Archiv 2018
DAS 68ER-JUBILÄUM
Uschi, Dany, Rudi und die anderen
Mit fünfzig Jahren Abstand verklärt sich manches. Tatsache aber bleibt: Im Jahr 1968 gab es so etwas wie eine kulturelle Revolution – da und dort brachial, brutal, autoritär, tödlich. Es war kein Volksaufstand, aber ein Jahr der Gewalt!
Renato Guttuso Maggio 1968 - Giornale Murale [Mai 1968 - Wandzeitung], 1968, Öl auf Karton und Leinwand, 280 x 480 cm, Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen, © VG Bildkunst, Bonn 2017, Foto: Carl Brunn. |
Wer heute zurück schaut, stellt fest: Weltweit kulminierten politische Proteste, gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Demonstrationen für und gegen alles Mögliche. Für sexuelle Liberalisierung, Frauenemanzipation oder antiautoritäre Erziehung, gegen Notstandsgesetze, Vietnamkrieg und alte Konventionen. Es gab Streiks, Osterunruhen, Straßenkämpfe und menschliche Opfer.
Boris Lurie Love, Series: Bound in Red, 1962, Fotomechanische Vergrößerung einer Zeitungsabbildung und Öl auf Leinwand, 40 x 100 cm © Boris Lurie Art Foundation, Foto: Miles Ladin.
Yoko Ono Cut Piece, 1965, S/W Film, 8 Minuten © 1964/1965/2017 Yoko Ono.
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Anlässlich der 50 Jahre zurückliegenden 68er-Bewegungen sind die Medien pünktlich voll mit nostalgischen wie teils kritischen Rückblicken. Es gibt (mindestens) vier neue Bücher, zahlreiche Filme, viele Reportagen, Interviews und sonstige Erinnerungskultur.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die 68er nun auch museal geworden sind. Das Aachener Ludwig Forum hat eine Ausstellung arrangiert und fragt, wie die Kreativen jener Zeit auf die medialen Bilder von Panzern und Krieg, Gewalt und Unruhen, die aus Vietnam, vom sogenannten Pariser Mai oder dem Prager Frühling überwiegend in schwarz-weiß über die TV-Geräte flimmerten, reagierten.
Wie begegneten Künstler den verkrusteten Geschlechterrollen, der prüden Sexualmoral und der „hässlichen Fratze des Kapitalismus“? Konnten, so fragen die Aachener Kuratoren, tradierte Kunstformen überhaupt noch adäquate Antworten geben? Welche künstlerischen Mittel kamen in der Auflehnung gegen autoritäre Strukturen und "Naziväter" zum Einsatz?
Viele und anspruchsvolle Fragen für eine Ausstellung! Und das Aachener Ludwig Forum versucht, Antworten zu geben. Mit „Flashes of the Future. Die Kunst der 68er oder die Macht der Ohnmächtigen“ wurde ein guter Expositionstitel gefunden. Und mit Hilfe von rund 200 Kunstwerken aus den Abteilungen Malerei, Skulptur, Installation, Fotografie, Zeichnung und Video sowie großen Namen von Baselitz (mehr) und Beuys über Yoko Ono, Penck, Polke bis Uecker (mehr), Vostell und Franz Erhard Walther (mehr) ein ordentliches Repertoire an damaligen Kunst-Akteuren oder Zeitzeugen.
Da die Protagonisten von damals, die sogenannten Alt-68er, heute eher 80 als 65 Jahre alt sind und Jüngere sich natürlich nicht erinnern können: 1968 war ein Schlüsseljahr und der „Anfang vom Ende der großen Studentenrevolte“ (Süddeutsche Zeitung). Denn die Dekade danach war eine Phase des Aufstands gegen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich in der APO, der außerparlamentarischen Opposition, Luft verschaffte und später Terror schuf.
Den Beginn des Aufruhrs in Deutschland markierte der Tod des Studenten Benno Ohnesorg 1967 (mehr) bei einer Demonstration gegen den Schah-Besuch in Berlin. Der 26-Jährige wurde durch die Polizeikugel eines Kriminalobermeisters und später enttarnten Spitzels der „Staatssicherheit“ (Stasi) der DDR getötet.
In einigen Metropolen Europas, aber auch anderswo, nahm die Gewalt ihren Lauf. Im April 1968 wurde der US-Bürgerrechtler Martin Luther King in Memphis von einem Rassisten erschossen, im Juni starb Robert F. Kennedy nach einem Attentat in Los Angeles. Machtlose traten gegen Mächtige an, gegen die Staatsgewalten und ihre Apparate. Beatniks, Hippies, Schüler, Studenten, Rocker, Arbeitslose oder auch Einwanderer gaben mit Sit-ins, Teach-ins, Happenings und sonstigen Aktionen ihrem Unmut Ausdruck.
