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rheinische ART 03/2021

TIMM RAUTERT
Leben und Fotografie


Einer der wichtigsten deutschen Fotografen der Gegenwart wird 80! Das Museum Folkwang würdigt ihn mit der umfassendsten Werkschau, die ihm je ausgerichtet wurde.

 

Timm Rautert Tokaido Express, Tokio 1970, Silbergelatineabzug, 45,5 x 59 cm Museum Folkwang Essen © Timm Rautert

 

Die mehr als 400 Arbeiten veranschaulichen nicht nur die thematische und methodische Vielfalt im Werk von Timm Rautert (*1941), sondern lassen sich - nach Aussage des Veranstalters Folkwang Museum - auch als „...Dokumente des langen Wegs der Fotografie hinein ins Museum und in den Kanon der Kunst lesen“.

 

Timm Rautert aus: Variationsreihe, 1967, C-Print, 39,3 x 29,7 cm Leihgabe des Künstlers © Timm Rautert

 

Zwei Monate lang präsentiert das Essener Museum Folkwang den Fotografen unter dem Titel „Timm Rautert und die Leben der Fotografie“; es ist ein Abbild von fünf Jahrzehnten seines fotografisch künstlerischen Schaffens.
     Zu sehen sind Arbeiten aus Rauterts experimentellen Anfängen als Student Otto Steinerts (mehr), seine berühmten Porträtserien wie „Deutsche in Uniform“, „Eigenes Leben“, Werke aus seinem Projekt Artwork-Collagen und zur Rauminstallation L´Ultimo Programma (Venedig) aus dem Jahr 2014.
     Es ist also eine Retrospektive, die ein ganzes Berufsleben spiegelt. Seit Jahrzehnten, so die Kuratoren, gelinge es Timm Rautert, die wichtigsten Strömungen der Fotografie nicht nur zu erkennen, sondern auch entscheidend zu prägen. Sei es als Bildjournalist oder Porträtist, als Chronist der sich rasant verändernden Arbeitswelten oder als Hochschullehrer, der in Praxis und Lehre auf nachfolgende Generationen einwirkt – dies vor allem nach der „Wende“ über viele Jahre an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.

 

Timm Rautert aus: The Amish, 1974 Silbergelatineabzug, 17,4 x 26,8 cm Leihgabe des Künstlers © Timm Rautert

 

 Timm Rauterts Leben ist in der Tat eines mit und für die Fotokunst. Man könnte auch sagen: Rautert ist ein Berufener! Nach dem Studium in den Sechzigern erarbeitet er sich rasch ein solides Fundament für eine engagierte, sozialdokumentarische Fotografie.

     Die Themen und Fragen, die ihn in jenen frühen Jahren interessieren, sind vom sozialen und politischen Zeitgeist geprägt. Bei ausgiebigen Reisen durch die Vereinigten Staaten entstanden zum Beispiel bei monatelangen Aufenthalten in Pennsylvania beeindruckende Foto-Serien über die täuferisch-protestantischen Glaubensgruppen der Amish (1974) und der Hutterer (1978). Rautert gelangen damit sozusagen verbotene Blicke in jene erzkonservativen Lebensgemeinschaften, denen nicht nur ihr ausgeprägter Sinn für Reinlichkeit und Hygiene eigen ist. Vielmehr sind sie dafür bekannt, dass Fotografieren ihrem Glauben nach verboten ist.

 

Timm Rautert Schweizer Pavillon, 1970, aus: Expo `70 – Osaka Silbergelatineabzug, 50 x 56 cm Museum Folkwang Essen © Timm Rautert

 

Bereits in seinen ersten Profijahren setzte sich Rautert mit der dokumentarisch-journalistischen Fotografie auseinander. Erste Veröffentlichungen seiner Werke erschienen unter anderem im ZEITmagazin, das für Jahre sein wichtigster Auftraggeber war.   

