Archiv 2014
WEITBLICKE: ZUR ARCHITEKTUR DER AUSSICHTSTÜRME
Guckst du!
Die Schaulust des Volkes war stets groß und die Baulust der Architekten folgte ihr auf den Fuß. Aussichtstürme waren und sind regelrechte Magneten bei Wochenendausflügen und Freizeitvergnügen. 35 hohe zeitgenössische Gucker zeigt jetzt das Schweizerische Architekturmuseum (SAM) in Basel.
DAS BILD WURDE AUS
©GRÜNDEN ENTFERNT.
Matteo Thun’scher Gucker: Die Gärten von Schloss Trauttmansdorff, Meran, Italien, 2005, Matteo Thun & Partners, Foto © Die Gärten von Schloss Trauttmansdorff
Kaum ein Gebäude dient nicht auch der Aussicht. Je höher man steigt, desto stärker verändert oder erweitert sich der Blick. Das war schon immer reizvoll. Die Welt aus der Vogelperspektive wahrzunehmen, ist etwas, das Menschen seit jeher fasziniert und sich auch in der Kunst niedergeschlagen hat (mehr). Aussichtstürme, so zeigt die Baseler SAM-Schau „Luginsland, Architektur mit Aussicht“ anschaulich, bedienen diesen menschlichen Wunsch vielfältig.
Turmunkraut
Es gibt sie weltweit überall. Filigran, elegant oder grob-mächtig, aus Beton, Ziegelstein, Holz, Gusseisen oder Stahl, mal hässlich, mal schön. Aussichtsbauten, Türmen oder Plattformen ist gemein, dass sie üblicherweise eines bieten: atemberaubende Fernblicke, phänomenale Aus- und Rundblicke und eine gewisse Form von Nervenkitzel, und zwar legal und gesichert.
Dennoch, dass Zeitgenossen das Letztere besonders hoch bewerten und sich jenseits der Aussichtsarchitektur eine erhöhte Sichtposition illegal und gefahrvoll verschaffen, ist keine Seltenheit, spektakuläre jüngste Beispiele wie die Turmbesteigung des Kölner Doms (mehr) eingeschlossen. Besonders in Deutschland war der Bau von Aussichtstürmen gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein regelrechtes Massenphänomen, forciert vor allem durch die neue Wander- und Freizeitbewegung. Allerdings sahen Naturfreunde wie Bauästheten die Look Outs seinerzeit bereits durchaus kritisch. Paul Schulze-Naumburg (1869-1949), einer der Mitbegründer des „Deutschen Werkbundes“ im Jahre 1907, schimpfte Ende der Zwanziger, die Türme verschandelten die Landschaft. Der Architekt, Kunsttheoretiker und Denkmalpfleger forderte, das auf „Bergen wuchernde Turmunkraut“ müsse aus der Natur verbannt werden. Dass sich rund 80 Jahre später die Windrad-Türme noch wuchernder in deutschen Landen breitmachen würden, konnte niemand erahnen.
Der Turm als architektonische Intervention
Der Blick von Türmen war über Jahrhunderte erforderlich, um Gefahren wie Feuer oder anrückende feindliche Armeen rechtzeitig zu erkennen. Neben diesen Wacht- und Kontrolltürmen gibt es heute eine Vielzahl von hohen Zweckbauten, etwa zur Aussendung von Signalen Leuchttürme, Flughafentowers, Fernsehtürme – oder Türme zur Vermessung der Landschaft. Und immer wieder die an der Freizeitgesellschaft orientierten „Schau ins Land“- Bauten. Zwar führte auch das Interesse an spektakulärer Stararchitektur in den letzten Jahren zur Errichtung von Aussichtstürmen und Plattformen. Treibende Kraft bleibt aber – wie schon im 19. Jahrhundert – der Tourismus, auch wenn sich Interessen und Schwerpunkte verschoben haben.
DAS BILD WURDE AUS
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ENTFERNT.
Tiger and Turtle - Magic Mountain, Heike Mutter und Ulrich Genth, Duisburg, 2011
Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012, Heike Mutter und Ulrich Genth
Architektonische Interventionen
Die Ausstellung im Baseler SAM zeigt in einem Panorama „architektonische Interventionen“, wie die Turmbauten als Eingriffe in die Naturlandschaft fachmännisch heißen, aus den letzten 15 Jahren. Auswahlkriterium für das Museum war zunächst die architektonische Qualität, wobei es sich nicht nur um Türme, sondern auch um Plattformen oder Kleinarchitekturen handeln kann. Mitunter bedürfe es sogar nur einer minimalen Intervention, um einen neuen Blick auf die Umgebung zu ermöglichen, betonen die Kuratoren. Präsentiert wird die als Parcours inszenierte Schau exemplarischer Bauten aus verschiedenen Ländern mit Fotos, Modellen, Plänen und Baubeschreibungen, die sich der Eigenart der Objekte widmen und ihre Historie veranschaulichen.
Top of Tyrol, LAAC zt-gmbh, Stubaier Gletscher, Österreich, 2009, Foto © LAAC
Spezielles Augenmerk gilt den durch Aussichtstürme touristisch inszenierten Landschaften, etwa der Ruta del Peregrino in Mexiko, dem Timmelsjoch zwischen Österreich und Südtirol oder den durch Stahl-Glas-Boxen aufgewerteten Nationalen Touristenstrassen in Norwegen. Dass die ungewöhnliche Architektur-Thematik für Basel erarbeitet wurde, ist kein Zufall: Kaum ein anderes Land ist seit dem 19. Jahrhundert stärker durch die touristische Inszenierung des Blicks geprägt als die Schweiz. Die Ausstellung greift auch deutsche Turmbauten aus dem Grenzbereich zwischen Kunst und Architektur auf. So den „Rahmenbau“ der Documenta 6 in Kassel, den Tetraeder in Bottrop und die Magic Mountains in Duisburg.
cpw
Die Ausstellung „Luginsland. Architektur mit Aussicht“ wird bis zum 9. Februar 2014 gezeigt.
Schweizerisches Architekturmuseum (SAM)
Steinenberg 7
CH-4001 Basel
Tel. +41.(0)61.261 14 13
ÖFFNUNGSZEITEN
DI/MI/FR 11 – 18 Uhr
DO 11 - 20.30 Uhr
SA/SO 11 – 17 Uhr