Archiv 2017
UN-KLIMAGIPFEL
Wetterleuchten über Bonn
Wie kann man mit einer Ausstellung gleich mehr als ein halbes Dutzend unterschiedliche Interessengruppen bedienen? Mit einem Allerweltthema. Die Bundeskunsthalle praktiziert dies mit der interdisziplinären Schau „Wetterbericht“.
Thema Wind: Pieter Hugo Green Point Common, Cape Town, aus der Serie „Kin” 2006-2013, 2013. Fotografie, C-Print © Pieter Hugo courtesy | PRISKA PASQUER, Köln |
Das Wetter, so heißt es dort, umgebe uns in seiner Schönheit aber auch Bedrohlichkeit jeden Tag. Es ist Gesprächsstoff allerorten und zu jeder Zeit.
Thema Gewitter: Gabriel Loppé Der Eiffelturm wird vom Blitz getroffen, 1902, Fotografie © bpk RMN - Grand Palais / Gabriel Loppé
Thema Luft: Johann Geyer Ballonfahrer 19. Jahrhundert, Öl auf Leinwand © Courtesy of Agnews, London
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Und weil das so ist, kommt irgendwie jeder Besucher in einer Exposition „über Wetterkultur und Klimawissenschaft“ - so der Untertitel in der Bonner Bundeskunsthalle - auf seine Kosten, wenn er unter den Exponaten in den zwölf Themengebieten das heraussucht, was ihn interessiert.
Der Kenner alter Meister erfreut sich der wetterreflektierenden bildenden Kunst mit großartigen Gemälden von Gustave Courbert, John Constable oder William Turner, der Modernist an Kreide-Rötel-Werken von Otto Modersohn oder Wolkenbildern von Leiko Ikemura.
Der Fotofreund findet seinen Gursky wie auch Cartier-Bresson und Pieter Hugo. Die wissenschaftlichen Vermessungen und Techniken mögen den einen oder anderen Ingenieur zu faszinieren wissen. Der Physiker und Stromexperte erklärt dem Nachwuchs anschaulich, wie der Faradaysche Käfig funktioniert, und zwar mit richtigem Strom.
Und Karten zu Luftströmungen, Weltkriegsoperationen oder Meeresströmungen lassen den Historiker oder Erdkundler versonnen nach unbekannten Einzelheiten suchen.
Kurz und gut: Die Schau ist ein sehenswertes Kaleidoskop der Wetterkunde. Wer nur durchspaziert, wird sich an einige erlebte Turbulenzen mit Wind und Donner erinnern und an den omnipräsenten „meteorologischen Berater“ Karsten Schwanke, dem der Besucher nicht entkommen kann. Wer sich in Details verliert, kann vieles mitnehmen.
Die Ausstellung fragt, „inwiefern kurzfristige Wetterereignisse und längerfristige klimatische Veränderungen Einfluss auf die Natur, menschliche Zivilisation und Kultur haben.“ Die mit 400 künstlerischen, kulturgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Exponaten überaus reichhaltig bestückte Präsentation kann einem poetischen Tageslauf folgend - von der Morgendämmerung bis zum Abend - durchstreift werden und widmet sich allen Elementen und Phänomenen des Wettersystems.
Thema Nebel: Jean-Bruno Gassies Schottische Landschaft (Paysage d’Ecosse), 1826, Öl auf Leinwand Musée Rolin, Autun © bpk / RMN - Grand Palais / Jean Schormans |
Nebenbei drängt sich der Eindruck auf, dass das Wetter als Motiv offenbar Konjunktur hat. Derzeit zeigt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum unter dem Titel „Heiter bis wolkig“ barocke Himmelsbilder in der niederländischen Landschaftsmalerei (mehr). Im letzten Sommer bot das Düsseldorf KIT einen Blick auf eine meteorologische Phantasmagorie (mehr) und bemühte gleich die Verfasserin des Grusel-Meisterwerkes „Frankenstein“, Mary Shelley, und den Tambora-Vulkan. Wer den darin beschriebenen verheerenden Sommer vor 200 Jahren - in Volkes Gedächtnis damals als „Achtzehnhundertunderfroren“ kollektiv verankert -, nicht hinreichend glaubwürdig fand, kann, so er sich erinnert, in Bonn dem Schreckenssommer anhand von Baumringen nachspüren. Es funktioniert!
Thema Luft: Otto von Guericke Magdeburger Halbkugeln, 1661, Eisen, Kordeln Deutsches Museum, München © bpk / Lutz Braun, 1996
Thema Schnee und Eis: Utagawa Kuniyoshi Straßenprostituierte im Winter, Japan 19. Jahrhundert, Edo-Periode, Hängerolle, Tusche und Farbe auf Seide. Museum Ostasiatische Kunst, Köln © Rheinisches Bildarchiv Köln
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Anlass für die sehr umfangreiche und wegen der überwiegend ungewöhnlichen Schaustücke durchaus faszinierende Ausstellung ist die 23. UN-Klimakonferenz (COP23) im November in Bonn. Sie steht unter der Präsidentschaft der Fidschi-Inseln und dies hat seinen Grund. Denn der gerne als Paradies gepriesene Archipel im Pazifik ist in seiner Existenz durch den Klimawandel besonders bedroht.
Apropos Klimawandel: Als museale Ouvertüre für den Klimagipfel hätte der Schau eine Art summarisches Kapitel zu Erderwärmung, Eisschmelze oder Meeresspiegelanstieg gut angestanden. Der Bonner „Wetterbericht“ ist diesbezüglich eher verhalten.
Die Klimakatastrophe bleibt der Berichterstattung der Medien überlassen. Die Ausstellung, so Intendant Rein Wolfs, umkreise vielmehr „poetisch, assoziativ, narrartiv“ die Phänomene Wetterkultur und Klimawissenschaft. Aber dies, so darf festgestellt werden, in breiter Sicht auf die Dinge und nicht immer nur mit großen Namen.
So liefert der österreichische Offizier und Fotograf Raimund Stillfried von Rathenitz mit seiner sorgsam inszenierten Genreszene aus dem Japan des 19. Jahrhundert („Frau mit Regenschirm“, Yokohama 1863) einen Blick in fernöstliche Kultur. Mit Geoffrey Hendricks und seinem „Himmelshemd/ Wolkenbügel“ wird an einen der frühen Fluxuskünstler erinnert. Adidas-Fußballschuhe mit „Regenstollen“ von 1954 sind ein charmanter Ausflug in deutsche Sporthistorie.
Aber warum die Lederjacke von Politaktivist Rudi Dutschke neben der großartigen Hängerolle mit einer frierenden Prostituierten vom stilbildenden Großmeister Utagawa Kuniyoshi (mehr) hängt, bleibt Geheimnis der Kuratoren.
Die Nachdenklichkeit und Berührtheit, die diese Kombination beim Betrachter auslösen soll, will sich da partout nicht einstellen. Vielleicht aber die Erkenntnis: Beiden war kalt! Wie auch immer: „Wetterbericht“ ist ein kurzweiliger und lehrreicher Ausflug mit dem Prädikat „besonders wertvoll“.
K2M
Die Ausstellung „Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft“ wird bis zum 4. März 2018 gezeigt.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Museumsmeile Bonn
Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Tel 0228 9171-200
Öffnungszeiten
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