ARCHIV 2013
Kunstmuseen Krefeld / Die Ära Paul Wember
„Ein hyperaktives Aufklärungsinstitut“
Paul Wember über das Museum
Buchcover
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Wenn Paul Wember zur Eröffnung einer Kunstausstellung einlud, pilgerte die Kunstwelt – gleich ob niederrheinischen oder internationalen Ursprungs – in die Wilhelmshofallee 91 in das Museum Haus Lange in Krefeld. Viele aus echtem Interesse, viele aus Neugier und viele, um sich ihre herkömmlichen Vorstellungen von Kunst bestätigen zu lassen. Denn Wembers Ausstellungen an diesem Orte waren ungewöhnliche, auch gewagte Präsentationen zeitgenössischer Kunst und ein Skandal nicht unbedingt fern.
WER WAR Paul Wember (1913 – 1987), was seine Überzeugungen, was seine Intuitionen? Das Buch mit dem Titel „Paul Wember und das hyperaktive Museum“ gibt nun Aufschluss darüber und erzählt die fast unglaubliche Geschichte eines begnadeten Kurators, der als Direktor des Kaiser Wilhelm-Museums in Krefeld und später auch des Hauses Lange und damit quasi in der „Provinz“ Kunstgeschichte der Nachkriegszeit schrieb. Die beiden Herausgeberinnen Sabine Röder und Sylvia Martin, beide Kunstmuseen Krefeld und Autoren des Buches (zu denen noch Bernward Wember, Sohn von Paul und Tomma Wember zählt) haben aufwändig in institutseigenen und städtischen Archiven recherchiert, Pressemeldungen, Pressespiegel, Kritiken und Korrespondenzen gelesen und ausgewertet.
Wember, geboren in Recklinghausen, kam über Lübeck in die Samt- und Seidenstadt am Niederrhein. 1944 übernahm er die Leitung des St. Annen-Museum in Lübeck, da er aufgrund einer schweren Verwundung für den Kriegsdienst nicht mehr in Frage kam. Schon hier begann er, die als „entartet“ bezeichnete Kunst der Moderne wieder zugänglich zu machen und suchte Kontakt zu den noch lebenden Künstlern der frühen Moderne. Den Krefelder Stadtvätern erschien Wember als die geeignete Besetzung für einen Neuanfang in der Stadt. Der Kunsthistoriker hatte seine Visitenkarte mit einem Vortrag zum Thema „Edvard Munch und die Wende in der modernen Malerei“ im Mai 1947 abgegeben. Einen Monat später wurde er zum neuen Museumsdirektor der Stadt Krefeld ernannt.
Ausstellung Jean Tinguely
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Was als weit über das Rheinland hinaus bekannte, ja internationales Zentrum der Nachkriegsavantgarde gefeiert wird, wo heute zeitgenössische Künstler, die dort ausstellen, immer noch automatisch mit dem Nimbus des Besonderen versehen werden, ist das „Experimentierhaus“ Haus Lange. Selbst eine Ikone der modernen Architektur, wurde es in den 1920er Jahren von dem noch wenig bekannten und jungen Architekten Mies van der Rohe als Wohnhaus für den Textilfabrikanten und Kunstsammler Hermann Lange gebaut. Ulrich Lange, Sohn des Bauherrn, bot es 1955 dem Direktor des Krefelder Museums, Paul Wember, als dauerhaften Ausstellungsort zu dem Kaiser Wilhelms-Museum an.
Damit spielte das Schicksal Wember einen Ort zu, der sich hervorragend für die Präsentation von Kunst eignete und er zog auch selbst, der Auflage Ulrich Lange folgend, als städtischer Beamter in die obere Etage des Hauses ein. Das Leben mit Kunst wurde so für ihn und seine Familie ein unentrinnbares, hautnahes, andauerndes Erlebnis.
