Archiv 2022
MUSEUM MORSBROICH
Fußspuren im Museum
Sie kommen von draußen. Und innen werden es immer mehr. Der Bodenbelag füllt den Raum aus. Das ist kein Wunder, denn seine Ausmaße entsprechen denen des Raumes, in dem er liegt. 2017 lag er auf dem Platz vor dem Rathaus der Stadt Leverkusen. Es ist die Arbeit „leverkusen_transfer“, die damalige Intervention des Konzeptkünstlers Mischa Kuball im öffentlichen Raum, um auf die beabsichtigte Schließung des Museums aufmerksam zu machen.
Mischa Kuball leverkusen_transfer, 2017/2021 Installationsprojekt im Außenraum der Stadt Leverkusen, dann im Museum Morsbroich, © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto Achim Kukulies, Düsseldorf |
Zum Glück ist das Geschichte. Das Museum Morsbroich hat mit Jörg van den Berg einen neuen Direktor und eine Zukunft. Und die startet mit einer Ausstellung von Mischa Kuball.
Für eine Retrospektive seines Œuvres sieht sich Kuball (*1959 in Düsseldorf), so hat es den Eindruck, noch als viel zu aktiv, aber für eine seines Schaffens der letzten drei Jahrzehnte ist der Begriff Retrospektive auch für ihn wohl passend.
Es sind ausgesuchte Werke, die präsentiert werden, die das Arbeiten und Denken des Künstlers sehr prägnant aufzeigen. Selten bringt eine Soloausstellung wie „ReferenzRäume“ dem Besucher den Künstler näher. Ein Besuch lohnt sich, denn Mischa Kuball ist kein Unbekannter.
Mischa Kuball five planets, 2015, Ausstellung Museum Morsbroich © VG Bild-Kunst Bonn 2021, Foto: Achim Kukulies |
Er ist der einzige Professor in Deutschland für public art / Kunst im öffentlichen Raum und lehrt an der Kunsthochschule für Medien KHM in Köln. Im jährlichen „Capital-Kunstkompass“ von Linde Rohr-Bongard steht er laut der Wirtschaftszeitung Handelsblatt auf Platz zwölf der Stars von morgen. Unter vielen Auszeichnungen, die ihm zuteil wurden, finden sich 1992 der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Bildende Kunst und 2016 der Deutsche Lichtkunstpreis.
Oft wird Mischa Kuball als Lichtkünstler bezeichnet, doch diese Beschreibung greift zu kurz. Er selbst versteht sich als „ein in unterschiedlichen Medien und Räumen arbeitender Konzeptkünstler“, wie es im Flyer zur Ausstellung heißt.
Mischa Kuball five suns/ after Galileo, 2018, © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn, Leihgeber: Monika Schnetkamp Coll. |
Doch Licht nimmt in Kuballs Arbeiten immer eine besondere Rolle ein. Licht in all seinen Erscheinungsformen ist für ihn wesentliches künstlerisches Ausdrucksmittel, gleich ob als alltägliche Lampe, sanfter Schein oder sich in den Himmel reckender Lichtstrahl. Absichtsvoll instrumentalisiert Kuball die Mehrdeutigkeit von Licht im Sinne von Beleuchten, Erleuchten oder Erhellen hin zur Erkenntnis, denn seine Arbeiten sind politisch wie gesellschaftlich aufgeladen zeitkritisch.
Er selbst begreift sich als Katalysator, als ein Anreger, der um ein weiteres Momentum von Licht weiß: Energie! So platziert er mit dem Feinsinn des Philosophen und der Radikalität des Künstlers seine Arbeiten - Installationen, Performances, Fotografien, Projektionen - in öffentlichen Räumen. Sein Ziel dabei ist ein hehres: Er möchte Menschen erreichen, sie mitnehmen und motivieren. Und sein bevorzugtes Medium dazu ist - Licht. „Licht ist Soziologie, Licht ist Politik“, umschreibt Kuball selbst seinen Ansatz.
Mischa Kuball Park Stage, 2021, Museum Morsbroich © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn |
Mit seinen temporären Werken produziert er eine nachhaltige Wirkung, wie am Beispiel von „leverkusen_transfer“ zu bemerken ist; eine Arbeit, die direkt mit der Stadt Leverkusen verbunden ist.
Weitere Arbeiten in der Ausstellung ReferenzRäume sind: „Stadt durch Glas“ (Moskau/Düsseldorf) von 1995/1997/2004, ein 2-Kanal-Video aus dem Besitz der Kunstsammlung NRW Düsseldorf, „five planets“, wobei die Namen von fünf Planeten (Jupiter, Mars, Merkur, Saturn und Venus) auf rotierende Discokugeln projiziert werden, die diese als Buchstabenpartikel in Form von Lichtstrahlen auf Decke, Wände und Boden werfen, oder „five suns / after Galileo“ wo die Erkenntnis von Galileo, dass sich die Erde um die Sonne dreht - die ursächlich mithilfe der beobachteten Sonnenflecken zustande kam - ihren künstlerischen Ausdruck findet. In ein ganz besonderes Farbspektakel eintauchen kann der Besucher bei „Platon´s Mirror“. Hier bildet Platons Höhlengleichnis den Ausgangspunkt.
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Aus dem Katalog: „Die von Platon formulierte Unterscheidung zwischen der sichtbaren Realität und der für wahr erachteten Realität der Ideen visualisiert sich in einer immersiven Raumgestaltung, die einer abstrakten Höhle voll von schemenhaften Bildern gleicht: Die wirkliche Welt wird von deren Schattenbildern überlagert.“ Eine „wirkliche“ und eine „scheinbar wirkliche“ Welt? Ein Hauch der jüngeren gesellschaftlichen Diskussionen über „Fakten“ und „alternative Fakten“ begleitet dieses Kunstwerks mittelbar. Zudem: Bei dieser Installation wird der Betrachter zum Teil des Kunstwerks, da er seinen Schatten als angedeutete Silhouette im Werk wahrnimmt.
Mischa Kuball Teilansicht Installation „New Pott. Heimat im Revier“. Jede Lampe steht für einen der 100 Zugezogenen zwischen Kamp-Lintfort und Iserlohn, die von Kuball interviewt wurden. Sie erzählen von ihrer Migrations- und Lebensgeschichte und der Künstler schenkte ihnen Licht in Form einer Stehlampe. Realisiert wurde das Projekt im Rahmen der RUHR 2010. ©Mischa Kuball, Foto rheinische ART 2022 |
„Platon´s Mirror“ - wie auch die Projektarbeit „New Pott“ - transportieren gelungen einen weiteren wichtigen Aspekt Kuballs: Die Teilhabe der Bürger an Kunst. So wie die Passanten ihre Spuren auf „leverkusen_transfer“ hinterließen, werden sie hier sichtbar oder die Menschen stehen wie bei der Außeninstallation „Park Stage“ im nur für sie scheinenden Lichtkegel. Die Bühne ist für sie bereitet. Was sie daraus machen, ist ihnen überlassen.
Irmgard Ruhs-Woitschützke
Die Ausstellung „Mischa Kuball ReferenzRäume“ kann bis zum 24. April 2022 besucht werden.
Museum Morsbroich
Gustav-Heinemann-Strasse 80
51377 Leverkusen
Tel. 0214 / 4064500
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 17 Uhr
► Die Ausstellung wurde vom Kunstmuseum Wolfsburg (Andreas Beitin) initiiert und bereits dort gezeigt. Realisiert wurde sie zusammen mit dem Museum Morsbroich Leverkusen (Fritz Emslander).