rheinische ART
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rheinische ART 04/2023

Archiv 2023

FRÜHE RENAISSANCE
Carpaccio im Dogenpalast


Wer glaubt, in dem venezianischen Prunkbau gäbe es die berühmte Vorspeise aus rohem Rindfleisch mit Rucolablättern, der irrt. Hier geht es um einen Großen der Malerei.

 

Vittore Carpaccio Die Weihe des hl. Stephanus zum Diakon,1511, 149,5 x 235,3 cm, Öl, Gemäldegalerie Berlin. Bildquelle Wikipedia gemeinfrei

 

Es geht um den Maler Vittore Carpaccio, einem Künstler der Frührenaissance aus Venedig. Nach 60 Jahren wird diesem Meistermaler wieder eine Einzelausstellung in Europa ausgerichtet.

 

Vittore Carpaccio (1465–1525) historische Darstellung Bildquelle © wikipedia gemeinfrei

 

Vittore Carpaccio Die lesende Jungfrau, um 1505, oil on panel transferred to canvas 78 x 51 cm, Bildquelle © The National Gallery of Art, Washington

 

Zu Carpaccios Hauptwerk gehört das Gemälde des neunteiligen Zyklus Legende der Hl. Ursula, das er gegen Ende des 15. Jahrhunderts schuf. Da war der Venezianer, geboren 1460 oder 1465, so genau lässt sich das nicht mehr rekonstruieren, gerade Mitte Zwanzig.

     Derzeit ist im Dogenpalast (Palazzo Ducale) in Venedig eine große Retrospektive auf Vittore Carpaccio zu sehen. Die umfangreiche Ausstellung mit 45 Werken gehe, so teilt das Haus mit, auf Entdeckungen und neue Zuschreibungen sowie außerordentlich aufschlussreiche Restaurierungen der letzten Jahre zurück.

     Eine Neuentdeckung somit? Nein, aber immerhin eine Neubewertung!

 

Es ist unzweifelhaft, dass Carpaccio und seine wundersamen Bilder, die oft durch leuchtende Rot-/Weiß-Farbtöne bestechen, lange nicht im Blick der Kunsthistoriker standen. Die Farbkombination sollte noch Folgen haben!

     Erst mit einer Ausstellung in der Washingtoner National Gallery of Art, die im Februar dieses Jahres endete, wurde der Blick der Öffentlichkeit wieder einmal auf ihn gelenkt. Sehr zu Recht titelte die Schau „Master Storyteller of Renaissance Venedig“ und würdigte den Maler als eine führende Figur jener Kunstphase in Italien.


Obwohl er in seiner Heimatstadt seit Jahrhunderten wegen seines aufmerksamen Auges, seiner fruchtbaren Vorstellungskraft und seiner Fähigkeit zum Geschichtenerzählen geliebt und gefeiert wird, war die Washingtoner Ausstellung die erste Retrospektive des Künstlers, die jemals außerhalb Italiens stattfand. Nun ist sie in leicht veränderter Form in Venedig zu sehen.

Vittore Carpaccio Jagd in der Lagune, 1490/1495, Öl auf Holz, 756 x 638 mm,© Getty Center, Bildquelle © wikipedia gemeinfrei

 

Vittore Carpaccio Zwei Venezianerinnen (Zwei Kurtisanen), um 1490. Bildquelle © wikipedia gemeinfrei

 

Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro betonte zur Eröffnung der Schau, dass Carpaccios Werke viel mehr als die anderer venezianischer Renaissance-Künstler, das Wesen des `Venezianischen´, dies heiße, das opulente Spektakel und die Mythologie der Serenissima, „die damals auf ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Höhepunkt stand“, verkörpere.

     „Mit dieser Ausstellung feiert Venedig auch seine Geschichte, seine Tradition und einen seiner berühmten Maler, der mit seiner Kunst von der Stadt und ihrer Schönheit erzählt…“

 

In der Auswahl der Werke, die auch rund 30 Zeichnungen umfassen, werden auch jene großformatigen Gemälde präsentiert, die für wohltätige Vereine gemalt wurden, sowie kleinere Arbeiten, die einst die Häuser wohlhabender Venezianer schmückten.

     Einige der Gemälde, darunter die berühmte Lesende Jungfrau, wurden für die Ausstellungen speziell konserviert.

     Die ausgestellten Gemälde mit religiösen, profanen oder Genre-Themen verdeutlichen die große Vorstellungskraft, die erzählerischen und beschreibenden Fähigkeiten von Vittore Carpaccio, der zurecht als Meistererzähler in die italienische Kunstgeschichte einging, sowie seine gekonnte Maltechnik.

     Kaum ein anderes Meisterwerk des Venezianers ist dabei so geheimnisvoll geblieben wie das monumentale Abendmahl in Emmaus in der Kirche San Salvador. Die Restaurierung des Werks, verbunden mit der Entdeckung neuer Archivdokumente, bewies, dass das Gemälde Vittore Carpaccio zuzuschreiben ist. Dies war lange Zeit nicht sicher.

 

 

Vittore Carpaccio Abendmahl in Emmaus, 1513, Öl auf Leinwand, 272 x 355 cm. Bildquelle © Palazzo Ducale 2023.

 
Ein auffälliger Komplex von Zeichnungen zeigt dagegen seine besondere Fähigkeit, die Realität bis ins kleinste Detail zu „studieren”, und offenbart sein Interesse an der Natur, der Perspektive, den Bräuchen seiner Zeit und den Auswirkungen des Lichts.


Und nun doch noch einmal zum Carpaccio auf dem Teller. Des Malers Vermächtnis beschränke sich, wie es in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) heißt, nicht auf künstlerische Leckerbissen, er lebe auch kulinarisch fort. Das Rindfleischgericht mit der mayonnaiseartigen Sauce wurde, so geht die Legende, 1950 in Venedig erfunden.

     Dort existiert bis heute die berühmte Lokalität Harry´s Bar, nicht weit vom Dogenpalast entfernt. Dessen Gründer, Giuseppe Arrigo Ciprian, zählte die Contessa Amalia Nani Mocenigo zu seinen Stammkundinnen. Die Dame musste strenge Diät einhalten und durfte keine gekochten Speisen essen. Barchef Ciprian servierte hauchdünne, rohe Scheiben aus der Rinderlende, gepfeffert, gesalzen, dazu eine Mayonnaisen-Sauce. Das Rot-Weiß-Kolorit von Carpaccios Gemälden inspirierte ihn, er nannte die heute weltbekannte Vorspeise einfach Carpaccio. Sie wird in diversen Abwandlungen in fast jedem italienischen Restaurant angeboten. 
rART/ K2M

 

Harry´s Bar ist ebenfalls legendär geworden. Sie war Treffpunkt literarischer und filmischer Größen. Orson Wells (mehr) und Trumann Capote tranken dort ihre Drinks und Ernest Hemingway verewigte die Bar in seinem halbautobiografischen Roman „Über den Fluss und in die Wälder“ (mehr).
 


Die Ausstellung Vittore Carpaccio: Dipinti e Disegni. Venedig (Gemälde und Zeichnungen) kann bis zum 18. Juni 2023 besucht werden.
Fondazione Musei Civici
Palazzo Ducale

San Marco 1
30124 Venedig
Öffnungszeiten
Täglich 9 bis 18 Uhr

 

Zitat aus: NZZ, Samstag 8. April 2023, S. 10

 

 

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