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rheinische ART 03/2015

Archiv 2015

KULTUR UND KOMMERZ

Pirellis Pneus und die Streetart


Wie gibt man einem nüchternen, zahlen- und faktenreichen Geschäftsbericht eine kulturelle Note? Der Reifenkonzern Pirelli in Mailand zeigt, wie´s geht. Und das bereits seit Jahren. Der Wirtschaftsreport 2014 ist mit Kunst der Streetart bestückt.

 

Kreativität als Teil der Firmenphilosophie: Die brasilianische Streetart-Künstlerin Marina Zumi bei der Bearbeitung ihrer Pirelli-Schauwand. Foto © Pirelli Milano 2015

 

Zwei Printprodukte aus dem Hause Pirelli sorgen alljährlich für Furore. Der berühmte, begehrte und viel nackte Haut zeigende Pirelli-Kalender, der nicht im Handel zu erhalten ist sondern vom Reifenkonzern nur limitiert verschenkt wird, und der gedruckte Geschäftsbericht.


Beide Werke
sind in gewissem Sinne kreative Highlights. Das eine im Genre Erotik mit modernen Pin-Ups weltweit renommierter Fotografen, das andere mit seinen künstlerischen "Einlagen", in diesem Jahr mit Abbildungen einer Streetart-Installation aus dem eigenen Kulturzentrum.

 

Straßenkunst-Installation im Mailänder Kunstzentrum "HangarBicocca" des multinationalen Reifenkonzerns Pirelli.  Das Foto zeigt den Beitrag des deutschen Streetart-Künstlers Christian Krämer. Foto © Pirelli Milano 2015

 

Installation  Die junge Kunstgattung Streetart ist im neuen Geschäftsbericht das künstlerisch zentrale Thema. Drei Künstler interpretierten und illustrierten das Konzernprodukt „Reifen“ in drei eigenständigen Arbeiten, die zu einer Installation in Form einer Art Pyramide von rund fünf Metern Höhe zusammengesetzt wurden. Auf den etwa 20 Quadratmeter großen Seitenflächen brachten die Urban Art-Vertreter ihre Malerei an. Ende Februar zeigte Pirelli im Mailänder Kunstzentrum „HangarBicocca“, einer von Pirelli finanzierten Kreativschmiede, diese Installation.

     Die entstandenen Kunst-Objekte sind als Abbildungen Teil der geschäftlichen Berichterstattung des Konzerns. Das hat bei den Mailändern Tradition, oder anders gesagt: die Verbindung von Kultur und Kommerz ist Firmenphilosophie.

 

Zahlen- und Kunstwerk in einem. Der Pirelli-Geschäftsbericht 2014 in Druckform. Foto © Pirelli Milano 2015

 

Tradition Schon in den Vorjahren lieferte die Geschäftsführung ihren Jahresrapport stets mit Fotografien, Illustrationen und Texten von namhaften Kreativen ab, denen es jedes Mal eindrucksvoll gelang, die „Pneus“ aus überraschenden Blickwinkeln zu betrachten oder in ungewöhnliche Texte zu integrieren.

     Für den Pirelli Jahresbericht 2014 befassten sich drei international bekannte junge „Straßenkünstler“ mit dem Produkt Reifen. Die brasilianische Künstlerin Marina Zumi (*1983, Sao Paulo) präsentierte ihn als Mond, der in Karlsruhe lebende DOME alias Christian Krämer (*1975, Karlsruhe) stellte ihn als Hauptfigur einer Liebesszene dar, während der russische Streetart-Aktive Alexey Luka (*1983, Moskau) den Reifen als verbindendes Band zwischen Kulturen darstellte.

