Archiv 2015
SOZ ART - Kunst unter dem roten Stern
Helden der Arbeit und anderes
Hinter dem „Eisernen Vorhang“ lag jahrzehntelang eine andere, eine fremde Welt. Die Welt des „siegreichen Sozialismus“: der Arbeiter, Bauern, Kolchosen, Sowchosen und Traktoren, der Kosmonauten und Kollektive, der Fünf-Jahres-Pläne und Bruderküsse. Eine Welt der Linientreue - auch in der Kunst.
Jurij Korolev Kosmonauten, 1982, Öl auf Leinwand, 195 x 315 cm, © Foto: Ludwig Forum Aachen |
Anlässlich des Mauerfalls vor 25 Jahren spiegelt das Ludwig Forum Aachen derzeit mit der Schau „Ostwärts – Freiheit, Grenzen, Projektionen“ die Kunst in der damaligen Sowjetunion und ihren „Bruderstaaten“. In der Ausstellung werden bislang noch nicht gezeigte Werke des offiziellen staatstreuen Sozialistischen Realismus kritischer, teils im Untergrund entstandener Dissidentenkunst gegenübergestellt. Der Großsammler Peter Ludwig (1925-1996) brachte die Kunstwerke ab den frühen Achtzigerjahren nach Aachen und Köln, als selbst die größten Utopisten eine Öffnung des Eisernen Vorhangs für unmöglich hielten.
Konstantin Finogenov Arbeiter und Maschine, 1930, Öl auf Leinwand, 149x162cm, Ludwig Forum Aachen, © Galerie Gmurzynska
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Sozrealismus Sozialistischer Realismus oder einfach kurz Sozrealismus hieß die ideologisch begründete Stilrichtung, die von etwa 1932 an für gut 60 Jahre als Doktrin die Kunst im russischen Riesenreich bestimmte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Sozrealismus im gesamten sogenannten „Ostblock“ staatstragender Kunststil, auch in der „Deutschen Demokratischen Republik“.
Er fand seinen eingängigsten Ausdruck in der Darstellung junger, gesunder, kraftvoller und stets glücklicher und optimistisch dreinschauender Sowjetmenschen. Diese linientreue Staatskunst blieb bis zur Unionsauflösung 1991 markantes Kultur-Kennzeichen des Vielvölkerstaats Sowjetunion, der amtlich korrekt „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ (UdSSR) hieß.
Für westliche Kunstkenner und Kreative war das, was da im Ostblock als offizielle Kunst entstand, lange Zeit lediglich konforme Massenkunst, bestehend aus Bildern der alltäglichen Arbeitswelt und Technik, bar jeglicher Ästhetik und Abstraktion, gelegentlich amüsant, durchweg aber uninteressant.
Irwin Slowenisches Athen, 1987, Öl auf Leinwand, Marmor, Bronze, Holz, je 340 x 160 cm, © Ludwig Forum Aachen |
Erste Ostkunst-Sammler Nicht so für die visionären Aachener Industriellen und Kunstmäzene Irene und Peter Ludwig. Sie kannten, wenn es um Kunst ging, keine Grenzen und Tabus, weder ideologisch noch ästhetisch. Schon Anfang der Siebzigerjahre hatte das Ehepaar ein ausgeprägtes Interesse an Kunst aus dem sozialistisch-kommunistischen Osteuropa. Für sie war das riesige Sowjetreich ein „spannender Vielvölkerstaat“, dessen kulturelles Panorama es dem Westen unbedingt zu präsentieren galt, „als Spiegel der historischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten“. Die rheinischen Kunstsammler hatten vermutlich bereits damals erkannt, dass sich in Sachen Kunst unter dem roten Stern so allerhand zu ändern begann.
Rein Tammik Let's go once more, 1983, Öl auf Leinwand, 170 x 150 cm, © Ludwig Forum Aachen
Viktor Pivovarov Nägel und Hammer, 1970, Tempera auf Leinwand, 140 x 195 cm, © Ludwig Forum Aachen
Sven Gundlach Die Schande, 1990, Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm, Ludwig Forum Aachen, © Anne Gold
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Soz Art Denn Anfang der Siebziger bildete sich analog zur amerikanischen Pop Art (mehr), die von den Ludwigs seinerzeit vehement gesammelt und zu einer der größten Kollektionen weltweit zusammengestellt wurde, in der Sowjetunion eine einflussreiche inoffizielle künstlerische Richtung namens "Soz Art" heraus, die später auch kommerziell im Westen millionenschwer vermarktet wurde. Ihr Merkmal war der verfremdende und ironische Umgang mit den Symbolen des real existierenden Sozialismus.
