Archiv 2023
PROTEST-ARCHITEKTUR
Lützerath – museumsreif!
Ist das Architektur oder kann das weg? Eine ungewöhnliche Frage, aber bei Demonstrationen angebracht. Denn scheitern Proteste, werden die Barrikaden, Baumhäuser, Zelte, Türme und Holzhütten früher oder später geräumt und zerstört.
2020–2023, Lützerath, Bundesrepublik Deutschland ,Zeltwiese mit Tower und „Reihenhaussiedlung“ Foto: Anna-Maria Mayerhofer, 8. Januar 2023 (CC BY-NC-ND 4.0). Bildquelle © DAM Frankfurt a.M. 2023 |
Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main widmet sich aktuell in einer bemerkenswerten Ausstellung der Protestarchitektur aus aller Welt. Die Schau mit dem Titel „Protest/Architektur – Barrikaden, Camps, Sekundenkleber“ bietet auf rund 1000 Quadratmetern zahlreiche Modelle, Fotos sowie eine eigens für die Ausstellung geschaffene 16-minütige Filminstallation des Frankfurter Regisseurs Oliver Hardt.
2019–2020, Hongkong Raumgreifende Barrikaden aus Ziegeln und Bambusstangen Foto: Studio Incendo, 13. November 2019 (CC BY 2.0) Bildquelle © DAM Frankfurt a.M. 2023 |
2020–2023, Lützerath, Bundesrepublik Deutschland Holzhaus „Rotkoeoelchen“ Foto: Anna-Maria Mayerhofer, 30. Mai 2022 (CC BY-NC-ND 4.0) Bildquelle © DAM Frankfurt a.M. 2023
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Es ist ein weit gespannter Bogen, der sich dem Besucher da bietet. Er reicht von 1968er Protestaktionen in den USA über Brasilien, Indien, Hongkong oder die Ukraine bis zu den Gorleben-Aktionen im Wendland, den Kairoer Demonstrationen auf dem Tahir-Platz und dem Hambacher Wald bis zu den jüngst abgeschlossenen Räumungen im Rheinischen Braunkohlerevier, namentlich dem Dorf Lützerath.
Protestarchitektur ist eine ganz besondere Form der Baukunst, realisiert oft unter Umgehung der amtlichen Bauvorschriften und Sicherheitseinrichtungen.
Ist diese Form der Bauaktivität denn nun tatsächlich Architektur? Das DAM gibt eine Antwort. „Proteste müssen stören, sonst wären sie wirkungslos. Wenn Störungen in den öffentlichen Raum ausgreifen und sich dort festsetzen, wenn sie ihn dauerhaft blockieren, verteidigen, schützen oder erobern, dann entsteht Protestarchitektur.“
Ohne Zweifel: Wenn Räume eingenommen, mit Camps besiedelt und durch Barrikaden befestigt werden, dann materialisieren sich die Forderungen und Ziele der Protestierenden.
Mehr oder weniger enge Strukturen werden aufgebaut, neue Kommunikationsformen entstehen, utopische Gesellschaftsmodelle blitzen auf. Der zeitliche Horizont der Protestarchitektur ist rein vom Erfolg bestimmt, wie es in der Ausstellung heißt. Und sie ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Können die Protestierenden sich durchsetzen, dann haben die Strukturen und Bauwerke ihren Zweck erfüllt und können aufgegeben werden.
2014, Umbrella Movement, Hongkong Protestcamp mit mehr als 2300 Zelten auf einer achtspurigen Straße im Central Business District von Hongkong. Während der dreimonatigen Besetzung wurde das Camp mit WiFi, gasbetriebenen Generatoren, Hotelbetrieb und Lernräumen ausgestattet. Foto: © Vicky Chan, 12. November 2014. Bildquelle © DAM Frankfurt a.M. 2023 |
Das DAM präsentiert 13 Protestereignisse mit detailreichen Modellen, gebaut an der Technischen Universität München und der Hochschule für Technik Stuttgart. Sie zeigen Protestcamps von der Resurrection City 1968 in Washington D.C. bis zu Lobau-bleibt!-Aktionen in Österreich.
Vierzig „Bodenstrukturen“ aus Lützerath, zumeist Pfahlbauten, wurden von Rokas Wille (HfG Karlsruhe) mit Fotopapiermodellen dokumentiert. Sehr auffällig: Gemeinsam mit Aktivisten konnte eine Hängebrücke aus dem Hambacher Wald übernommen werden. Auch ein 1:10 -Hängemodell des Barrios Beechtown, das 2018 bei der Räumung des Hambacher Waldes zerstört wurde, bereichert die Schau.
2013-2014, Majdan-Proteste, Kyjiw, Ukraine Barrikade aus mit Eis gefüllten Plastiksäcken Foto: Oleksandr Burlaka, 13. Dezember 2013 (CC BY-NC 2.0) Bildquelle © DAM Frankfurt a.M. 2023
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Zu sehen sind ferner Zeltstädte in Hongkong und New York und eine Autobahnblockade mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen in Delhi, die zu Häusern umgebaut waren – und das für rund 16 Monate.
Dass Protestbewegungen den öffentlichen Raum nicht nur durch ihre Botschaften prägen, sondern auch durch ihre meist kurzzeitigen Bauten, verdeutlich das DAM. Dabei bleibt die Ausstellung nicht an Aktuellem hängen, sondern liefert auch Beispiele aus den letzten 200 Jahren.
Erstmalig werden hierbei verschiedene Protestformen auch aus baulicher Perspektive systematisch miteinander verglichen, unter anderem die Barrikaden der 1848er Revolution, die Pfahlbauten der Atomkraftgegner der „Freien Republik Wendland“, die Zeltstädte des Arabischen Frühlings, wie auch die Baumhäuser im Hambacher Forst oder die Laserpointer-basierten Lichträume der Demonstranten in Hongkong. Das Projekt strebt an, Protest in all seiner Vielseitigkeit, aber auch all seiner Ambivalenz zu veranschaulichen.
rART/K2M
Die Ausstellung „Protest/Architektur – Barrikaden, Camps, Sekundenkleber“ ist bis zum 14. Januar 2024 zu sehen.
Interimsquartier des
Deutschen Architekturmuseums DAM OSTEND
Henschelstr. 18
60314 Frankfurt am Main
Tel 069 – 212 388 44
Öffnungszeiten
DI, DO, FR 12 – 18 Uhr
MI 12 – 19 Uhr
SA, SO 11- 18 Uhr