Wachsen und werden lassen
Ob Kräuter-, Obst-, Klein- oder Klostergarten, in idyllischer Stadtrandlage oder in der engbebauten City als trendiges Urban Gardening: das Gärtnern ist seit Jahren „in“. Bedeutung und Aussehen der Nutzgärten haben sich jedoch gewandelt.
Gartenvergnügen Wenn es draußen grünt, blüht und wächst, freuen sich die Profi-Gärtner – wie auch die Laubenpieper. Zwei reife, rote Himbeeren an einem Strauch. Foto N. Breidenstein © LVR-Industriemuseum Papiermühle Alte Dombach, 2015 |
Wohin gärtnerische Landlust heute tendiert und ob da auch Landluft noch erfahrbar ist, beleuchtet eine Ausstellung vor dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen.
Die Mühen und Freuden der Gärtner im Jahreslauf zeigt die Schau „Stadt, Land, Garten - Zur Kulturgeschichte des Nutzgartens“ des LVR-Industriemuseums in der Papiermühle Alte Dombach in Bergisch Gladbach.
Pfirsichernte Solingen um 1930, Foto Privat © LVR-Industriemuseum Papiermühle Alte Dombach, 2015
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Bedeutungswandel Was einst überlebenswichtig war, ist heute vielfach Hobby und angesagte Fitnessübung. Ein Blick zurück lässt uns aber erinnern: Ohne das selbstangebaute Obst und Gemüse kamen viele Familien vor der Industrialisierung nur schwer durch die Winter.
Im Nutzgarten säen und anbauen, gießen und jäten, schneiden und umgraben, ernten, dann in Gläsern einkochen und konservieren und im Keller in Reih und Glied lagern – lange bestimmten diese Arbeitsschritte einen Teil der Versorgung im Alltagsleben zahlreicher Menschen.
Mit der Industrialisierung ab 1850 verschwand diese Notwendigkeit allmählich. In den neuen Ballungszentren zum Beispiel an Rhein und Ruhr war es auch nicht mehr selbstverständlich, dass für jeden Haushalt ein Garten zur Verfügung stand.
Samentütchen "Möhren" aus den 1930er Jahren Foto © LVR- Industriemuseum Papiermühle Alte Dombach, 2015
Traditioneller Garten Beispiel Bergisches Land 2014 Foto M. Peters © LVR- Industriemuseum Papiermühle Alte Dombach, 2015
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Garten-Ideen Es gab vielfältige Formen, mit denen die Kommunen und Arbeitgeber versuchten, möglichst vielen Arbeitnehmern das Gärtnern zu ermöglichen. Von der Brachflächen-Nutzung über Kleingartenanlagen bis zu Gartenstadt-Siedlungen oder den gängigen Arbeitersiedlungen mit Mehrfamilienhäusern, der Garten hinter dem Haus und dazu der Stall für eine Ziege, an der Ruhr die berühmte „Bergmannskuh“. Der gärtnernde Arbeiter, das stand fest, galt als zufriedener und zuverlässiger.
Garten und Notzeiten Mit dem Ersten Weltkrieg setzte eine dramatische Lebensmittel-Knappheit ein. Den Höhepunkt der Hungerkrise stellte der „Steckrübenwinter“ 1916/1917 dar. Staatliche Stellen versuchten, mit einer „Garten- und Feldoffensive“ die Not zu liedern: „Alles irgend nutzbare Land bis hin zu den freien Bauplätzen in den Städten ward bestellt“, hieß es 1916. Oft fehlte es jedoch an Kenntnissen, Saatgut und Düngemitteln und die neu bepflanzten Böden waren nicht ertragreich. Zwei Jahrzehnte später kam die Selbstversorgung aus dem eigenen Garten der „Blut und Boden“- Propaganda und den Autarkie-Bemühungen des Nazi-Regimes entgegen und wurde entsprechend gefördert. Die Zahl der organisierten Kleingärtner stieg deutlich. Im Zuge der Kriegszerstörungen verwandelten sich die Kleingarten-Lauben schließlich häufig in Notunterkünfte.
Urban Gardening-Projekt "Ermekeilgarten". Auf dem Gelände der ehemaligen geschichtsträchtigen Ermekeilkaserne in der Bonner Südstadt wird urbanes Gärtnern unter anderem in Hochbeeten gepflegt. Foto N. Breidenstein 2014 © LVR-Industriemuseum Papiermühle Alte Dombach, 2015 |
Gärtnern heute Mit dem Wirtschaftswunder ab Mitte der Fünfzigerjahre wurde der Zwang, einen Nutzgarten zu bewirtschaften, immer geringer. Aus Gemüseanlagen wurden gepflegte Rasenflächen mit Blumenbeeten, die „Laubenpieper“-Vereine wurden zu Rentnerparadiesen. Heute suchen viele Menschen, vor allem junge Familien, einen Gegenpol zum Alltag in der globalisierten und arbeitsteiligen Gesellschaft, pachten wieder Schrebergärten oder beteiligen sich an neuen Formen gemeinschaftlichen Gärtnerns.
Urban Gardening heißt ein populärer Trend in Großstädten. Dahinter verbirgt sich, was es eigentlich schon immer gab: der Anbau von Salat, Gemüse und Kräutern auf kleinteiligen Stadtflächen, manchmal auch auf Dachgärten.
Und als politischer Protest gegen Verbrachung öffentlicher Flächen oder Innenstadt-Tristesse kann auch schon einmal heimlich gesät, gebuddelt und gepflanzt werden. Dieses Guerilla-Gardening hat mittlerweile in vielen Metropolen Anhänger, oftmals aus der Umweltschutz-Szene.
Aber auch Künstler fanden und finden an dieser subtilen Form des Widerstandes Gefallen. Schon Joseph Beuys wollte mehr Grün in den Städten und sympathisierte heftig mit der Graswurzelbewegung.
K2M
Die Ausstellung „Stadt, Land, Garten - Zur Kulturgeschichte des Nutzgartens“ kann bis zum 20. Dezember 2015 besucht werden.
LVR-Industriemuseum
in der Papiermühle Alte Dombach
Alte Dombach/ Kürtener Straße
51465 Bergisch Gladbach
Tel. 02202 – 93 668- 0
Öffnungszeiten
DI-FR 10-17 Uhr
SA, SO 11-18 Uhr