Archiv 2022
SIMPLICISSIMUS
Das Schicksal des roten Hundes
Satire als spezielle Form der Kunst ist ein Mittel der gesellschaftlichen Streitkultur. Mit Ironie und bitterbösem Spott, Typisierung und Verzerrung, auch Übertreibung bis ins Groteske greift sie in Text und Bild an. Seit eh und je auch in Printmedien.
Th. Th. Heine DIE ROTE DOGGE, das Wappentier des Simplicissimus, entworfen 1896. Bildquelle © Käthe Kollwitz Museum Köln 2022
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Das Käthe Kollwitz Museum in Köln widmet dem wohl bekanntesten Satireblatt in der deutschen Geschichte eine erstklassige Sonderausstellung.
Es geht um die satirische Zeitschrift SIMPLICISSIMUS, die ab 1896 – also zu Zeiten von „Kaiser Wilhelm Zwo“ – in München herauskam, mit spitzer Feder kämpferisch gegen die herrschenden Kräfte des Wilhelminischen Kaiserreichs und die Gesellschaft antrat und vor so gut wie nichts zurückschreckte.
Ihr besonderes Merkmal war von Beginn an die Respektlosigkeit gegenüber Kirche, Militär, Politik, Beamtentum und überhaupt der gesamten bürgerlichen Moral.
Manchen galt die Zeitschrift mit dem aggressiv bullig-bissigen Wappentier, der roten Dogge, sogar als die „einzige echte Opposition“ nach der Jahrhundertwende. Der Grafiker Thomas Theodor Heine, aus dessen Feder der Kampfhund stammte und der zwei Jahre an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, wurde 1898 wegen Majestätsbeleidigung gar zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
A. Paul Weber „Rückgrat raus!“, 1951/1960, Lithographie. Erstdruck: Simplicissimus, Jg. 1954, Nr. 3, 30. Oktober 1954 © A. Paul Weber-Museum / VG Bild-Kunst, Bonn 2022 |
Die Gründung des mehrfach verbotenen, mit Sanktionen belegten und verklagten Blattes galt schon damals als eine große journalistische Leistung, wie Kurator Uwe Westfehling erläuterte.
Zu den sozial engagierten Künstlern, die bis in die Dreißigerjahre Bildmotive beitrugen, zählte übrigens auch Käthe Kollwitz (1867–1945). Nach dem Ersten Weltkrieg war die kritische Wochenschrift jedoch wechselhaften Schicksalen unterworfen: Gleichgeschaltet und gezähmt ging der SIMPLICISSIMUS im September 1944 schließlich an banaler, kriegswirtschaftlich bedingter Papierknappheit zugrunde.
Hanns Erich Köhler DYNASTIE ADENAUER AUSGERUFEN, 1955, Tusche, Feder und Pinsel, Deckweiß, aquarelliert © Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover. Veröffentlicht im Simplicissimus, Jg. 1955, Nr. 14, 1.4.1955
Manfred Oesterle CHEZ CHARLES, Simplicissimus, Jg. 1959, Nr. 37, S. 548, 12.9.1959
Henry Meyer-Brockmann DAS VETO DER BOMBE, Simplicissimus, Jg. 1956, Nr. 20, 19.5.1956
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Der rote Hund biss erst neun Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder zu – und zwar zur Zeit des hochschäumenden Kalten Krieges, des „Eisernen Vorhangs“, der deutschen Teilung und des Wirtschaftswunders.
Daher titelt die hochinteressante Kölner Ausstellung auch „Der neue SIMPLICISSIMUS. Satire für die Bonner Republik“. Denn wie ein Phönix aus der Asche, wie es im Museum heißt, erschien im Nachkriegsdeutschland ab 1954 der traditionsreiche SIMPLICISSIMUS neu: humorvoll, bissig, spöttisch bis vergnüglich und mit Karikaturen, die mit ihrem dekorativ handwerklich-künstlerischen Charakter bestachen.
Arrangeur des neuen Wochenblattes mit der einst großen Tradition war „eine frische Riege“ von politischen Publizisten, Kolumnisten und Karikaturisten, die satirischen Journalismus unter dem berühmten Titel wiederaufleben lassen wollte.
Ihr bevorzugtes Ziel: die Protagonisten des Ost-West-Konflikts und die Politik Konrad Adenauers in europäischen und in innerdeutschen Fragen.
An Kanzler Adenauer arbeitete sich der SIMPLICISSIMUS regelmäßig und beharrlich ab, der Staatsmann wurde kritisch, ironisch, gleichwohl doch auch mit Achtung behandelt. Vernichtende Kritik? Eher nicht! Dennoch: Die Karikaturen und Texte jener bundesrepublikanischen 13 SIMPLICISSIMUS-Jahre sind Meisterwerke des politisch-satirischen Witzes.
