ARCHIV 2013
Mittelalterliche Skulpturen Made in Utrecht
Voller Anmut und Schönheit
Meister des Utrechter steinernen Frauenkopfes
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Es waren schwere Zeiten für klerikale Meisterwerke. Im reformatorischen Bildersturm, der über Europa in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hinwegfegte, versank viel einzigartige Sakralkunst in Schutt und Asche. Kostbarkeiten aus Utrechter Bildhauer-Werkstätten, die Brände, Zerstörungen und andere „ikonoklastische“ Ausschreitungen der Calvinisten in den Niederlanden und anderswo überstanden, sind derzeit im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum zu sehen.
UNTER dem Einfluss calvinistischer Prädikanten, Laienpredigern und Gemeindevorstehern reformierter Kommunen hatte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts in vielen Städten der Niederlande ein bilderfeindliches religiöses Milieu herausgebildet, das eine radikal ablehnende Haltung gegenüber Heiligenfiguren und anderen kirchlichen Bildwerken erzeugte. So auch in der an mittelalterlichen Kirchen reichen und alten Stadt Utrecht. Zwischen 1566 und 1580 wütete gleich dreimal der Kulturterror in den katholischen Gotteshäusern der Stadt, die zu jener Zeit für ihre Bildhauerkunst weit über die Grenzen hinaus bekannt war.
Christus und die Samariterin |
Dem allgemein als Bildersturm bezeichneten Zerstörungswerk reformatorischer Kräfte fielen in den Niederlanden und anderen europäischen Ländern große Teile von Kirchenschmuck, Gemälden, Skulpturen und Kirchenfenster zum Opfer. Im besten Falle wurden die einzigartigen Stücke sachgerecht aus den Gebäuden entfernt, verkauft und privatisiert. Dennoch: Viel Kirchenkunst ging unwiederbringlich verloren, wurde verbrannt, zerschlagen, beschädigt, auf Schutthaufen geworfen oder eingemauert den Blicken der Gläubigen entzogen.
Mit der Sonderausstellung „Made in Utrecht“ ruft das Aachener Museum den frühen Ruhm von Utrecht als herausragendem Zentrum in der europäischen Bildhauerkunst in Erinnerung. Die Schau, in Kooperation mit dem Utrechter Museum für Religionsgeschichte „Catharijneconvent“ gezeigt, macht deutlich, welche Ausstrahlung die niederländische Kunst, speziell die Bildhauerei, bereits vor der eigentlichen Hochzeit des Landes, dem „Goldenen Zeitalter“, besaß. Damit wird erstmals in einer Gesamtschau die hochstehende Kunst der Utrechter Bildhauerzunft in einem Museum in Deutschland präsentiert.
Metropole Utrecht
Utrecht hatte sich im späten Mittelalter zu einem ökonomischen, politischen, kulturellen und religiösen Mittelpunkt in den nördlichen Niederlanden entwickelt. Die Stadt, mit rund 20.000 Einwohnern größer als Amsterdam, war Bischofssitz und dem Erzbistum Köln zugehörig. Mit dem Bau des Doms St. Martinus und der Einrichtung einer Bauhütte stieg Utrecht zu einer der bedeutendsten Stätten spätmittelalterlicher Bildhauerei auf. Diese Blütezeit hielt bis in das 16. Jahrhundert an. Wie ein Magnet zog die Stadt talentierte Kunsthandwerker an, die in ihren Ateliers Auftragsarbeiten für Residenten ausführten. Über 60 Skulpturenbildner sind für die Zeitspanne 1430 bis 1530 durch Quellen belegt. Die Arbeit der Skulpteure schuf einen Handel von europäischen Dimensionen. Rohmaterialien wie Eichenholz und Stein wurden aus Litauen, Polen und Nordfrankreich bezogen, Pfeifenton aus Lüttich und Frechen. Zunehmend gingen die fertigen meisterlichen Arbeiten auch in den Export, vornehmlich nach niederrheinischen Orten, nach Westfalen, Norddeutschland, Frankreich, Spanien und Norwegen.