     Seine Foto-Dokumentationen der Weltausstellung 1970 in Osaka (Japan) wurden vielfach publiziert und es folgte eine Berufung in die GDL (Gesellschaft Deutscher Lichtbildner). Aus jenen Jahren stammt seine Entwicklung der konzeptionellen Bildanalytischen Photographie (s. unten).

 

Über seine nahezu gesamte Schaffenszeit hinweg beschäftigt sich Rautert mit dem Thema „Arbeit“. Schon 1968 fotografiert er im Zuffenhausener Porschewerk in kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bildern die Produktionsschritte, die Arbeiter von Hand ausführten.

     Ein Vierteljahrhundert später dokumentierte er an denselben Orten die kolossalen Veränderungen, die mit der dritten industriellen Revolution ab den 1970er Jahren mit der computergestützten Informationstechnik und Automatisierung einsetzten. Seine Motive sind in jener Zeit bestimmt von beängstigend monströsen, vollautomatisierten Schweißrobotern, die immer mehr die Aufgaben der Mensch übernehmen.

 

Professoren-Kollegen der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst: der Maler Neo Rauch (r.) und Fotograf Timm Rautert bei der Ausstellung „Man muss sich beeilen, wenn man noch was sehen will…“. „Kunst auf Selikum“ im Gut Selikum/Neuss 2007. Foto © rheinische ART 2007.

 

Ab 1975 arbeitete Rautert regelmäßig mit dem Designer, Typografen und Grafiker Otto („Otl“) Aicher zusammen (mehr). Gemeinsam brachten sie mehrere Publikationen heraus, in denen sie eine analytische Präsentationsform für die berichtende Fotografie ausarbeiteten. 1988 erschien Rauterts Dokumentation der Entwicklung von Otl Aichers Schrift Rotis.

 

Timm Rautert Liane Schneider, 33 Jahre, Ground-Hostess, Deutsche Lufthansa, 1974, aus: Deutsche in Uniform C-Print, 28,7 x 22 cm Leihgabe des Künstlers © Timm Rautert

 

Noch ein Blick auf ein weiteres herausragendes Projekt ist angebracht. 1974 entstand die Porträtserie „Deutsche in Uniform“. Dies zu einer Zeit, als aus der vorgeschriebenen Berufsbekleidung noch Tätigkeit und Stellung einer Person zu erkennen waren. Zu der Fotoserie lud Rautert jeweils verschiedene Berufsgruppen in sein Studio ein und dokumentierte sie.

     Die Lufthansa-Stewardess Liane Schneider ist somit heute, fast fünf Jahrzehnte später, ungewollt Zeugnis einer damals  boomenden, zukunftsträchtigen Branche, bei der die Tätigkeit „über den Wolken“ noch ein Traumberuf vieler junger Frauen war. Wie sich die Zeiten ändern.
cpw


Zahlreiche renommierte Persönlichkeiten wurden von Rautert portraitiert. Unter ihnen bereits vor 50 Jahren die Künstler Franz Erhard Walther (mehr) und Andy Warhol (mehr).


 Timm Rauterts Bildanalytische Photographie zählt zu den wegweisenden Werken der deutschen Kunstfotografie der 1960er/70er Jahre. Die Fotogruppe besteht aus 56 Werken, von denen die meisten aus mehreren Bildern bestehen. Sie sind als einzigartige Kunstwerke konzipiert, da jedes der Bilder nur in einem einzigen Eindruck existiert. In diesen Arbeiten lotete Rautert Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der Fotografie aus und thematisierte Fragen künstlerischer Autorenschaft, von Einzelbild und Serie, Glaubhaftigkeit und Manipulation.


Die Ausstellung „Timm Rautert und die Leben der Fotografie“ kann bis zum 16. Mai 2021 besucht werden.
MUSEUM FOLKWANG
Museumsplatz 1
45128 Essen
Tel 0201/8845444
Öffnungszeiten
DI, MI 10 – 18 Uhr
DO, FR 10 – 20 Uhr
SA, SO, Feiertage 10 – 18 Uhr

 


 

 

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