Archiv 2019
MICHAEL JACKSON
Ein verstoßener König
Manchmal werden Ausstellungen zu regelrechten Aufregern und zu irritierenden Angelegenheiten. Der Blick auf den „King of Pop“ Michael Jackson in der Bonner Bundeskunsthalle ist so eine.
Johannes Kahrs Untitled (Jesus aged 43) 2015 oil on canvas 634 × 1114 mm Courtesy of the artist and Zeno X Gallery, Antwerp © Johannes Kahrs |
Im Zentrum des Wirbels steht ein seit zehn Jahren Toter, eine Ikone der Popmusik, der des sexuellen Kindesmissbrauchs beschuldigt wird.
Darf man so einen Künstler zeigen? Kann man oder konnte man eine derartig unpassend wirkende Schau nicht absagen? Oder wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) schlicht fragte: Will man das sehen? So rätseln die einen. Andere sehen alles weniger kompliziert und die Kunst im Vordergrund und folgern: Na klar kann eine solche Exposition stattfinden.
Archangel Michael: And no message could have been any clearer, 2009 by David LaChapelle. Courtesy of the Artist. © David LaChapelle
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Rein Wolfs, der Intendant der Bundeskunsthalle, liefert die Begründung und betont, dass es nur wenige Musiker gäbe, die einen Status wie Michael Jackson erreicht und eine derart enorme Wirkung auf die bildende Kunst gehabt hätten. Das ist sicherlich richtig. Und diesen kulturellen Einfluss, so der Intendant, solle die Ausstellung „Michael Jackson. On the Wall“ spiegeln. Nicht mehr und nicht weniger.
Als die Planungen für die Schau begannen, war das auch alles in Ordnung. Zwar gab es seit Jahren Hinweise und Anklagen sowie den Vorwurf, Jackson sei ein mutmaßlicher pädophiler Serientäter. Doch erst die jüngsten weltweiten Entrüstungsstürme haben das Ausstellungskonzept rasant überrollt, den Protagonisten erneut schwer angekratzt und den Bonner Intendanten offenkundig in ein Dilemma gestürzt.
Andy Warhol Michael Jackson 1984 acrylic and silkscreen ink on linen 762 x 660 mm, The Andy Warhol Museum, Pittsburgh; Founding Collection, Contribution The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. © 2019 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / VG-Bild-Kunst, Bonn 2019
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Seit den Veröffentlichungen von Missbrauchs-Anklagen durch eine Dokumentation mit dem Titel „Leaving Neverland“, verbindet sich mit dem Namen Michael Jackson etwas Unbehagliches, ja Ungeheueres. Eine Art schleichender Boykott hat sich breit gemacht. BBC Radio 2, das meistgehörte Radioprogramm in Großbritannien, hat Songs des „King of Pop“ schon aus der Playlist gestrichen.
„Michael Jackson: On the Wall ist eine Kunstausstellung“, betont Wolfs. „Es geht hier weder um die Biografie noch direkt um das Werk von Michael Jackson, sondern um den Widerhall des ‚Phänomens Jackson‘ in der zeitgenössischen bildenden Kunst.“ Dass die Schau mit dem fast völlig identischen Programm in London und Paris ohne Kritik über die Bühne ging – geschenkt. Da gab es die neuesten Vorwürfe und vermeintlichen Erkenntnisse eben noch nicht.
Für Bonn hat sich der Wind gedreht. Der Blick auf den Star von einst ist ein anderer. Jackson, die vermutlich meistdargestellte Figur in der Medienwelt der letzten fünf Jahrzehnte, erscheint hier seltsam fremd, weil mit neuen Augen betrachtet: sein durch zahlreiche Schönheitsoperationen performtes Gesicht mit seinem maskenhaftes Antlitz zeigt sich so, wie Masken immer wirken: verdeckend und täuschend.
Die Exponate, darunter bonbonbunte Öl-Gemälde, die den Sänger könig- und gottgleich inszenieren, Collagen, Drucke und verfremdete Fotografien, sind einstmalige optische Beifallsbekundungen, überschwängliche und verzückte Schwärmereien für einen schwer zu greifenden, widersprüchlichen Künstler – der heute eher wie das Abbild einer ambivalenten und tragischen Person wirkt.
Ausstellungsansicht Foto: Laurin Schmid, 2019 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH |
Immerhin: Die Ausstellung umfasst mehrere Künstlergenerationen sowie alle Medien. Hier sind Werke von über vierzig Künstlern versammelt, die aus öffentlichen und privaten Sammlungen in aller Welt stammen beziehungsweise eigens für die Ausstellung geschaffen wurden.
Einige der präsentierten Arbeiten, darauf macht die Bundeskunsthalle explizit aufmerksam, weisen eine Doppelbödigkeit und Ambivalenz auf, die aktueller nicht sein könnte. Neben dem Werk von Jordan Wolfson sind dieses insbesondere die für die Bonner Ausstellungsstation hinzugekommenen Arbeiten von Paul McCarthy und Pamela Rosenkranz.
ruwoi
► „Leaving Neverland“ des US-Senders HBO hat weltweit für Empörung gesorgt. In dem Film wird der Superstar beschuldigt, Kinder sexuell missbraucht zu haben. Eine Reihe von Radiosendern gab daraufhin bekannt, sämtliche Songs von Michael Jackson aus dem Programm zu nehmen. Bislang gab es zwei Prozesse zu der Thematik, die beide nicht zu einer Verurteilung Jacksons führten. Der Film, so heißt es, bringe keine neuen Beweise und Jacksons Familie dementiere die neuen Vorwürfe.
Die Ausstellung "Michael Jackson. On the Wall" endet am 14. Juli 2019.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Museumsmeile Bonn
Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Tel. 0228 / 9171–200
Öffnungszeiten:
DI – MI 10 – 21 Uhr
DO – SO 10 – 19 Uhr
Programm
► In Deutschland war die Doku am Samstag, 6. April 2019, auf dem Sender ProSieben zu sehen. Die Bundeskunsthalle bot hierzu einen Tag danach, am Sonntag den 7. April 2019 um 19 Uhr, im Forum des Hauses eine Diskussion zum Thema „Anbetung, Macht, Missbrauch - Eine gesellschaftliche Kontroverse im Fokus“.
Anmerkung: Die Dokumentation "Leaving Neverland" wurde nach Medienberichten von nur 1,1 Mio Zuschauern gesehen.