Archiv 2016
VIA APPIA
Die unsterbliche Straße
Es dürfte nicht viele Landwege geben, deren Nimbus auch nur annähernd an den der Appischen Straße, der ersten römischen Staatsstraße, reicht. Der über 2300 Jahre alte Handels- und Heerweg, einst Lebensader des Imperiums, fasziniert bis in die Gegenwart.
Martin Claßen Via Appia Antica, vom Fortina di S. Andrea gesehen, zwischen Itri und Formia © Martin Claßen, 2014, RGM Köln 2016 |
Das Römisch-Germanische Museum in Köln (RGM) pflegt seine lange Tradition von Fotografie-Ausstellungen derzeit mit der Sonderschau „Via Appia - Photographien von Martin Claßen“.
Der aus Köln stammende Fotograf hat „Die Königin der Straßen“ mit seiner analogen Kamera bereist und Stationen dieser historischen Verkehrs- und Lebensachse in beeindruckenden Schwarz/Weiß- und Farb-Fotografien aus seinem ganz eigenen Blickwinkel heraus festgehalten.
Claßens Aufnahmen zeugen nicht nur von den technischen Errungenschaften des römischen Imperiums, sondern auch vom Umgang der Moderne mit der eigenen Geschichte. Beides – Antike und Moderne – sind an der Via Appia untrennbar und in einzigartiger Weise miteinander verwoben.
Martin Claßen Rombilder, Archiv-Nr. 05/2009 © Martin Claßen, 2009, RGM Köln 2016 |
Rund 540 Kilometer lang ist die berühmteste Straße Italiens. Sie verbindet Rom mit dem adriatischen Hafen und Handelsknoten Brindisi und sie war die erste Staatsstraße (via publica) im „Imperium Romanum“, die nach ihrem Bauherrn benannt wurde: nach Appius Claudius Caecus.
Der hatte den Auftrag zum Bau im Jahr 312 vor Christus erteilt. Für Straßenbauer waren es damals selige Zeiten, denn die Antike kannte kein bürokratisches Kleinklein, keine Planfeststellungsverfahren oder Prüfungen der Umweltverträglichkeit. Es wurde gebaut wie am Reißbrett geplant, und das hieß: möglich direkt und geradeaus. Mit vermeintlich unüberwindlichen Flüssen, Sümpfen oder Bergen machten die Ingenieure kurzen Prozess – die Herren waren Meister ihres Fachs.
In der Blütezeit des Imperiums im 2. Jahrhundert nach Christus vernetzten dann mindestens 100.000 Kilometer ausgebaute feste Fernstraßen mit Steinpflasterung das römische Territorium. Sie waren die Lebensadern des Weltreichs, unabdingbar für den Erhalt der Macht – und sie führten alle nach Rom.
Martin Claßen Ende der Via Appia in Brindisi II © Martin Claßen, 2014, RGM Köln 2016 |
Martin Claßens Fotoreportage entstand entgegen der antiken Richtung: Der Fotograf begann seine Arbeit von Rom aus südwärts durch den Mezzogiorno Richtung Brindisi.
Die Via Appia hat im Grundsatz an Bedeutung und Funktion kaum eingebüßt. Die antike und die moderne Trasse der heutigen unter Staatsregie betriebenen Strada statale 7 (SS7) sind zwar nicht durchweg identisch, stehen jedoch in untrennbarem Zusammenhang. Auf seinem langen Weg verläuft der historische Pflasterweg mal unter dem modernen Asphalt der Schnellstraße, mal ist er zum Feldweg, Bürgersteig, zur Parzellengrenze degradiert oder verliert sich im Gewirr von Wohnsiedlungen und Industrieanlagen.
Martin Claßen Tomba della Conocchia bei Capua © Martin Claßen, 2014, RGM Köln 2016
|
Ihre wirkliche Würde haben die historischen Streckenteile - als Via Appia Antica - in den Ruinen- und Gräberlandschaften südlich Roms, wo sich Katakomben, Grabsteine und -monumente kilometerlang reihen. Weniger würdevoll wird die grandiose Fernstraße dort auch populistisch „längstes Museum der Welt“ genannt.
Von der monumentalen Enge der Kapitale bis in die Weiten Apuliens durchzieht die Via Appia dann oft karge bäuerliche oder rücksichtslos gewachsene industrielle Landschaften.
Und der Beobachter und Reisende findet dort alle Memorabilien menschlichen Lebens: vom weithin verehrten Italo-Heiligen Padre Pio bis zur einfachen Muttergottes, über die Kitsch-Skulpturen der Gartenausstatter, die Skelette illegal gebauter Häuser und Hotels, die einsamen Supermärkte bis zu verlassenen Tankstellen und sinnlos um ihre Bedeutung ringende Parkplatzschilder. Auch das ist die große Via Appia!
Die Ausstellung „Via Appia. Photografien von Martin Claßen“ kann bis zum 11. Dezember 2016 besucht werden.
Römisch-Germanisches Museum
Roncalliplatz 4
50667 Köln
Tel. 0221 / 22124438
Öffnungszeiten
DI - SO 10 - 17 Uhr