Ausstellung Mack - Piene - Uecker
Bruno Munari (1907 Mailand - 1998 Mailand), L'ora X, 1963,Aluminium, Textil, farbige transparente, Halbscheiben, Durchmesser 20 cm, Höhe 7 cm, (Edition, Aufl. 50) Sammlung Kunstmuseen Krefeld
Abraham Palatnik (*1928 Natal, Rio Grande do Norte), Cinecromatico Sequencia Visual C/22, 1963,Holz, Kunststoff, Elektromotor, Leuchtmittel,111 x 20,5 x 69 cm, Sammlung Kunstmuseen Krefeld © A. Palatnik |
„Wember versteht das Museum als einen öffentlichen Raum, der sich dem Zeitgeist nicht verschließen sollte“, schreibt Sylvia Martin und zitiert Wember: „Die Ausstellungsform muss eine andere werden, weil eben die Kunst anders geworden ist ... Wir können uns nicht mehr damit begnügen, Bilder an die Wand zu hängen oder Skulpturen auf den Sockel zu stellen.“
Schon in den 1950er Jahren verlegte Wember immer häufiger die Schauen mit aktueller Gegenwartskunst vom Kaiser Wilhelm-Museum in das Haus Lange. Wember plante seine Ausstellungen mit großer Umsicht, denn die überregionale Anerkennung seiner Arbeit korrespondiert nicht unbedingt mit den Reaktionen der Krefelder Bürger und der heimischen Presse. Sehr unsanft weil erschütternd wurde dies Paul Wember mit der Einzelausstellung von Yves Klein 1961 aufgezeigt, wo die Auseinandersetzung mit der Kunst völlig entgleiste und in den Feuilletons eine auch revolutionäre gesellschaftliche Schlacht geschlagen wurde. Bei all dem ging es für Wember um mehr, als den Erfolg einer Ausstellung. Beim „Krawall um Yves Klein“, wie der anerkannte Kunstkritiker John Anthony Thwaites in der Deutsche Zeitung am 28. März 1961 schrieb, ging es auch um Wembers Job. Die Eröffnungsrede Paul Wembers zur Klein-Ausstellung Monochrome und Feuer ist im Buch abgedruckt. Seine Ausführungen dürften zu den Besten zählen, die je über Yves Klein und seine Kunst veröffentlicht wurden.
Das Buch über Paul Wember eröffnet mit einer umfassenden, nach Jahreszahlen geordneten Bildergalerie. Diese alten Fotos, Dokumente eines ungeheuren Aktionismus von 1951 bis 1976, bedürfen keiner Erklärungen. Sie wecken den Wunsch, diese vergangenen Kunstausstellungen live gesehen und – ganz im Sinne eines lebendigen und aktiven Museums von Paul Wember - erlebt zu haben.
Eine Auswahl: 1955 Alberto Giacometti, 1959 Mobiles und Stabiles von Alexander Calder, 1960 Edition MAT mit unter anderen J.R. Soto, Heinz Mack, Daniel Spoerri. 1963 ZERO, 1965 Ready-mades von Marcel Duchamps, 1966 Robert Indiana. 1969 die Ausstellung „Vorstellung nehmen Formen an“ mit unter anderen J. Kounellis, R. Morris, Reiner Ruthenbeck, Claes Oldenburg oder „Objekt Skulptures“ mit Fred Sandback, J. Dibbets und Barry Flanagan. 1970 Timm Ulrichs „Totalkunst“oder „Steine und Eisen“ von Ulrich Rückriem. 1971 wurde Haus Lange von der Gruppe Haus-Rucker-Co. mit einer Tragluftkonstruktion verhüllt: „Cover, Überleben in verschmutzter Umwelt“. Christo legte im selben Jahr seine Stoffbahnen im Haus und im Garten aus. „Wrapped Floors und Wrapped Walk Ways“ nannte er seine Präsentation.
Irmgard Ruhs-Woitschützke
Die Publikation erschien anlässlich der Ausstellung „Vibrierende Bilder Lärmende Skulpturen 1958 – 1963. Eine Hommage an Paul Wember“. Kunstmuseen Krefeld – Museum Haus Esters.
Vom 30. September 2012 bis 7. April 2013 (mehr)
Paul Wember und das hyperaktive Museum
Verlag für moderne Kunst, Nürnberg
Herausgeber Sylvia Martin und Sabine Röder
ISBN 978-3-86984-421-3