Auch das deutsch-französische Verhältnis, zuvor als Erbfeindschaft wie in Stein gemeißelt, mutierte im SIMPLISISSIMUS zur grandiosen Erbfreundschaft.
Und Charles de Gaulle und Konrad Adenauer verschmolzen 1963 zum genialen „kleineuropäischen Freundespaar“ (siehe unten). Daneben musste sich auch der „deutsche Michel“ Schmähkritik gefallen lassen.
Wie in dem historischen Vorbild waren es die Zeichner, die dem jungen Satireheft ein prägnantes Gesicht verliehen. Sowohl bereits bekannte Meister wie A. Paul Weber, aber auch neue Künstler wie Hanns Erich Köhler oder H.M.-Brockmann lieferten Beiträge mit Biss.
Das politische Umfeld der Aufbruchjahre mit seinem behäbigen Duktus gab schließlich so allerhand her. Erneut hieß es daher beim neuen SIMPLICISSIMUS: Angriff!
Bald schon wurde die rote Dogge von Politikern und anderen Spitzen der Gesellschaft wieder gefürchtet – und von seinen Lesern gefeiert. Die Blattmacher des wöchentlichen Hefts lieferten in Wort und Bild gesellschaftskritische Kommentare und publikumswirksame Glossen zu Sitten und Unsitten, Hoffnungen und Ängsten der jungen Bonner Republik. Beim Blick in den satirischen Zerr-Spiegel jener Jahre, darauf wies die neue Museumleiterin Katharina Koselleck hin, erscheinen die alten sozialkritischen Themen und politischen Spannungen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Entwicklungen in Osteuropa erschreckend aktuell.
Wigg Sieg UNSER TÄGLICH BROT GIB UNS HEUTE, Simplicissimus, Jg. 1961, Nr. 3, S. 42, 4.1.1961 |
Manfred Oesterle KLEINEUROPÄISCHES FREUNDESPAAR, Simplicissimus, Jg. 1963, Nr. 11, 16.3.1963
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Der Titel SIMPLICISSIMUS geht zurück auf den bedeutendsten deutschsprachigen barocken Schelmenroman des Dichters Hans Jakob Christoffel Grimmelshausen (1621–1676). Im Jahr 1668 erschien sein „Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch“ als humorvolle autobiographische Ich-Erzählung vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges.
Darin wird die facettenreiche und skurrile Lebensgeschichte eines nur scheinbar einfältigen Spessart-Buben namens Simplicius ausgebreitet. „Es hat mir so wollen behagen, mit Lachen die Wahrheit zu sagen“, schrieb Grimmelshausen zur Erstveröffentlichung.
Das Literaturdenkmal ist Bildungs-, Gesellschafts- wie Abenteuerroman, Robinsonade, Satire, erotische Groteske und vieles mehr und gilt als ebenbürtiger literarischer Bruder von Cervantes´„Don Quijote“.
Für den historisch wie politisch Interessierten ist die Ausstellung eine einzigartige Möglichkeit, die Entwicklung und das Schicksal der umstrittenen Zeitschrift, die ein Stück Mediengeschichte Deutschlands und Europas verkörpert, zu verfolgen. Ein Besuch ist nicht nur empfohlen, sondern dringend angeraten.
cpw
► Der SIMPLICISSIMUS gehörte wie der britische Punch, Frankreichs Le Charivari mit den provokanten Daumier-Karikaturen (mehr) oder die Berliner Polit-Satire Kladderadatsch von 1848 zu den berühmten Publikationen des Genres.
► Kuratiert von Uwe Westfehling und Katharina Koselleck. Die Ausstellung wird von einem Rahmenprogramm mit Führungen, einem Vortrag und einer Filmpräsentation sowie mit Workshops für Erwachsene und Kinder begleitet.
Die Ausstellung „Der neue SIMPLICISSIMUS. Satire für die Bonner Republik“ wird bis zum 3. Oktober 2022 gezeigt. (Verlängert bis 13. November 2022.)
Käthe Kollwitz Museum
Kreissparkasse Köln
Neumarkt Passage / Neumarkt 18-24
50667 Köln
Tel. 0221 / 227 -2899/-2602
Öffnungszeiten
DI – SO, Feiertage 11 – 18 Uhr
Erster Do im Monat 11 – 20 Uhr
► Literaturhinweis:
Hans Jacob Christoffel Grimmelshausen. Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch. Aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser. 762 Seiten. Verlag Eichborn AG Frankfurt am Main. Erfolgsausgabe des 296. und 297. Bandes der Anderen Bibliothek. ISBN 978-3-8218-4769-6