeres, Franz Graf Wolff Metternich (1893-1978), der in Frankreich Kunstsammlungen vor Zerstörung und Verschleppung durch die Nationalsozialisten bewahrte. Er wurde dafür in Frankreich mehrfach geehrt. In diesem Zusammenhang wissenswert: nach dem Krieg stellte Metternich Irmgard Feldhaus (mehr) ein. Sie arbeitete in der Düsseldorfer Kunstschutzabteilung MFAA unter der Leitung des Kunstwissenschaftlers Mathias T. Engels.
► In Frankreich war der Kunstraub stets ein wichtiges Thema. Eine überragende Rolle bei der Kunstrettung spielte Rose Valland (1898-1980). Die Widerstandskämpferin und Kunsthistorikerin am Pariser Museum Jeu de Paume, während der NS-Besatzung ein zentraler Umschlagplatz für Raubgut, lieferte den Alliierten jene Hinweise, die zur Rettung Tausender Kunstwerke aus Eisenbahnzügen und Bergwerken führte. Mehrere Publikationen, darunter populäre Comicstrips, befassen sich mit ihrer Rolle im Krieg. Rose Valland gilt als eine der meist dekorierten Frauen Frankreichs. 2010 widmete ihr das Lyoner „Centre d´Histoire de la Réstistance et de la Déportation“ eine Ausstellung.
► Die Story der Monuments Men wird ab Januar 2014 als Film in die Kinos kommen. Regie und eine der Hauptrollen hat der Hollywood-Star George Clooney übernommen. Weitere Stars sind Matt Damon, Cate Blanchett und John Goodman.
► Eine wissenschaftliche Aufarbeitung liefert unter anderen: Thomas Armbrüster, Rückerstattung der Nazi-Beute: Die Suche, Bergung und Restitution. Verlag De Gruyter, Berlin 2008. ISBN 978-3-89949-542-3
©Fotos Residenz Verlag, St. Pölten-Salzburg-Wien