ARCHIV 2012
„Ehemals Sammlung Flechtheim“
Wahnsinn Kunst
Alfred Flechtheim zwischen Bildern seiner Galerie, Berlin 1928 |
Das Leben des
Avantgarde-
Enthusiasten
Alfred Flechtheim
Als er 1914 als Kavallerieoffizier in den Ersten Weltkrieg zog, besaß er - unglaublich aber wahr - über 30 Frühwerke von Pablo Picasso, drei van Gogh-Gemälde, acht Werke von Cézanne, je zwei von Munch, Gauguin und Matisse, dazu noch Werke anderer vor allem französischer Avantgardisten wie Braque, Bonnard, Rousseau, Gris, Léger. Er war da gerade Mitte Dreißig, ein kunsthändlerisches Schwergewicht, das in der Düsseldorfer Alleestraße - zwischen Akademie und Kunsthalle - die „Galerie Alfred Flechtheim GmbH“ betrieb. Ein Kunstliebhaber, der sein Leben lang unter einem inneren Widerstreit zwischen Kaufmann und Sammler litt.
DER rheinisch-westfälische Kunsthändler, Sammler und Verleger Alfred Flechtheim (1878-1937) gilt als der einflussreichste deutsche Galerist der Weimarer Republik. Bis heute verkörpert der Mann wie kaum ein zweiter das, was die „Goldenen 20erJahre“ genannt wird. Überliefert ist er als schillernde Persönlichkeit, ein Lebemann, der die gesellschaftliche Konversation im Dienste der Kunst beherrschte und dessen Vernissagen und Kostümfeste in seinen Berliner Galerieräumen legendär waren und gesellschaftliche Ereignisse der Spitzenklasse darstellten; ein Tummelplatz für Prominenz aus Kultur, Politik, Hochfinanz und Sport. Flechtheim war aber auch ein Kaufmann, der Geschäftliches von Privatem wenig trennen mochte wie kaum trennen konnte.
Flechtheim bei einer spanischen Tanzeinlage, 1925 in Pascins Pariser Atelier
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1910 heiratete er Betti Goldschmidt aus Dortmund. Während der Hochzeitsreise gab er vom Vermögen seiner Frau so viel Geld für Kunst aus, dass sein Schwiegervater sich gezwungen sah, die Gütertrennung zu veranlassen.
Flechtheims Ruf als intimer Kenner besonders der französischen Avantgarde-Szene hält bis heute an und seine Aufsätze über diese Kunst zeugen von einem tiefen Verständnis. Er war es, der die Künstler der Moderne von der Seine - und damit ein neues Kunstverständnis - zunächst ins Rheinland und damit nach Deutschland brachte und ihren Bildern die Wege in Sammlerkollektionen und Museen ebnete. Manche sehen ihn in seinem Tun auch als einen ersten Mittler einer deutsch- französischen Freundschaft.
Seine Berliner Kunsthandlung erlebte einen kometenhaften Aufstieg und bestimmte mit den Kubisten und neuen deutschen Malern die Debatten. Zu letzteren gehörten die rheinischen Expressionisten wie Heinrich Campendonk, August Macke oder Heinrich Nauen, aber auch Paul Klee oder Max Beckmann, die alle von Flechtheim gefördert wurden.
► In der Regel sind es die Künstler, die Kunstgeschichte schreiben, und nicht die Kunsthändler. Doch Flechtheim ist auch hier anders. Nachzulesen ist der von Reichtum bis zur Verarmung reichende Lebensweg des Kunstbesessenen in einer faktenreichen Biografie, die der Historiker Ottfried Dascher verfasst hat. Der Buchtitel „Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst“ ist einer Tagebuchnotiz Flechtheims aus dem Jahr 1913 entlehnt. Von sich und seiner Passion sagte Flechtheim selbst unverblümt: „Mich hat sie gepackt, die Kunst.“
Glorreiche Jahre
Alfred Flechtheim entstammte einer vermögenden jüdischen Familie von Getreidehändlern aus Münster. Schon früh betätigte er sich als Sammler der Avantgarde und trat 28-jährig 1906 in Düsseldorf nachweislich öffentlich auf, indem er Leihgaben in einer Ausstellung der Düsseldorfer Malerschule präsentierte. Später wurde er Mitbegründer der Düsseldorfer Künstlervereinigung „Sonderbund“, deren Kasse er zeitweise führte und deren Kölner Ausstellung 1912, an der er mitwirkte, der modernen Malerei in Deutschland zum Durchbruch verhalf (mehr).
