rheinische ART
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rheinische ART 12/2022

Archiv 2022

ZUM 150. GEBURTSTAG
Reduktion auf das Wesentliche

 

Rot, Gelb, Blau – dazu schwarze horizontale und vertikale Streifen in Schwarz auf Weiß: mehr braucht es nicht, um ihn zu erkennen. Piet Mondrian ist unverwechselbar.

 

Piet Mondrian Bosch (Wald); Wald bei Oele, 1908, Öl auf Leinwand, 128 × 158 cm. Kunstmuseum Den Haag, Niederlande, Vermächtnis Salomon B. Slijper © 2022 Mondrian/Holtzman Trust

 

Doch was war vor der Abstraktion? Die Schau „Evolution“ im Düsseldorfer k20 präsentiert den frühen Mondrian (1872-1944) und zeigt dessen künstlerischen Weg von den gegenständlichen Arbeiten mit realistischen Formen, die er malte, hin zu der geometrischen Abstraktion mit Kompositionen, die ihn berühmt machten, auf.

     Neoplastizismus nannte er diesen von ihm kreierten Stil mit seinen radikalen Abstraktionen, die heute stilbildend längst Einzug gehalten haben in die Populärkultur als Design von zum Beispiel Socken, Tassen, Brillenetuis oder Vorhängen bis hin zur Architektur im Innen- wie im Außenbereich. „All-over Mondrian“ (mehr) titelte schon 2010 treffend eine Schau im Kölner Museum für angewandte Kunst.

 

Piet Mondrian Komposition mit großer roter Fläche, Gelb, Schwarz, Grau und Blau, 1921, Öl auf Leinwand, 59,5 x 59,5 cm, Kunstmuseum Den Haag, Niederlande

 

Doch der „Neoplastizismus“ ist mehr als Design. Er ist das Ergebnis der lebenslangen Suche des Künstlers nach einer universellen Bildsprache, die das „tiefste Wesen alles Bestehenden zum Ausdruck bringt“, so die Ausstellungsmacher.
      Der Weg hin zu diesem außerordentlichen Ziel, das ist es, was die Ausstellung aufzeigt. Mondrian begann – es war Ende des 19. Jahrhunderts – im Stil der Haagener Malerschule, die von Realismus und Impressionismus gleichermaßen beeinflusst war, zu malen. Einen entscheidenden Einfluss auf ihn hatten die Werke Vincent van Goghs und der Symbolismus von Jan Toorop.

     In Paris, wo der Niederländer sich ab 1911 aufhielt, war es die Begegnung mit dem Kubismus, der in jener Zeit entstand und dessen Protagonisten keine Geringeren als Pablo Picasso, Georg Braque oder Juan Gris waren. Er war nicht weniger als der revolutionäre Beginn der Auflösung der naturalistischen Darstellung.

 

Piet Mondrian Baum, 1912, Öl auf Leinwand, 74,9 x 111,8 cm, Utica, Munson-Williams-Proctor Arts Institute © bpk / Munson-Williams-Proctor Arts Institute / Art Resource, NY


Das ausstellende Haus bemerkt: „Verfolgt man die bemerkenswerte Entwicklung Mondrians in der Ausstellung, wird deutlich, dass es wiederkehrende Konstanten in seinem Werk gibt: Zum einen, von Anfang an, ein offensichtliches Interesse am Experimentieren mit Strukturen und Rhythmen einzelner Motive und Linien. Zum anderen hat Mondrian wohl schon früh die Auffassung gehabt, dass Bilder bei den Betrachtenden die Vorstellung einer eigentlich unsichtbaren geistigen Dimension hervorrufen können. Und dann ist Mondrians Werk wohl grundsätzlich von der Idee geprägt worden, sich vom Naturvorbild ausgehend durch fortschreitende Abstraktion immer mehr auf das Essentielle des Bildes an sich zu konzentrieren, bis hin zu den abstrakten Bildern seiner späteren Jahre.“

 

Piet Mondrian Windmühle bei Sonnenschein, 1908, Öl/L, 114,8 x 87 cm, Kunstmuseum Den Haag

 

Seine Sujets waren oft die typischen Objekte seiner Heimat: Windmühlen, Bäume, Bauernhöfe, Dünen. Wie weit tatsächlich auch der gedankliche Schritt war, hin zu der radikalen Abstraktion, kann der Betrachter nur erahnen.

     Stark durch die niederländische Kunsthistorie geprägt und Mitbegründer der holländischen Stilrichtung De Stijl 1917 (mehr) gelang ihm sein tatsächlicher Durchbruch in New York, wo er ab circa 1940 lebte. Folgt man den Erzählungen der Kuratorinnen Kathrin Beßen und Susanne Meyer-Büser, wäre der Künstler Mondrian ohne seine Internationalität wohl kaum das geworden, was er wurde. Er lebte den Kultur-Austausch über die Grenzen hinweg, geografisch wie in der Kunst.
Irmgard Ruhs-Woitschützke


Doch die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen wartet im Rahmen dieser Ausstellung noch mit einer besonderen kunsthistorischen Entdeckung durch Susanne Meyer-Büser auf. Protagonist der besonderen Geschichte ist die Arbeit New York City I aus der eigenen Sammlung. Doch lassen wir hierzu das Haus selbst zu Wort kommen.

