rheinische ART
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rheinische ART 05/2012

 

ARCHIV 2012


Freizügig: Die große Degas-Schau in Paris

 

Sinnlichkeit durchs Schlüsselloch

 

Plakat zur Ausstellung

 

Seine Bildthemen waren zwar überschaubar, dafür aber sehr variantenreich: Portraits, Ballett, Tänzerinnen, Pferde und Jockeys, Frauen bei der Toilette. Was es von dem französischen Impressionisten Edgar Degas bislang nicht als eigenständigen Themenblock zu sehen gab, waren Aktbilder. Diese Lücke füllt das Pariser Musée d´Orsay derzeit mit einer mächtigen Ausstellung unter der Titel „Degas et le nu“.


ETWA 120 Bilder und Studien - Gemälde, leuchtende Pastelle und Aquarelle - aus mehr als 50 Jahren Schaffenszeit des „Célibataire“, der stets mit seiner Haushälterin zusammen lebte, werden präsentiert. Über Degas eigenartiges Verhältnis zum anderen Geschlecht ist viel spekuliert worden. Vermutlich war die Tatsache, dass er sein Privatleben abschottete und nur wenig Persönliches nach außen drang, der Treibsatz für die eine oder andere Titulierung durch Presse und Öffentlichkeit. Auf jeden Fall hat Edgar Degas (1834-1917) in seinem ganzen Künstlerleben unzählige nackte Frauen gemalt, wie jetzt unzweifelhaft in Paris zu sehen ist.

   Speziell dieses Sujet blieb jedoch bisher weitgehend im Hintergrund, wurde von seinen populären und gefragten Abbildungen der Pferderennen, Tanz- oder Genreszenen verdrängt. Die Aktdarstellungen blieben sozusagen „der geheime Garten“ des Malers, wie Kurator Xavier Rey kommentierte, und dürften als eines seiner Lieblingsthemen angesehen werden. Denn die Ansichten der Modelle wechselten im Laufe der Jahrzehnte, die Nacktheit aber blieb als Konstante.

 

Degas: „Une femme dans une baignoire s’épongeant la jambe“, um 1883, Paris, Musée d’Orsay, Vermächtnis des Grafen Isaac de Camondo, 1911, Musée d'Orsay, dist. RMN / Patrice Schmidt

 

Ablehnung der akademischen Malerei

 

Mit der Präsentation dieser Ansammlung nackter weiblicher Körper soll aber nach Aussage des Kurators nicht die Beziehung Degas zu den Frauen schlechthin dokumentiert werden als vielmehr sein künstlerisches Schaffen und die sichtbaren Veränderungen des Motivs „Akt“ über die Jahrzehnte. Mit einem chronologischen Aufbau und einer Gliederung in sieben Abschnitten gelingt es der Schau, Phasen der Kontinuität und des Wandels in Degas Akten zu verdeutlichen.

   So kann der Kunstinteressierte von den ersten klassischen Akt-Studien des jungen Studenten die Entwicklung zu realistischeren Formen etwa ab den 1870er Jahren nachvollziehen. Realistisch meint hier unter anderem Degas Weg, seine Motive am unteren Ende der sozialen Leiter zu suchen. Bei Waschfrauen, Büglerinnen oder Prostituierten. Letztere malte er, etwa auf Freier wartend, nackt in Bordellen und in einem immer wiederkehrenden Stereotyp: ausdruckslos, dick und unförmig. Grundsätzlich verzichtete Degas in seinen Spätwerken auf idealisierte Frauendarstellungen, stattdessen bevorzugte er natürliche Posen und Gestalten.

 

Galerie der Gesichtslosen

Degas: „Deux baigneuses sur l’herbe“, zwischen 1886 und 1890, Paris, RMN (Musée d’Orsay) / Hervé Lewandowski

 

Degas: „Après le bain, une femme s’essuyant les pieds“, 1886, Paris, Musée d’Orsay, Vermächtnis des Grafen Isaac de Camondo, 1911 , RMN (Musée d’Orsay) / Hervé Lewandowski

 

Im Vordergrund stehen bei Edgar Degas meisterhaften Aktmalereien Form und Bewegung. Mit distanziertem Blick hält er die weiblichen Körper in intimen Posen fest. Frauen beim Entkleiden, Waschen, Abtrocknen, Kämmen oder Frisieren. Die Gemalten lassen kein Gesicht erkennen, verbergen es hinter langen Haaren oder wenden sich ab – bleiben somit gesichtslos. Der Betrachter sieht oft nur ihren Rücken. Es sind impressionistische Bilder, von denen Degas selbst sagte, sie ähnelten einem Blick durch Schlüsselloch.

   Zunehmend ändert sich seine Formensprache, die Bilder werden größer und bewegter, die Ästhetik einfacher, bis die Frauenkörper nur noch schemenhaft ein Bild dominieren. Es sind die ersten Ansätze der Avantgardekunst, die das beginnende 20. Jahrhundert bestimmen sollte. Es gibt den vielzitierten Satz des Malers, der ihm den Ruf eines Frauenfeindes eintrug: „Vielleicht habe ich die Frauen zu sehr wie Tiere gesehen.“ Was nicht wörtlich zu verstehen war, eher sah der Meister in seinen Modellen reine Objekt der Malerei, die es zu ordnen und zu positionieren galt, ähnlich den Komponenten eines Stilllebens.

 

Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit dem Museum of Fine Arts / Boston organisiert und kuratiert worden. Zahlreiche grafische Werke des Künstlers entstammen der eigenen Sammlung des Musée d´Orsay, sie werden aus konservatorischen Gründen nur selten gezeigt. Leihgaben lieferten das Philadelphia Museum of Art, das Art Institute of Chicago und das Metropolitan Museum of Art, New York.

Bei der diesjährigen Maastrichter European Fine Art Fair (Tefaf), die am 25. März zu Ende ging, galten die Werke von Edgar Degas als heimliche Stars. Das Londoner Kunsthaus Dickinson bot zwei Pastelle des Meisters zum Kauf: einen Rückenakt für 1,25 Mio. US-Dollar und einen farblich großartigen Ballerinen-Klassiker für 5,2 Mio. Britische Pfund. Ein kleines Portrait-Foto von Degas aus dem Jahr 1895 wurde von dem New Yorker Fotohändler H.P. Kraus zu einem unbekannten Preis veräußert.

K2M

 

Die Ausstellung „Degas und der Akt“ (Degas et le nu) wird bis zum 1. Juli 2012 gezeigt.

Musée d´Orsay
1, rue de la legion d´Honneur
75007 Paris
Tel. +33 (0) 1 40 49 48 14

Öffnungszeiten:
DI,MI,FR,SA,SO 9.30 – 18.00 Uhr
DO 9.30 – 21.45 Uhr