Blick in einen der fünf van Gogh-Säle der Sonderbundausstellung in Köln |
1913 eröffnete Flechtheim in Düsseldorf seine erste Galerie, die er wegen des Ersten Weltkrieges und inflationsbedingter Liquiditätsenge bald wieder schließen musste. 1919 wagte er einen Neuanfang an prominenter Adresse, der vornehmen Düsseldorfer Königsallee. Er expandierte nach Berlin und meldete dort seinen Galeriehauptsitz am Lützowufer 13 an.
Magazin Der Querschnitt, Jg. XI |
Zeitgleich packte ihn der „Verlegerrappel“: Flechtheim tat sich mit einem snobistischen „Lifestyle“-Magazin namens „Querschnitt“ hervor, das feuilletonistisch und sehr kenntnisreich über Kunst, Sport, Gesellschaft berichtete. Auch verlegte er aufwendige Mappenwerke seiner Künstler. In der Galerie drückte sich derweil die Crème de la Crème der künstlerischen Avantgarde die Klinke in die Hand: George Grosz, Renée Sintenis, Fernand Léger und viele andere mehr. Es waren die Jahre, in denen Flechtheim den Zenit als Kunstförderer, Händler und Publizist erreichte und neben Berlin und Düsseldorf Dependancen in Frankfurt, Köln und Wien unterhielt. Die renommiertesten Museen und privaten Sammler kauften bei ihm ein.
Wirtschaftskrise und Exil
Mit dem „Schwarzen Freitag“, dem 25. Oktober 1929, zog die Weltwirtschaftskrise auch den boomenden Kunsthandel in den Abgrund. Der wirtschaftlich schweren Zeit, die Flechtheim in größte finanzielle Verlegenheit brachte, schloss sich der politisch motivierte gesellschaftliche Niedergang an. Als prominenter Jude war Flechtheim besonders nationalsozialistischer Diffamierung ausgesetzt. Seine Berliner Galerie wurde aufgrund hoher Verschuldung 1933 noch vor Konkurseintritt liquidiert. Flechtheim sah sich gezwungen, nicht nur die Galeriebestände sondern ebenso große Teile seiner Privatsammlung auch zu kleinsten Preisen zu veräußern. Der Verbleib mancher Werke ist bis heute unbekannt. Das Haus an der Düsseldorfer Königsallee übernahm Flechtheims dortiger Geschäftsführer Alex Vömel.
Flechtheim verließ Deutschland und versuchte mit seinen französischen Geschäftspartnern und „seinen“ Künstlern im Londoner Exil einen Neuanfang. Es folgten rastlose Reisen durch Europa, niederdrückende finanzielle Probleme und die Sorge um seine in Berlin verbliebene Ehefrau Betti. Im Oktober 1933 schrieb Flechtheim an Grosz: „Da meine Künstler u. ich diffamiert sind, keine Chance in Bln Geld zu verdienen. Ich bin geldlos und pleite.“ Nur sehr langsam stellte sich der Erfolg ein. Die Engländer erwiesen sich als resistent hinsichtlich französischer Avantgardekunst. Doch der begnadete Kunstenthusiast und brillante Kommunikator schaffte es auch hier, den Boden zu bereiten. Ein größerer Durchbruch blieb ihm aber verwehrt. 1937 verstarb er an einer Blutvergiftung.