 

Die Kuratorin Susanne Meyer-Büser anlässlich ihrer Präsentation zu den neuesten Ergebnissen ihrer kunsthistorischen Forschung. Foto © rheinische ART 2022


Upside Down? Die Entstehungsgeschichte von New York City I birgt für die Nachwelt einige Rätsel und auch die Frage, ob das Werk vom Nachlassverwalter korrekt erfasst worden ist. Harry Holtzman, dem Mondrian die Besitzrechte an seinen Werken zu Lebzeiten überschrieb, gestattete einem Fotografen wenige Tage nach Mondrians Tod Aufnahmen im Atelier zu machen.

     Im Juni 1944 wurden die Fotos im Rahmen einer Modereportage in dem Magazin „Town and Country“ abgebildet. New York City I ist im Anschnitt zu sehen, es steht auf einer Staffelei und ist erstaunlicherweise um 180 Grad gedreht, es steht auf dem „Kopf“. Mondrian hatte im Atelier noch wenige Tage zuvor gearbeitet, vielleicht sogar an diesem Werk. Könnte es daher sein, dass die im Foto gezeigte Ausrichtung die von Mondrian intendierte, die richtige ist?

 

Die Kuratorin Susanne Meyer-Büser bespricht das Werk New York City I der Kunstsammlung NRW. Foto © rheinische ART 2022

 

Wer hat das Bild danach umgedreht, und mit welcher Absicht? War es vielleicht Zufall und bloß ein Versehen, wie es gelegentlich beim Ein- und Auspacken von Transportkisten vorkommt? – Ob die bisher für richtig gehaltene Ausrichtung die wirklich gültige ist, wird sich vielleicht nicht mehr klären lassen, bietet aber Anlass, genauer hinzuschauen: Lässt man sich auf das Experiment ein und dreht New York City I um 180 Grad, so stellt man überrascht fest, dass es weiterhin „funktioniert“. Sehr gut sogar. Die Intensität und die Plastizität der Komposition wachsen. Die Dichte der Streifen am oberen Rand lässt das Werk nun dem Schwesterbild New York City ähneln, dessen dichteste Zone ebenfalls am oberen Rand angesiedelt ist. Auch die blauen Streifen am linken, am oberen und am unteren Rand verlaufen nun vollkommen gleich.

     Eine detaillierte restauratorische Untersuchung der Verlaufsrichtung der Klebestreifen bei New York City I steht noch aus, aber ein erster Augenschein erhärtete den Verdacht. Beim umgedrehten Bild sind die Klebestreifen am oberen Rand in Übereinstimmung mit der Bildkante platziert, dagegen laufen die Klebestreifen am unteren Rand aus, hier und da fehlt ein Stückchen. Geht man davon aus, dass Mondrian die Klebestreifen gemäß der Schwerkraft oben ansetzte und dann übers Bild hinweg bis nach unten befestigte, so steht das Gemälde in der Tat seit der ersten Ausstellung im Jahr 1945 auf dem Kopf.

     Vielleicht hat Mondrian das Werk im Laufe des Arbeitsprozesses aber auch immer wieder gedreht und es gibt überhaupt keine richtige oder falsche Ausrichtung? Vielleicht ist es das eigentlich Revolutionäre in New York City I, dass es wie der Stadtplan einer Metropole in alle Richtungen gelesen werden kann. Open minded, in alle Richtungen sich bewegend, wie die Tanzpaare beim Boogie-Woogie.“


 Die Ausstellung Mondrian. Evolution ist ein gemeinsames Projekt der Fondation Beyeler in Basel und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und ist entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Den Haag.

     In der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen befinden sich vier neoplastische Werke Mondrians, die der Gründungsdirektor des Museums Werner Schmalenbach durch Vermittlung von Ernst Beyeler erwarb – Komposition mit Gelb (1930), Komposition mit Blau und Weiss (1936), Rhythmus aus geraden Linien (1937- 1942) in den frühen 1960er-Jahren – und das berühmte New York City I (1941) mit zeitlichem Abstand im Jahr 1980.

 

Die Ausstellung „Mondrian Evolution“ ist bis zum 12.Februar 2023 zu sehen.
Kunstsammlung NRW
K20

Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
Tel. Besucherservice: 0151 1161 8090
Öffnungszeiten
DI – FR 10 – 18 Uhr
SA + SO 11 – 18 Uhr

 

 

 

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