Archiv 2021
HISTORIE
Ein Ende unterm Fallbeil
Aufsehen erregende Einbrüche und Diebstähle sorgten in jüngster Zeit im Kulturmilieu für Schlagzeilen. Herausragend: Die Entwendung einer 100-Kilogramm-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum und der beispiellose Kunstraub aus dem Dresdner „Grünen Gewölbe“.
Vorstellung der Hinrichtung des Schinderhannes, Mainz, 1803, Holzschnitt, koloriert. Foto © Stadtarchiv Mainz, Bildquelle: Hunsrück-Museum Simmern. Text: „Execution des Johan Bickler, genant Schinder Hans. Welcher den 21. Nov. 1803 in Maynz Sambt 19 seiner Mitschuldigen durch die Gullotine Hingerichtet worden, jene So eine Mordthat begangen, trugen ein Rothes Hemde.“ |
Derartige Delikte gab es natürlich schon immer. Denn was heutzutage oft mit dem Begriff Clan-Kriminalität umschrieben wird, waren vor zwei Jahrhunderten unter anderem die gefürchteten Räuberbanden, die auch das Rheinland heimsuchten.
Karl Matthias Ernst Der Räuber Johannes Bückler, genannt Schinderhannes. Gouache um 1803. Foto © Wikipedia, gemeinfrei
Mathias Weber (Ausschnitt), aus: Broschüre, Köln 19. 2. 1803, Holzschnitte, Titelseite: 18 x 12 cm. Foto © Kölnisches Stadtmuseum
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Vor allem in politisch und territorial unsicheren Zeiten wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Höfe, Dörfer oder gar ganze städtische Siedlungen überfallen, die Bewohner malträtiert und ausgeraubt.
Die rheinischen Banden waren lose Gruppen von Dieben, Räubern, Plünderern und Mördern, die im Grunde vor nichts zurückschreckten - eine Art frühe Terroristen.
Am Mittelrhein und im Hunsrück verübte der berüchtigte Schinderhannes, bürgerlich Johannes Bückler, Hunderte von Untaten. Er gehörte zu den bekanntesten Vertretern in der damaligen Bandenkriminalität und wurde zum Mythos. Dies vermutlich deshalb, weil er mit seinen Raubgütern – wie die Fama geht – armen und kranken Menschen zu helfen suchte.
Stromabwärts war es Mathias Weber (1778–1803), Spitzname „Der Fetzer“, der mit seinen Kumpanen zwischen Rhein und Maas Angst und Schrecken verbreitete. Beiden Ganoven gelangen spektakuläre Verbrechen, beide narrten die Obrigkeiten unablässig und beide endeten letztlich – genau vor 218 Jahren und vor den Augen Tausender Zuschauer – unter dem Fallbeil, der eine in Mainz, der andere in Köln.
Der Niederrheiner Mathias Weber war ein eher physisch kleiner als großer Bandenführer, „mager und von schwachem Körperbau“, der allerdings als „kühn und gescheit“ galt, wie es seinerzeit in den Akten der Behörden vermerkt war.
Der gebürtig aus dem Weiler Dirkes westlich der Stadt Neuss stammende junge Mann war Holzknecht, desertierter französischer Soldat und seit Jahren berüchtigt wegen seiner gewagten wie gewalttätigen Raubzüge.
Weber und ein weiterer Bandenkönig namens Johann Müller aus Wetzlar hatten es im Herbst des Jahres 1799 auf den Postwagen der Köln-Elberfelder Linie abgesehen, mit dem jede Woche große Summen Geldes beförderte wurden.
In einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ brachte die rund 20 Täter umfassende Verbrechertruppe unter Waffenanwendung den nur schwach bewachten Postwagen vor dem Wirtshaus des Kneipiers Jansen, das gleichzeitig Poststation war, in ihre Gewalt. Ausgeraubt, gefesselt und geknebelt wurden die im Hause ruhenden Kutscher, Fuhr- und Wirtsleute, die keinen Widerstand wagten.
Reich mit Geld und Gold „bis zum Umfallen beladen“ flüchtete die Bande zum Rhein und setzte sich per Boot in das zu Frankreich gehörende linke Rheinland ab. Allein die Postbeute betrug 13.000 Reichstaler, ein damals ungeheurer Betrag.
Von ihren wechselnden Stützpunkten in Krefeld, Neuss, Köln, Neuwied und andernorts übten die Ganoven der sogenannten „Großen Niederländischen Bande“ mit Weber als einem der Anführer weitere Raubzüge am Nieder- und Mittelrhein aus. Mehrfach gefasst, gelang Weber immer wieder die Flucht, selbst aus Kerkern und Hafttürmen, wie in Köln und Neuss. Nach dem Langenfelder-Postraub allerdings wurde die Fahndung nach dem „Fetzer“ intensiviert, er wurde steckbrieflich sowohl von französischen als auch von hessischen und preußischen Behörden gesucht.
