Archiv 2015
OTTO STEINERT ZUM HUNDERTSTEN
„Atombombe im Komposthaufen“
Die Wirkung der Schwarz-Weiß-Bilder war offenbar kolossal. Einem Kritiker kamen sie vor 65 Jahren wie ein ausgelöster nuklearer Sprengsatz inmitten sonst eher mäßiger Fotoexponate vor. Was der überwältigte Feuilletonist in einer Ausstellung gesehen hatte, war Otto Steinerts revolutionäre subjektive fotografie.
Otto Steinert Bildnis hell - dunkel, 1950, Bromsilbergelatine, Fotomontage, Foto © Nachlass Otto Steinert; Museum Folkwang, Essen |
Die große gestaltende Figur der westdeutschen Nachkriegsfotografie und der Initiator der berühmten neuen Stilrichtung subjektive fotografie, Otto Steinert, wurde vor 100 Jahren, am 12. Juli 1915, in Saarbrücken geboren. Als Lehrer an der Essener Folkwangschule für Gestaltung prägte er eine ganze Generation von Studierenden.
Otto Steinert Selbstportrait, 1949, Foto © Nachlass Otto Steinert; Museum Folkwang, Essen
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Aktuell Wenn Jubiläen und Jahrestage gerne dazu benutzt werden, Persönlichkeiten aus einer vermeintlichen Versenkung zu holen, trifft dies nicht für den Fotokünstler und Professor der Fotografie zu.
Steinerts Werk ist heute nicht nur im Essener Museum Folkwang präsent. Der Fotopionier erfährt in den letzten Jahren eine Renaissance. Es ist die gebotene Qualität, die ihn in maßgeblichen Kunst- und Kulturkeisen immer häufiger Gegenstand fotohistorischer Betrachtungen werden lässt.
Er ist der Mann, auf den der herausragende Ruf der Fotografen-Ausbildung an der Folkwangschule, heute Folkwang Universität der Künste, basiert. Jener Hochschule übrigens, deren Fotografie-Werkgruppe er von 1959 bis zu seinem Tode 1978 leitete.
Otto Steinert Die Bäume vor meinem Fenster (Ausschnitt) ,1956, Silbergelatineabzug, Foto © Nachlass Otto Steinert; Museum Folkwang, Essen |
Ausstellung und Symposium Das Museum Folkwang erinnert anlässlich des 100. Geburtstags an sein Wirken. Das Haus kündigt für den Oktober 2015 eine Ausstellung mit Schlüsselwerken aus dem Steinert-Nachlass an und für den November 2015 ist zusätzlich ein international besetztes Symposium mit dem Titel „Arbeit am Bild: Otto Steinert und die Felder des Fotografischen“ geplant.
Otto Steinert Lichtspuren, Paris, 1949, Foto © Nachlass Otto Steinert; Museum Folkwang, Essen
Otto Steinert Lampen an der Place de la Concorde, Paris 1952, Foto © Nachlass Otto Steinert; Museum Folkwang, Essen
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Rückschau Das Jubiläum ist Anlass genug, einen Rückblick auf die ebenso ungewöhnliche wie erfolgreiche Karriere des berühmten deutschen Lichtbildners zu werfen.
Der promovierte Mediziner Otto Steinert war von Jugend an Hobby-Fotograf. Als Sanitätsoffizier war er im Zweiten Weltkrieg in Frankreich und Russland, ab 1943 diente er als Referent im Generalstab des Heeres in Berlin. Die Nachkriegszeit verschlug den Dreißigjährigen zunächst nach Kiel, dort arbeitete er zwei Jahre als Assistenzarzt.
Zurück in das französisch besetzte Saarland zerschlug sich eine erhoffte Stelle als Krankenhausarzt. Steinert verknüpfte daraufhin seine alte Passion mit neuen Berufsperspektiven und baute ein „Atelier für künstlerische Photographie“ auf. Sein Wirken blieb nicht unbemerkt und bereits 1948 lehrte er in der neu gegründeten Fotoklasse der Staatlichen Saarländischen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken.