Sam Goodman Eichmann Remember, 1961, Holzkonstruktion mit Collage und Objekten, 103 x 116 x 25 cm © Boris Lurie Art Foundation, Foto: Miles Ladin |
Es gab in Deutschland anarchistische, maoistische, trotzkistische, sozialistische und weitere Polit-Gruppen mit entsprechenden Leitfiguren. Am Gründonnerstag, den 11. April 1968, wurde eine von ihnen, der prominente und charismatische Wortführer der sozialistischen Linken, Rudi Dutschke, Opfer eines Pistolen-Attentats auf dem Berliner Kurfürstendamm, an dessen Spätfolgen er elf Jahre später verstarb.
In Frankreich mischten im Monat darauf Tausende um den deutsch-französischen Aktivisten „Dany le Rouge“ – bürgerlich Daniel Cohn-Bendit und heute Publizist und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen – Polizei und Ordnungskräfte auf, bis die staatliche Infrastruktur fast am Boden lag, Präsident Charles de Gaulle für Stunden ins Ausland verschwand und der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Es galt die Devise Sous les pavés la plage („Unter dem Pflaster liegt der Strand“).
Ein Ex-Fotomodell namens Uschi Obermaier, temporär verbandelt mit dem Barden und Kommunarden Rainer Langhans, übte sich in freier Liebe und neuen Gesellschaftsrollen und wurde Ausdruck einer neuen Moral, und wie die anderen ein Medienstar. Aber: Aus den Demo-Jahren und Spaßzeiten in Wohngemeinschaften und Kommunen wurden schließlich brutale RAF-Terrorjahre, swinging sixties adé (mehr).
underground – Das deutsche Schülermagazin. Frankfurt/M. Titelseite vom November 1968. © der Abb. Internationales Zeitungsmuseum Aachen 2018
Konkret Hamburg. Titelseite vom 10. März 1969. © der Abb. Internationales Zeitungsmuseum Aachen 2018
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Ausstellung Mit der Ausstellung im Ludwig Forum soll nun erstmals das Paket an Ideen, Aktionen, Mythen und Selbst-Deutungen einer Generation im Spiegel ihrer künstlerischen Produktion und Praxis aufgeschnürt und analysiert werden.
Die Schau, so heißt es in Aachen, verfolge das Ziel, zu verdeutlichen, welchem Geist die damaligen Aktionsformen und künstlerischen Sprachen entsprangen und welchen nicht zu überschätzenden Wert sie noch heute besitzen.
Der umfassende, transdisziplinäre Blick auf jene Zeit soll einen neuen und kritischen Eindruck ermöglichen. Er vertritt aber auch den Anspruch, Parallelen zu heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen aufzuzeigen und in diskursiven Foren Lösungsansätze zu erörtern.
Die Ausstellung geht die Sachlage pragmatisch an. Ausgehend von Schlüsselwerken aus der eigenen Sammlung Ludwig, die bekanntlich einen fast legendären Ruf wegen ihrer US-amerikanischen Pop-Art-Arbeiten (mehr) hat, werden „Themencluster“ vom Vietnamkrieg über die Ikonografie der Studentenbewegung bis zur Aktionskunst präsentiert.
Die Schau zeigt die Gegenströmungen auf, die auf die etablierte Kunst trafen. Die neo-avantgardistischen Künstlergruppen galten in den Augen vieler Linksradikaler als Verräter und Handlanger kleinbürgerlicher Ideologien. „Kunst existiert nicht, Kunst bis du!“, lautete in Paris eine Studentenparole in der Sorbonne.
Die Kuratoren Andreas Beitin und Eckhart Gillen erinnern aber auch an die gewaltsame Verhinderung des Fluxus-Konzertes 1969 „Ich versuche dich freizulassen (machen)“ von Joseph Beuys und Henning Christiansen in der Akademie der Künste in West-Berlin, wo Kunststudenten gegen den angeblich „asozialen“ Kunstbegriff der Fluxus-Vertreter rebellierten.
K2M
► Das Internationale Zeitungsmuseum Aachen ist Kooperationspartner der Ausstellung und zeigt ergänzend die Rolle der Medien. Unter dem Stichwort „Springer“ wird dargestellt, welchen Einfluss der Hamburger Verlag auf die öffentliche Meinungsbildung in den 1960er-Jahren hatte und wie er diese beeinflusst hat.
Die Ausstellung „Flashes of the Future. Die Kunst der 68er oder Die Macht der Ohnmächtigen“ wird bis zum 18. August 2018 gezeigt.
Ludwig Forum für Internationale Kunst
Jülicher Straße 91-102
52070 Aachen
Tel 0241 1807-104
Öffnungszeiten
DI, MI, FR, SA, SO 10.00 – 17.00 Uhr
DO 10.00 – 20.00 Uhr
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Zitat: Süddeutsche Zeitung Nr. 80, 7./8. April 2018 Schüsse auf die Revolution von Lars Langenau