Zeitgenössisches Flugblatt über den Gefangenentransport 1802 von Frankfurt/Main nach Mainz. Foto (Auszug) © Stadtarchiv Mainz. Die bezifferten Personen, Text: 1 Der Schinderhannes 2 Der Schwarze Jonas (Christian Reinhard), welcher seinen 6jährigen Knaben zwischen den Beinen hat... 3 Des Schinderhannes Beischläferin mit einem halbjährigen Mädchen… 4 Des Schwarzen Jonas Frau 5 Der Schwarze Peter 6 Matthes Weber (Der Fetzer) 7 Amschel Riebeburg, ein Jude aus Rödelheim. Ein Offizier und 6 Mann von der französischen Grens d´armes begleiten den Wagen. |
Die düpierten staatlichen Autoritäten schlugen schließlich zu. Am 31. Mai 1802 wurde der Schinderhannes in Limburg an der Lahn erkannt und festgenommen. Weber ging den Gendarmen in Frankfurt am Main ins Netz. Mit mehreren Spießgesellen und einschließlich der „Beischläferinnen“ transportierte eine Militäreskorte die Räuberhauptmänner am „16. Juni 1802 Morgens um halb 4 Uhr nach Mainz“. Dort wurden sie den Franzosen zum Prozess übergeben und Weber unverzüglich nach Köln zum dortigen Gericht weitergereicht.
Mathias Weber erschlägt seine Ehefrau, (Ausschnitt) aus: Broschüre, Köln 19. 2. 1803, Holzschnitte, Titelseite: 18 x 12 cm. Foto © Kölnisches Stadtmuseum
Die Hinrichtung des Mathias Weber in Köln (Ausschnitt), aus: Broschüre, Köln 19. 2. 1803, Holzschnitte, Titelseite: 18 x 12 cm. Foto © Kölnisches Stadtmuseum
Karl Matthias Ernst Der Räuber Johannes Bückler genannt Schinderhannes mit seiner Braut „Julchen“ (Juliana Blasius, 1781–1851) und Kind, Kupferstich um 1803. Foto © Wikipedia, gemeinfrei
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In Köln war bereits im September 1801 gemäß eines Erlasses von Napoleon ein erstes Tribunal criminel spécial (Spezialgericht) eingerichtet worden, das sich ausschließlich der Bekämpfung der rheinischen Räuberbanden widmete.
Diese besondere Form der Gerichtsbarkeit konnte etwa für Überfälle auf offener Landstraße oder bandenmäßig begangene Delikte die Todesstrafe aussprechen. Spezialgerichte gab es in allen vier rheinischen Departements während der französischen Herrschaft, so auch in Mainz.
Bei seiner Vernehmung vor dem Kölner Gericht gestand „Der Fetzer“ 181 gelungene und über 121 misslungene Einbrüche und Überfälle. Besonders schwer wog die Tatsache, dass er seine Ehefrau Jahre zuvor ermordet hatte.
Das Spezialgericht verurteilte ihn zum Tode. Am Samstag, den 19. Februar 1803, wurde Mathias Weber auf dem Kölner Alter Markt guillotiniert. Es war die letzte öffentliche Hinrichtung auf dem Schafott in Köln und die letzte eines Räubers. Neun Monate später wurde fast auf den Tag genau Johannes Bückler, alias Schinderhannes, mit 19 seiner Kumpane in Mainz öffentlich geköpft.
Die Fallbeil-Strafen hatten einen geschäftlichen Aspekt und einen gewollt hohen Unterhaltungswert, da sie Abschreckung garantierten. Gewiefte Kölner Händler etwa hatten die Fetzer-Geschichte einschließlich des Mordes an der Ehefrau illustrieren und drucken lassen und verkauften sie.
Ähnlich zu ging es auch in Mainz beim Schinderhannes-Prozess. Der kurpfälzische Maler und Grafiker Karl Matthias Ernst (1758–1830) wurde zu dem Prozess zugelassen. Er fertigte im Gerichtssaal und teilweise auch im Gefängnis Bildnisse von einigen Angeklagten, die nach der Execution verkauft wurden. Von Ernst stammte auch das wohl berühmteste Portrait des Schinderhannes (siehe oben).
K2M
► Die Herleitung des Spitznamens „Fetzer" ist unklar. Der grausame Umgang des schmächtigen Weber mit seinen Opfern im Sinne eines „Zerfetzens“ ist eine Erklärung. Eine andere sieht den Wortstamm im Untergrunddialekt des Rotwelschen, den Landstreicher und Fahrendes Volk seit dem Spätmittelalter pflegten. In dieser Geheimsprache bedeutete „fetzen“ das (unbemerkte) Herunterschneiden von Packstücken von Kutschen.
► Bilder von Johannes Bückler, seiner Frau und dem 1802 geborenen Kind wurden Tage vor der Hinrichtung in Mainz zum Kauf angeboten. Je nach Anzahl der Vorabverkäufe sollte ein Kupferstich bis zu acht Batzen kosten, was in etwa einem Franken entsprach. Beim Kauf von zehn Bildern erhielt der Käufer ein Bild gratis als Draufgabe.
► Zur Zeit der Hinrichtung des Fetzers stand das linke Rheinland unter französischer Herrschaft. Es galt der republikanische Kalender der Französischen Revolution. Der Hinrichtungstag des Fetzers entsprach in dieser Kalendrierung dem 28. Pluvoise des Jahres XI.
Literaturhinweis, Zitation:
► Johann Nikolaus Becker, Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins. 3. Reprint der Originalausgabe von 1804 (Köln), Leipzig 1988
► Udo Fleck „Diebe – Räuber – Mörder“ Studie zur kollektiven Delinquenz rheinischer Räuberbanden an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Dissertation Universität Trier 2003.