Eine solcher Berufseinstieg sei nur „in Zeiten radikaler gesellschaftlicher Neuanfänge möglich“ gewesen, hieß es in einer Steinert-Würdigung der Kulturstiftung der Länder.
Karriere Es war der Start in eine völlig andere, für einen Arzt äußerst ungewöhnliche Karriere. Schon 1949 schloss sich Steinert unter anderen mit Toni Schneiders, einem ehemaligen Kriegsberichterstatter, dem Wuppertaler Werbefotografen Peter Keetman und dem Fotografen Heinz Hajek-Halke zur Arbeitsgemeinschaft „fotoforum“ zusammen.
Die Gruppe stellte 1950 auf der ersten von L. Fritz Gruber (mehr) initiierten „Photo-Kino-Ausstellung“ in Köln - dem Vorgänger der späteren „Photokina“ - aus. Die Schau war für ihn der Durchbruch, denn die Bilder erregten Aufsehen. Und sie waren für Robert d´Hooghe von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) der Grund, die neue Fotografie mit dem Bonmot „Atombombe im Komposthaufen“ gegenüber dem Althergebrachten in die Fotogeschichte eingehen zu lassen.
Als Lehrer in Saarbrücken hatte Steinert den Ruf, streng, kritisch aber auch richtungweisend zu sein. Heinz Hajek-Halke (1898-1983), ab 1955 Professor an der Berliner Kunst-Hochschule, brachte es auf den Punkt: „Sein Verhalten war schlicht autoritär.“ 1952 kam Otto Steinert schließlich als Direktor der Saarbrücker Kunsthochschule selbst in eine leitende Funktion. In nur gut zehn Jahren, also von 1949 bis etwa 1959, entwickelte sich der Ex-Freizeit-Fotograf zu einem weithin wahrgenommenen Wortführer einer künstlerisch gestaltenden Fotografie - eben der subjektiven fotografie.
Otto Steinert Ein-Fuß-Gänger, 1950, Foto © Nachlass Otto Steinert; Museum Folkwang, Essen |
Neue ästhetische Haltung Gemeinsam mit den „fotoforum“-Akteuren propagiert er die Rückbesinnung auf die Bildkonzepte der Avantgarde-Fotografie der 20er- und 30er-Jahre, wie etwa die des Bauhaus, auf die formalen Experimente des „Neuen Sehens“ und damit eine freieren Fotografie, die die reduzierte, auch abstrahierende Gestaltung an die Stelle der reinen Abbildung setzte.
Diese Fotokunst der „Subjektiven“ hatte etwas fast Poetisches und nicht selten auch Surrealistisches. Es war ein scharfer Kontrapunkt, den Steinert damit zur konventionellen Gebrauchsfotografie und vor allem zur erst kurz zurückliegenden NS-Fotografie à la Riefenstahl & Co. setzte. Als neue fotografische Mittel kamen nun die kameralose Fotografie, strenges Schwarz-Weiß, enge Ausschnitte, Langzeitbelichtung, die Umkehrung von Tonwerten sowie Mehrfachbelichtungen in der Dunkelkammer zum Tragen.
Ausstellungsprospekt „subjektive fotografie 2“ 1954 in Saarbrücken Foto © Museum Folkwang, Essen
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Weltweite Strahlkraft Steinerts subjektive fotografie - übrigens eine Wortschöpfung von ihm und er schrieb sie im Sinne der Bauhaus-Gestalter auch stets klein - fanden nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Rezipienten und Gefolgsleute.
Steinerts neuer Blick faszinierte in den USA wie auch in Japan, wo die Schauen gezeigt wurden. Er war damit im internationalen Mainstream der Zeit. Denn es gab, in vielen Ländern Europas, einen regelrechten Hunger nach neuem, individuellem und experimentellem Fotografieren. Zwar unterschiedlich ausgeprägt, aber doch oft mit surrealistischem Hauch.
Vor allem in Frankreich, aber auch im vom Mussolini-Faschismus befreiten Italien. Dort wurde „in jener leicht gehandhabten klassischen Form“, halb noch dem Futurismus huldigend, neorealistisch hinreißend direkt fotografiert, kommentierte DIE ZEIT und hatte dabei Mario De Biasis ´Frauen-Bild mit dreiundvierzig Männern´ im Blick (mehr).