Franziskus von Assisi, Utrecht
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Gütesiegel Made in Utrecht
Die Aachener Kollektion zeigt 90 Exponate einer wichtigen Epoche der niederländischen Kunst, die üblicherweise weniger musealen Nachhall erfährt. Zu sehen sind monumentale, mit Figuren bestückte Altaraufsätze, Heiligenfiguren, detailreiche Tonfiguren, sowie Gedenksteine, Schlusssteine aus Kirchen und Kaminfriese. Denn auch im häuslichen Gebrauch galt „Made in Utrecht“ als Gütesiegel. Die Schönheit und der Reichtum dieser spätmittelalterlichen Kunstwerke aus Holz, Stein oder dem für die Region typischen hellen Pfeifenton, sind erstmals in dieser Breite zu sehen. Aus eigenen Beständen hat das Suermondt-Ludwig Museum fünf Werke eingestellt. Das Gros der Ausstellung bilden Leihgaben aus renommierten Häusern wie dem Pariser Louvre, dem Museum Schnütgen, den Staatlichen Museen zu Berlin, dem Amsterdamer Rijksmuseum und dem Victoria und Albert Museum in London.
Künstler und Skulpturen
Die Namen der Künstler lassen sich den Arbeiten nur selten zweifelsfrei zuordnen. Adriaen van Wesel ist solch ein Glücksfall. Er schuf großartige Altaraufsätze für Kirchen in Utrecht, Delft und `s-Hertogenbosch. Sein beeindruckendes Œuvre, darunter auch Heiligenfiguren, trägt in der Regel eine signifikante Handschrift. Gleiches gilt für Jan van Schayck. Der Wiedererkennungswert hilft auch, namentlich unbekannten Künstlern Werke zuzuordnen. Den Skulpteuren werden in diesen Fällen provisorische Namen oder Notnamen gegeben, die sich auf ihre prägnantesten und besten Arbeiten beziehen. Vorranging zu nennen sind der Meister des Utrechter steinernen Frauenkopfes und der Meister der Emmericher Heiligen.
Zu den herausragenden Exponaten in Aachen zählt das Leka-Altarretabel (um 1520-1530, Kirche von Leka). Auf den Flügeln sind zwei norwegische Heilige abgebildet: der Heilige Olaf und die Heilige Sunniva. Der Altaraufsatz, so wird angenommen, muss also von norwegischen Käufern geordert worden sein. Dieser Umstand verdeutlicht, wie weit der Ruf Utrechter Bildhauer und Bildschnitzer reichte. Heute befindet sich das prachtvolle Retabel in einer kleinen Kirche auf der norwegischen Insel Leka. Das Kunstwerk wird dem Meister des Utrechter steinernen Frauenkopfes zugeschrieben, einem der wichtigsten Skulpturenbildner aus Utrecht. Seinen Namen verdankt er dem Fahnenträger dieser Ausstellung, dem Steinernen Frauenkopf - auch Brustbild einer Frau genannt – aus dem erstes Viertel des 16. Jahrhunderts.
► Dass die Utrechter Bildhauerkunst gezeigt werden kann, ist intensiver Forschung und Sichtung zu verdanken. Fragmente von Steinskulpturen wurden erstmals bei Grabungs- und Restaurierungsarbeiten im 19. und 20. Jahrhundert gefunden. Die Holzskulpturen überdauerten den Bildersturm meisten bei Privatleuten, die sie in Sicherheit brachten. Heute befinden sich die Bildwerke in Privatsammlungen und Museen. In Norwegen und Frankreich überstanden komplette Altaraufsätze „Made in Utrecht“ die calvinistischen Zerstörungen. Diese in der Schau gezeigten Werke bestechen noch immer durch ihre originale Farbigkeit.
Franziska Bradel / Klaus M. Martinetz
Zu sehen ist die Ausstellung „Made in Utrecht – Meisterwerke der Bildhauerkunst 1430-1530“ bis zum 16. Juni 2013.
Suermondt-Ludwig-Museum
Wilhelmstr. 18
52070 Aachen
Tel.: 0241 – 47980
Öffnungszeiten:
DI, DO, FR 12 – 18 Uhr
MI 12 – 20 Uhr SA,SO 11 – 18 Uhr