Archiv 2017
OTTO FREUNDLICH
Eine tragische Berühmtheit
Die Abbildung seiner archaisch wirkenden Gipsplastik „Der Neue Mensch“ (Großer Kopf) von 1912 wurde tausendfach publiziert und ist sein bekanntestes Werk. Der Grund ist ein eher unrühmlicher: 1937 wurde die Skulptur als Titelbild für den „Ausstellungsführer“ der berüchtigten NS-Femeschau „Entartete Kunst“ verwendet.
Es gilt als eines der Hauptwerke moderner Kunst in Köln: Otto Freundlich Die Geburt des Menschen (1919) Mosaik, 2,15 x 3,05 m, 800 kg, Standort seit 1954 Seitenfoyer der Oper Köln, jetzt Museum Ludwig. Foto © rART 2017 |
Ihr Schöpfer, der jüdische Bildhauer und Maler Otto Freundlich (1878-1943) gilt heute als einer der originellsten Abstrakten des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig als einer der am wenigsten bekannten.
Fast 40 Jahre nach seiner letzten Retrospektive erinnert das Kölner Museum Ludwig mit der Ausstellung „Kosmischer Kommunismus“ an den Künstler. Es ist eine etwas andere Schau im rheinischen Kunstkalender 2017.
Otto Freundlich Der neue Mensch (Großer Kopf), Titelblatt des Ausstellungsführers Entartete Kunst 1937. Foto © Museum Ludwig Köln 2017
Hannes Flach Otto Freundlich vor dem Kölnischen Kunstverein, aus der Serie „maler bei der arbeit“, ca. 1931 Foto: Sig. 27/30, Hannes Flach-Archiv, Köln. Foto © Museum Ludwig Köln 2017
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Otto Freundlich stammte gebürtig aus Stolp in Pommern. Mit rund 80 Exponaten zeichnet das Museum Ludwig Denken, Werk und Leben von Otto Freundlich nach, der Gemälde und Skulpturen ebenso schuf wie Glasfenster und Mosaike und der in der intensiven Auseinandersetzung mit den Kunstströmungen seiner Zeit als Pionier einen eigenen Weg in die Abstraktion der Moderne fand.
Respekt und Verachtung Als er 1938 seinen 60. Geburtstag feierte, zollte ihm die Riege der europäischen Künstler offen Respekt. Das nationalsozialistische Regime allerdings ächtete ihn zugleich und präsentierte seine Arbeiten als unerwünschte Kunst in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“. Seine Plastik Der neue Mensch (Großer Kopf) wurde beispielhaft für die Entartung der Kunst instrumentalisiert.
Dass der Künstler Freundlich wie viele andere Vertreter der Moderne von den Nazis veunglimpft wurde, war unausweichlich. Denn in seiner Person sammelten sich wie unter einem Brennglas alle Ressentiments des NS-Regimes: er war avantgardistischer Künstler, zudem Jude, dem kommunistischen Gedankengut eng verbunden und obendrein in Paris ansässig.
Paris, Berlin, Köln Von 1910 an hielt sich Freundlich wechselnd in Paris, Berlin und Köln auf. Er war an der „Neuen Sezession“ in Berlin beteiligt (mehr) sowie an der Kölner Sonderbund-Ausstellung 1912 (mehr). 1916 besuchte er den holländischen Künstler Johan Thorn Prikker (mehr), der über den Jugendstil zur Abstraktion gelangte, und 1918 brachte die Expressionismus-Zeitschrift „Die Aktion“ ein Sonderheft mit seinen Arbeiten heraus. Ein Jahr später organisierte er mit Max Ernst und Johannes Theodor Baargeld die erste Kölner Dada-Ausstellung (mehr). 1924 zog der Künstler endgültig nach Paris um, erlangte aber nie die französische Staatsbürgerschaft.
Denunziert Obwohl er Frankreich nie verlassen hatte, entkam Freundlich den NS-Häschern nicht. Kollaborateure im Pyrenäendorf Saint-Paul-de-Fenouillet, das territorial dem Vichy-Regime zugehörte, denunzierten 1943 den versteckten Künstler; er wurde verschleppt und noch im selben Jahr vermutlich im Vernichtungslager Majdanek ermordet.
Viele seiner Werke wurden zerstört oder gelten als verschollen. Nur durch Zufall kam 2010 bei Grabungen im Berliner Bombenschutt unter anderem auch eine Freundlich-Skulptur ans Licht (mehr). Umso beeindruckender sind die Plastiken und Mosaike, die leuchtenden Gemälde und Gouachen, die derzeit in Köln gezeigt werden. Gleichwohl bleibt der Eindruck einer gewissen Düsternis in seinen Werken.
Otto Freundlich Fries (Liegende Frau), 1924, 24 x 163 cm Glasgemälde Musées de Pontoise Foto: Donation Freundlich - Musées de Pontoise. Foto © Museum Ludwig Köln 2017 |
Paris Als Dreißigjähriger war Freundlich 1908 nach Paris gegangen und wohnte am Montmartre in dem Atelierhaus Bateau-Lavoir zeitweise zusammen mit seinen Zeitgenossen Picasso und Braque. Hier fand er zu seinem „figural-konstruktivistischen Stil symbolistischer Prägung“ (mehr).
Als ein Schlüsselerlebnis sah er selbst seine Begegnung mit den originalen Kirchenfenstern der Kathedrale Notre-Dame in Chartres in jenen Jahren. „Ich war cirka fünf Monate der Welt Chartres verfallen und bin für mein Leben lang gezeichnet daraus hervorgegangen.“ Diese Faszination hatte einen besonderen Grund. Freundlich erkannte in der leuchtenden Flächigkeit der Kirchenfenster die Begrenzung einer plastischen, von den Konturen der Gegenstände her konzipierten Kunst als überwunden.