1951 organisierte Steinert in Saarbrücken die erste von drei bahnbrechenden Expositionen mit dem Titel „subjektive fotografie“ und arbeitete gezielt an einem internationalen Forum für die Avantgarde-Fotografie. In seinen Ausstellungen suchte er programmatische Verknüpfungen mit wichtigen Fotokünstler der Vorkriegsavantgarde, wie Man Ray (mehr), László Moholy-Nagy, dem Bauhaus-Lehrer Herbert Bayer oder Raoul Hausmann, dem Fotocollage-Pionier und Dadaisten. Steinert sah diese Künstler als Vorläufer der subjektiven Bewegung und stellte sie auch so vor.
Anonymer Portraitist, Otto Steinert 1956/ 1957, 30 × 24,2 cm; Foto © Museum Folkwang, Essen
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Folkwang-Jahre 1959 konnte die Stadt Essen Otto Steinert für die Fotografie-Professur an der renommierten Folkwangschule gewinnen. In den folgenden 18 Jahren baute er Essen zu einem Zentrum der europäischen Fotografie aus.
Zu den bekannten rheinischen Steinert-Schülern gehören heute mehrere namhafte Fotografen, darunter Walter Vogel (mehr) und der Theaterfotograf und ehemalige Folkwang-Professor Erich vom Endt (mehr). Auch der derzeitige Weltstar der Fotografie, Andreas Gursky (mehr), erlebte nach eigenen Aussagen im Wintersemester 1977/78 noch persönlich Vorlesungen von Steinert.
Dessen Charisma war weithin berühmt, das von ihm geschaffene Umfeld inspirierend, sein „Kasernenton“ aber auch gefürchtet. In den späten 1960er Jahren öffnete sich Steinerts Lehre dem „Druck der Straße“. Der Fotojournalismus wurde zum zentralen Gegenstand der Lehre, doch das sorgfältig gestaltete Bild blieb weiterhin ihr Ausgangspunkt.
Als Steinert 1978, mit nur 63 Jahren, an einer Lungenentzündung in Essen starb, trug die fotografische Landschaft der Bundesrepublik durch die „subjektiven“ Bilder seine Prägung, wie das Museum Folkwang betont. Die Frage, an welchen Stellen Otto Steinert die Entwicklung des Mediums Fotografie „durch sein Schaffen maßgeblich gefördert hat, aber auch, wo seine fotografische Auffassung ein Stück weit auch Flucht aus der Geschichte war, bleibt spannend und aktuell“, so das Museum weiter. Zweifellos jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag eines der wichtigsten deutschen Gestalter in der Fotografie.
► Otto Steinerts berühmte Studiensammlung ging nach seinem Tode an das Museum Folkwang. Sie bildet den Grundstock der Fotografischen Sammlung des Hauses, die heute Weltruf genießt. Die Studiensammlung basiert ursprünglich auf einer 1961 in Genf von Steinert ersteigerten Sammlung fotografischer Originale. 1979 ging auch sein eigener fotografischer Nachlass an das Museum. In zahlreichen Ausstellungen wurde seither Steinerts Werk als Fotograf, Lehrer und Sammler vorgestellt und beleuchtet.
Claus P. Woitschützke
Internationales Symposium zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Otto Steinert
FR 27.11. 2015
Arbeit am Bild: Otto Steinert und die Felder des Fotografischen
Eine Kooperation der Folkwang Universität der Künste und des Museum Folkwang Essen, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Photographie
FR 27.11.: 14 - 17.30 Uhr | SANAA-Gebäude | Einführung und Vorträge
FR 27.11.: 18.30 Uhr | Museum Folkwang | Festliche Eröffnung | Ausstellung und Festvortrag | Café und Bar Steinert
SA 28.11.: 10.30 – 15.30 Uhr | SANAA-Gebäude | Vorträge und Abschlussdiskussion , Eintritt frei, Anmeldung erforderlich