Flechtheim aktuell
Alfred Flechtheim bot in letzter Zeit zweimal Anlass für Schlagzeilen. Sein Name tauchte im Zusammenhang mit dem sogenannten Kölner Kunstfälscher-Skandal um den Maler Beltracchi auf, bei dem erfundene Flechtheim- Labels als Provenienzangabe die Rückseiten gefälschter Meisterwerke zierten, die für Millionen auf den Markt geschleust worden waren. Die Herkunft „Sammlung Alfred Flechtheim“ ist noch heute ein herausragendes Qualitätsmerkmal. Für über 60 Bilder in deutschen Museen haben Erben Flechtheims derzeit Forderungen auf Restitution (Rückgabe) gestellt (mehr). Welchen einzigartigen Stellenwert Flechtheims Sammlung einmal hatte, macht Biograf Dascher mit einem Satz deutlich: „Es gibt keine einzige deutsche Sammlung der Gegenwart, die auch nur annähernd diese Bedeutung besäße.“
Umstrittener Charakter
An Flechtheims Charakter und Lebensweise schieden sich die Geister. Die Autorin Thea Sternheim (1883-1971), vermögende Tochter eines rheinischen Industriellen aus Neuss und zeitlebens Flechtheim freundschaftlich verbunden, urteilte: „Ein prachtvoller Mensch. Künstler. Jude. Temperamentvoll.“ Für die Schauspielerin Tilla Durieux (1880-1971) war Flechtheim „…zwar hässlich, aber interessant“. Vernichtend dagegen 1925 das Urteil der Elberfelder Dichterin Else Lasker-Schüler (mehr) in ihrer Schmähschrift ´Ich räume auf´. Sie fühlte sich von Flechtheim ausgebeutet und nannte ihn einen „…ehrgeizigen Kunsthändler und Verdiener, der ebenso gut in den Gassen mit Pelzen handeln könnte… “ Den Zwiespalt in Flechtheims Wesen sah der Maler George Grosz. Für ihn war der Galerist ein Fossil, einer der „…letzten Überlebenden einer älteren, nun längst ausgestorbenen Kunsthändlergeneration, die in der Kunst nicht nur Ware sahen und sich oft überhaupt nicht wie Händler verhielten, sondern wie Mäzene.“
Die Biografie
Buchcover
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Dass sich der wirtschafts- und kulturgeschichtlich überaus versierte Ottfried Dascher als Biograf der Person Flechtheim annahm und fast zehn Jahre recherchierte, ist äußerst verdienstvoll. Was macht das Werk so lesenswert? Es ist zum einen ein anregendes, gut geschriebenes Buch, ein höchst detailreicher Lebensbericht. Zum zweiten unterfüttert der Autor die Biografie mit einer breiten Sicht auf die Kunstszene, den Kunstmarkt und -handel in der Zeit zwischen den Kriegen. Dies allein würde das Lesen schon lohnen. Und drittens ist für die Fachwelt die wissenschaftlich aufgearbeitete Dokumentation im Anhang ein „Nachschlagwerk für die Provenienzforschung“, wie der Autor erklärt. Eine CD-ROM bietet darüber hinaus die Ausstellungskataloge der Galerie Flechtheim von 1913 bis 1933 sowie die Festschrift zum 50. Geburtstag des Galeristen, der 1928 glamourös im Berliner Hotel Kaiserhof gefeiert wurde. In Summe keine spröde wissenschaftsschwere Abhandlung, sondern ein Buch, das mit einem kurzweiligen, passagenweise regelrecht spannenden Erzählstil auch weniger Kunstvertraute in seinen Bann ziehen kann. Wegen der ebenso zahlreichen kunsthistorischen Erläuterungen und Verweise ist man geneigt zu sagen: An Moderner Kunst Interessierte sollten es unbedingt lesen, für Studierende der Kunstgeschichte ist es Pflichtlektüre.
Claus P. Woitschützke
Ottfried Dascher:
„Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst“
Alfred Flechtheim, Sammler, Kunsthändler, Verleger.
Nimbus Verlag, Wädenswil (CH) 2011. 511 S., 1 CD
ISBN 978-3-907142-62-2
EUR 39,80
Mehr zu Alfred Flechtheim hier
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©Bilder Nimbus Verlag (3), Rheinisches Bildarchiv (1)