 

Pirelli begründet diese Form des künstlerische Ausdruck für seinen Geschäftsbericht 2014 damit, dass die Straße, die Mobilität sowie das multikulturelle Miteinander nicht nur typische Merkmale der Straßenkunst seien, sondern auch elementare Bestandteile der eigenen Unternehmenskultur. Zudem würden Reifen ihre tiefere Bedeutung aus dem Wunsch der Menschen nach Mobilität gewinnen und ihre Fähigkeiten alleine auf der Straße unter Beweis stellen.

 

Werbeplakat für Pirelli-Reifen 1921 von Marcello Dudovich (1878-1962), der auch beim bekannten Münchener Satiremagazin "Simplicissimus" mitarbeitete. Foto © Pirelli, Milano 2015

 

Werbeplakat für Pirelli-Reifen 1934 von Renzo Bassi (1903-1978). Bassi war gefragter Illustrator für Motive aus der Fahrzeug- und Motorbranche. Foto © Pirelli Milano 2015

 

Werbeplakat für Pirelli-Reifen 1955 von Armando Testa (1917-1992). Der Turiner Grafiker und Werbefachmann entwarf unverwechselbare, witzige Werbebilder und galt als einer der führenden italienischen Grafikdesigner. Foto © Pirelli Milano 2015

 

Kunst-Engagement  Der offene und intensive Meinungsaustausch mit Künstlern sowie ein hohes Interesse an allen Formen der Kultur sind eine bemerkenswerte Konstante in der über 140-jährigen Unternehmensgeschichte von Pirelli.

     So ließ Giovanni Battista Pirelli (1848-1932) bereits kurz nach der Gründung seiner Gummifabrik 1872 die Firmengebäude in Mailand von renommierten Malern und Illustratoren porträtieren. Und ebenso früh nutzte das Unternehmen die Fähigkeiten und Inspirationen der Künstler, um spektakuläre Werbeanzeigen für Pirelli-Reifen kreieren zu lassen.

     Das kulturelle Engagement von Pirelli geht jedoch deutlich weiter und spiegelte sich auch in der 1949 gegründeten Firmenzeitschrift Rivista Pirelli. Darin veröffentlichten bis 1972 Größen des Journalismus sowie der Literatur, Fotografie und Kunst exklusive Artikel, Aufnahmen und Bilder zu technisch-wissenschaftlichen und kulturellen Themen. An diese Tradition knüpft seit 1994 das englischsprachige Pirelli-Magazin World an. Es ist redaktionell auf Wissenschaft, Technologie und Innovation, Kunst, Wirtschaft, Architektur und Mode fokussiert – alles Themen, denen sich der Industriekonzern seit seiner Gründung verbunden sieht.


Technik und Kunst  Künstlerische Reifendarstellungen waren - neben der Illustration der rein technisch-physikalischen Aspekte eines Fahrzeugreifens - über Jahrzehnte wichtiges Marketinginstrument des Herstellers. Ab 1950 ließ das Unternehmen für gut zwei Jahrzehnte seine Produkte von Grafikdesignern und Werbespezialisten aus ihrem ursprünglichen Kontext lösen und in neue Zusammenhänge integrieren. Diese neuen grafischen Darstellungen weckten Emotionen und der einfach wirkende und doch technisch hochkomplexe runde, schwarze Reifen wurde mehr als ein Hightech-Erzeugnis für die Mobilität, er bekam so etwas wie eine Seele, jedenfalls in der Werbung.
     Die enge Verflechtung von Pirelli mit der Kunst hat seit einigen Jahren auch einen festen geografischen Bezugspunkt: Im Mailänder Stadtbezirk Bicocca, einst ein großer Industriekomplex, ließ der Reifenproduzent einen rund 180 Meter langen Hangar renovieren und in ein Kunstzentrum ausbauen, ohne den rauen Charme der Werksarchitektur zu opfern. Kontinuierlich von der Pirelli Stiftung gefördert, entwickelte sich der „HangarBicocca“ dank spektakulärer Ausstellungen in kürzester Zeit zu einem wichtigen Kunstzentrum Norditaliens.

bra