Archiv 2023
MUSEUM MORSBROICH
Sigmar Polke: Höhere Wesen befehlen
Wer kennt ihn nicht, diesen Satz: „Höhere Wesen befehlen“? Jedem, der sich auch nur ein wenig mit dem Künstler Sigmar Polke beschäftigt hat, ist dieser vertraut. Das Museum Morsbroich in Leverkusen setzt mit ihm im Ausstellungstitel ein bemerkenswertes Zeichen.
Sigmar Polke ohne Titel (Athanor), 1986, bearbeitete Fotografie; © The Estate of Sigmar Polke, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn 2023 |
Die Berufung auf „höhere Wesen“ als angebliche Stichwortgeber gehörte um 1970 für Sigmar Polke (1941-2010) zum künstlerischen Repertoire genauso wie die Arbeit mit provozierten Zufällen und viel Chemie in der Dunkelkammer. „Polke unterzieht die (Alltags)Welt einer fortwährenden Metamorphose, indem er sie in Bildern überarbeitet, rätselhaft verwandelt oder sie ironisch mit Bedeutung auflädt…“ schreibt das ausstellende Haus dazu.
Sigmar Polke mit Christof Kohlhöfer, Höhere Wesen befehlen…, Edition René Block, 1968, 1 von 14 Offset-Lithografien nach Fotografien, Sammlung Prigge; © The Estate of Sigmar Polke, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn 2023
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Wie „von göttlichen Mächten“ ferngesteuert, betitelte er eine legendäre Edition „Höhere Wesen befehlen“ (1968) und ließ sich als Palme (in dieser Zeit Sehnsuchtsmotiv der Wirtschaftswunder-Generation) fotografieren. Hier verinnerlichte er ein zentrales Thema seines Frühwerks: Die systematische Demontage der gängigen Kunstauffassung und überhöhten Wahrnehmung des Künstlers.
Ein Jahr später, 1969, produzierte er für das Museum Morsbroich den Film „Der ganze Körper fühlt sich leicht und möchte fliegen“ zusammen mit Christof Kohlhöfer. Dieser Film ist mit der erstmaligen Wiederaufführung auch Ausgangspunkt der jetzigen Ausstellung.
Entstanden ist er im Rahmen der Schau Conception, der ersten großen europäischen Konzeptkunst-Ausstellung, zu der Konrad Fischer eingeladen hatte.
Kohlhöfer und Polke lieferten mit ihrem Beitrag ein Werk, das eher wie eine Parodie oder eine Art karnevalistische Überbietung beziehungsweise Unterbietung der Concept Art wirken musste. Deren Ernsthaftigkeit begegneten die beiden Kreativen mit subversivem Humor, wenn Polke in ein Geflecht aus Schnüren eingespannt sich als zweiter Leonardo inszeniert und ein magisches Pendel im Film gar nicht anders kann als in Richtung ‚Polke‘ auszuschlagen.
Sigmar Polke ohne Titel (Quetta, Pakistan), 1974, bearbeitete Fotografie auf Agfa P90-Papier © The Estate of Sigmar Polke, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn 2023 |
Auf der Suche nach einem neuen (Künstler)Selbstverständnis wurde Polke zum Reisenden. Auf dem sogenannten „Hippie-Trail“ in Afghanistan und Pakistan Mitte der 1970er-Jahre war die Fotokamera sein ständiger Begleiter und er lichtete Szenen in pakistanischen Opiumhöhlen genauso ab wie Männergruppen auf der Straße oder Kampfszenen zwischen Bären und Hunden.
Bei der späteren experimentellen Überarbeitung seiner Aufnahmen in der Dunkelkammer lotete er die Grenzen des Mediums Fotografie aus. Die alchemistischen Metamorphosen für den Deutschen Pavillon auf der Biennale, für den Polke 1986 Werke schuf, sind hier ein gutes Beispiel. Seine Arbeiten veränderten sich im Wandel von Licht, Temperatur und Feuchtigkeit und führten seine manipulierten Fotografien fort.
Sein Statement: Der vom Künstler gesteuerte Zufall (und kein Gott) ist es, der diesen geschichtsträchtigen Ausstellungsraum überformt und mit gespenstischen Erscheinungen belebt.
„Wie Polke einerseits seinen Fotografien in der Dunkelkammer malerische Qualitäten verleiht, so gelingt es ihm andererseits Anfang der 1980er Jahre durch den Einsatz von Silbernitraten in der Malerei fotochemische Prozesse anzustoßen (stehen die Bertrachter:innen lange genug vor Polkes Silberbildern, so werden sie von/in diesen ‚fotografiert‘)“, informiert das Haus dazu.
► Von den frühen Zeichnungen und der Titel gebenden Edition spannt die Ausstellung mit einigen Werken aus der Grafischen Sammlung des Museum Morsbroich und Leihgaben aus der Sammlung Prigge den Bogen über Polkes Reisen nach Afghanistan und Pakistan (1974) bis zu seinen fotografischen Bearbeitungen des Deutschen Pavillons in Venedig (1986) und späten Experimenten am Fotokopierer, deren Dynamik auf die heute allgegenwärtige Manipulation von Bildern vorausweist.
► Die Ausstellung mit Fokus auf die Verspieltheit, die Leichtigkeit und Komik von Polkes Bilderkosmos ist ein Beitrag zum Morsbroicher Themen-Cluster Sieben Sinne, in dem es um alle möglichen Facetten im Spannungsfeld von Sinn und Sinnlichkeit am Ende des rationalen Zeitalters geht.
rART/ruwoi
Die Ausstellung „Sigmar Polke: Höhere Wesen befehlen“ ist bis zum 25. Februar 2024 zu sehen.
Museum Morsbroich
Gustav-Heinemann-Straße 80
51377 Leverkusen
Tel. 0214 / 4064500
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 17 Uhr
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