Soz Art war regimekritisch und karikierte mehr oder weniger das diktierte ideologische Übermaß und das staatlich verordnete Kunstwesen, während die fast zeitgleiche westliche Pop Art die überbordende Konsumwelt fokussierte. Im offiziellen Kunstbetrieb des Ostblocks gab es für diese Kunstszene keine Ausstellungen und keinen Markt. Aufgehängt wurde die Soz Art-Kunst, wenn überhaupt, privat im häuslichen Hinterzimmer. Es drohten drakonische Strafen und Ausschlüsse aus Künstlerverbänden und damit ungeheure Schwierigkeiten. Soz Art- Aktivisten wie der 1959 geborene Moskauer Maler Sven Gundlach wurden so zum Kult.
Underground-Konzeptkünstler wie der Rumäne Dan Perjovschij (*1961) und Nonkonformisten wie der bedeutende Vertreter des „Moskauer Konzeptualismus“ Ilya Kabakov (*1933) oder der Videokünstler, Maler und Fotograf Vadim Zacharov (*1959) und Kollegen sind heute Documenta-Gäste und in europäischen und überseeischen Museen wie selbstverständlich präsent. Politisch beeinflusst verlief auch die Karriere von Ralf Winkler, Pseudonym A.R. Penck (*1939). Von 1969 an bekam der Dresdner Maler, Bildhauer und Grafiker zunehmend Probleme mit der Stasi der DDR, die seine Bilder beschlagnahmte und eine Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler ablehnte. 1980 wurde A.R.Penck ausgebürgert und siedelte ins Rheinland über. In Düsseldorf übernahm er 1988 eine Professur für Malerei an der Kunstakademie.
SPIEGEL: Herr Ludwig, Sie stehen in dem Ruf, jeden Tag mindestens ein Kunstwerk zu kaufen. Was war's denn gestern?
LUDWIG: Die Legende ist hübsch, trifft aber nicht zu. Zuletzt, das war vor zweieinhalb Wochen, haben meine Frau und ich ein Bild des Moskauer Malers Sven Gundlach gekauft.
(aus: SPIEGEL-Interview mit Sammler Peter Ludwig zur Nürnberger Ausstellung "Ludwigs Lust" vom 21.6.1993)
Hochnäsigkeit Die Ludwigs begannen noch während des sogenannten „Kalten Krieges“, diese Ostkunst im Westen bekannt zu machen. Die engen Handelsverbindungen des Süßwarenproduzenten und schließlich die Assistenz des Sowjet-Botschafters in Bonn, Vladimir Semjonow, öffneten lange verschlossene Türen. 1982 erwarben die Sammler ein erstes großes Konvolut sowjetischer Kunst. Ganze Wagenladungen, so hieß es seinerzeit, wechselten mit Sozialistenwerken über die Grenzen. Westlichen Experten, die sich naserümpfend an diesen Kaufaktionen rieben und kritisierten, dass Kunst nur in Freiheit und nie unter totalitären Regimen gedeihen könne, beschied Peter Ludwig kühl westliche „Einäugigkeit und Hochnäsigkeit“ - und kaufte reichlich und unbeeindruckt weiter.
DAS BILD WURDE AUS ©GRÜNDEN ENTFERNT.
A.R. Penck Der Übergang, 1963, Öl auf Leinwand, 94 x 120 cm, Ludwig Forum Aachen, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 |
Soz Art - Pop Art Aus diesem so entstandenen großartigen Sammlungsbestand schöpft die Ausstellung „Ostwärts“ – mit künstlerisch und historisch bemerkenswerten Resultaten. Denn neben Arbeiten des staatstragenden Sozialistischen Realismus sind auch jene der „Untergrundkultur“ Soz Art – dieser östlichen Variante der westlichen Pop Art-Richtung - und der russischen Nonkonformisten zu sehen. Die jüngst gezeigte brillante Schau „Ludwig goes Pop“ im Kölner Ludwig-Museum bot einen großartigen Blick auf diese westliche Kunstepoche. Mit „Ostwärts“ wird in Aachen ein ebenso großartiger Blick auf Phasen östlicher Kunst geboten, die aus der Öffentlichkeit fast verschwunden und nicht mehr „en vogue“ ist. Die Kollektion unterstreicht nicht nur die Einmaligkeit ihrer Initiatoren Irene und Peter Ludwig, deren visionäre Sicht und missionarischen Impetus. Sie rückt eine wertvolle Sammlung wieder in das öffentliche Bewusstsein und bildet auch eine angebrachte kunsthistorische Würdigung.
► 1994 gingen die Ludwigs noch einen Schritt weiter. Sie gründeten in Sankt Petersburg das „Museum Ludwig im Russischen Museum“ (mehr) und überließen dem Haus 118 Werke internationaler und russischer moderner Kunst. Die Eröffnung war ein Jahr später.
Klaus M. Martinetz
Die Ausstellung „Ostwärts – Freiheit, Grenzen, Projektionen“ kann bis zum 22. Februar 2015 besucht werden.
Ludwig Forum für Internationale Kunst
Jülicher Straße 97-109
52070 Aachen
Tel. 0241 / 1807-104
Öffnungszeiten
DI, MI, FR 12 - 18 Uhr
DO12 - 20 Uhr
SA, SO 11 - 18 Uhr