Ideell trug der Gedanke, die Aufhebung der Begrenzung, in Freundlichs Kunst weit und führte ihn in die Abstraktion. Seinen praktischen Niederschlag fand er in der bevorzugten Verwendung der künstlerischen Medien Mosaik und Glasfenster.
Otto Freundlich Die Mutter, 1921, 120 x 100 cm Öl auf Leinwand (Nessel) Berlinische Galerie, Berlin Foto: Kai-Annet Becker/ Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Foto © Museum Ludwig Köln 2017
Otto Freundlich Komposition, 1930 147 x 113 cm Öl auf Leinwand, auf Sperrholz aufgezogen Musées de Pontoise Foto: Donation Freundlich - Musées de Pontoise. Foto © Museum Ludwig Köln 2017
Otto Freundlich Komposition, 1940 84 x 60 cm Gouache auf Papier Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen Foto: Wilhelm-Hack-Museum / Joachim Werkmeister. Foto © Museum Ludwig Köln 2017
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Nachdem die Nationalsozialisten 1937 seine Kunst als „entartet“ gebrandmarkt hatten und sie nicht mehr öffentlich gezeigt wurde, engagierten sich Künstlerkollegen aus seinem Pariser Umfeld für ihn.
Sie unterschrieben einen Appell an den französischen Staat zum Ankauf eines seiner Werke. Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderen Robert und Sonia Delauney, Alfred Döblin, Wassily Kandisky und Pablo Picasso. Das angekaufte Werk gelangte in das Museum Jeu de Paume (mehr), überstand den Krieg und gehört heute dem Centre Pompidou in Paris, das es dem Museum Ludwig für die Ausstellung ausgeliehen hat.
Eines der Hauptwerke der Kölner Retrospektive ist das Mosaik „Die Geburt des Menschen“. Die im öffentlichen Gedächtnis kaum mehr präsente monumentale Arbeit, die seit Mitte der 1950er Jahre im Seitenfoyer der Kölner Oper jedermann zugänglich war, hat eine bewegte Vergangenheit.
Ursprünglich war das 1919 von Freundlich geschaffene Fliesenbild für die Villa des Kölner Tabakhändlers und Kunstmäzen Josef Feinhals im Stadtteil Marienburg vorgesehen. Dort wurde es allerdings nie installiert.
Es überstand unbeschadet alle nationalsozialistischen Kampagnen gegen die künstlerische Moderne sowie die verheerenden Bombenangriffe auf Köln im Schuppen einer Kölner Mosaikwerkstatt. 1954 schenkte Feinhals' Witwe Maria der Stadt Köln das Werk, die es im Foyer des seinerzeit neu errichteten Opernhauses einbaute. Anlässlich der Ausstellung wurde es am 24. Januar 2017 von der Oper in das Museum Ludwig verbracht und wird dort erstmals im Kontext des Gesamtwerkes des Bildhauers gezeigt.
Die „Geburt des Menschen“ gilt - so die Kuratoren - als eines der eindrucksvollsten Werke von Freundlich. Das Mosaik wird dem Ende der ersten noch figürlich bestimmten Schaffensperiode Freundlichs zugeordnet. Mit der abgestimmten Rhythmik der leuchtenden Farben nimmt es das abstrakte Spätwerk des Künstlers vorweg.
Otto Freundlich Kosmisches Auge, 1921/22 81 x 65 cm Pastell auf Karton Privatsammlung, Paris, Courtesy Applicat-Prazan Foto: Applicat-Prazan, Paris. Foto © Museum Ludwig Köln 2017
Blick in die Ausstellung Foto © rART 2017
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Die Abstraktion verstand Freundlich als Ausdruck einer radikalen Neuerung, die weit über die Kunst hinausging. Die gekrümmten Farbflächen seiner Gemälde reflektieren etwa das Raumkonzept der Physik Einsteins, mit der er schon früh vertraut war.
Die Überwindung der Gegenständlichkeit hat aber auch eine soziale Dimension. Für Freundlich war alle dingliche Wahrnehmung von Besitzdenken durchdrungen und damit überholt: „das Objekt als Gegenpol des Individuums wird verschwinden; also auch das Objekt-sein eines Menschen für den andern“.
Das Zusammenspiel der Farben auf seinen Bildern sah er stets in einem Zusammenhang mit dem großen Ganzen. In dem Kommunismus, für den er kämpfte, sollte es keine Grenzen mehr geben „zwischen Welt und Kosmos, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mein und Dein, zwischen allen Dingen, die wir sehen“.
ruwoi/cpw
► Das Museum Ludwig hat drei Skulpturen, ein Gemälde und einige Papierarbeiten des Künstlers im Bestand. Die aktuelle Ausstellung basiert im Wesentlichen auf Leihgaben, die etwa aus dem MoMA New York, der Berlinischen Galerie und der Nachlassverwaltung im Museum Pontoise stammen.
► Bei den Kuratorarbeiten für die Ausstellung wurde festgestellt, dass ab 1941 nicht mehr die verfemte Originalskulptur von Freundlich in Zeitungsannoncen gezeigt wurde, sondern eine Nachahmung. In diese seien offenbar Vorstellungen davon eingeflossen, wie typische ´entartete Kunst´ aussehe. „Das Regime produzierte demnach also heimlich selbst, was es ablehnte – nur um es öffentlich anprangern zu können.“ (Der Spiegel 3/2017 S. 114).
Die Ausstellung „Otto Freundlich. Kosmischer Kommunismus“ wird bis zum 14. Mai 2017 gezeigt.
Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz
50667 Köln
Telefon 0221 / 221-26165
Öffnungszeiten:
DI – SO 10 – 18 Uhr
jeden ersten DO 10 – 22 Uhr