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rheinische ART 08/2023

Archiv 2023

FLUSSGESCHICHTEN

Der Rhein literarisch

 

Dass Europas schiffsreichster Wasserweg ein Fluss der Superlative ist, wer wüsste das nicht. Aber der Rhein ist mehr als nur ein Fluss!

 

Arnold Forstmann Rheinromantik, Nonnenwerth, Rolandseck und Drachenfels, Gemälde um 1870. Foto © Wikipedia gemeinfrei

 

Für den Dichter Victor Hugo spiegelte das grandiose Gewässer die ganze Geschichte Europas, war Fluss der Krieger und Denker, zugleich deutscher wie französischer Schicksalsstrom. Gesegnet mit Jahrtausenden Kulturgeschichte an seinen Ufern.

 

Buchcover Mathijs Deen Fluss ohne Grenzen Foto © Verlag Knesebeck München, 2023

Der niederländische Journalist und Buchautor Mathijs Deen hat nun eine Hommage an den Rhein und seine Nebenflüsse verfasst, und damit sozusagen das gesamte Rheineinzugsgebiet erfasst.
     Es ist eine literarische Biografie mit dem Titel „Fluss ohne Grenzen“. Darin erzählt er nicht, dass der Rhein bei Köln mit seiner Geschwindigkeit von 12 Kilometer pro Stunde jede Sekunde 16 000 Badewannen mit seinem Wasser füllen könnte. Auch nicht, dass die tiefste Stelle des Stroms mit 32 Metern bei Rheinfelden in Baden-Württemberg liegt.

Mathijs Deen hat völlig andere Blickwinkel. Zum Beispiel: Wie sieht ein geschwächter Lachs den Rhein – vor drei Millionen Jahren? Oder wie empfindet der Bauernsohn Dacco seine Heimkehr an die Rheinmündung im Frühjahr 93 nach Christus? Nachdem er 25 Jahre zwangsweise Dienst im römischen Imperium leistete. Die Erkenntnis des Legionärs: „Es gibt Flüsse, die noch viel breiter sind als unserer.“

Der Autor nimmt den Leser also mit auf eine ungewöhnliche Reise durch Zeiten und über Grenzen hinweg, vorbei an Flusspferden, die an den Ufern grasen und die auch Rheinpferde heißen könnten, bis hin zu den Laichplätzen der Lachse.
     Er erinnert an das Wirken römischer Feldherren, für die der Strom Grenze war und vergisst auch die Rheinromantik mit den majestätisch thronenden Burgen nicht.
     Und so mäandrierend wie der Fluss, so mäandrierend sind Deens Geschichten über ihn. Er beschreibt, wie dieser Strom uns heute erscheint, wie er dann und wann einmal war oder – da spielt die Fantasie mit –, wie er hätte sein können.
 
Raffiniert verwebt Deen wissenschaftliche Aspekte mit historischen Fakten, lässt Julius Caesar und den jungen Goethe am großen Fluss aufleben, fragt Archäologen, Geologen und Binnenschiffer, Bürger und Bedienstete staatlicher Stellen. Derartige Recherchen zeigen die Handschrift eines Journalisten, der zu unterhalten weiß.
     Der Autor ist hierzulande kein Unbekannter. Mit seinen Kriminalromanen, die zumeist an der Nordsee oder im niederländisch-deutschen Grenzgebiet spielen, wie etwa „Der Holländer“, hat er Bestseller platziert. Dies hingegen, im Gegensatz zu anderen Autoren des klassischen Regionalkrimis, eher eigenwillig im Stil, gleichwohl mit hohem Spannungsgehalt und großartigen poetischen Sprachbildern. Krimi also einmal anders!
 

Mathijs Deen 2018 erhielt er für die literarische Qualität seines Werks den Halewijnpreis. Zuletzt erschienen von ihm auf Deutsch Über alte Wege. Eine Reise durch die Geschichte Europas, der Roman Unter den Menschen sowie Der Holländer. Foto © Verlag Knesebeck München, 2023

 

Diesen Eindruck dürfte man auch auf sein Rhein-Buch übertragen. Deens Geschichten und Anekdoten entlang des über 1200 Kilometer langen Gewässers durch das Herz Europas sind virtuos, fesselnd und kenntnisreich, farbig und humorvoll, da und dort auch verblüffend und lehrreich.
     Etwa bei seinen archäologischen Ausflügen. Wer wüsste schon, dass es im heutigen Nordholland tatsächlich ein römisches Kastell namens Flevum gegeben hatte, zur Abwehr von Seeräubern, von dem man lange glaubte, es existierte „nur im Reich von Tacitus´ Fantasie“.

Wenn der Autor auf den ersten Seiten mit geologischen Termini arbeitet und dem Tethysmeer, dem Urkontinent Pangaea oder dem Proto- oder Ur-Rhein zur Auferstehung verhilft, die Kalt- und Warmzeiten wirken und Mineralien wie Hornblende und Epidot sich feinkörnig an den Stromufern ablagern lässt - sei es drum. Sein Blick als Journalist, der besondere Ansichten sucht und findet, liefert zahlreiche wunderbare Geschichten.
     Etwa die von Daniela und Erhard, ein Rentnerehepaar aus Warnemünde an der Ostsee, dass auf einer Bank am Fußweg zum Loreleyplateau rastete. „Wir wollten unser Leben lang zur Loreley“, sagte Daniela. Was nach ihrer Ansicht der Unterschied sei zwischen Menschen, die am Meer oder Fluss lebten? „Die Menschen hier sind immer beschäftigt, immer kommt irgendetwas vorbei.“ Ja genau, so ist es am Rhein! Und Ehemann Erhard ergänzt mit der Weisheit: „Menschen am Meer sind gelassener.“

Die kulturhistorische Rhein-Biografie Deens strömt im gewissen Sinne auch diese Gelassenheit aus. Eine Erzählung zwischen Fakten und Fiktionen, Wissen und Fantasie. Eine reizvolle, spannende Kombination, eine in der Tat einmal andere Sicht auf Rhenus Pater, der immer Lebensader aber auch Sorgenkind war. Bei Deen changiert er zwischen Hauptfigur und Statistenrolle und der Autor lässt ihn in seinem unterhaltsamen Stil zu einem wahren Fluss ohne Grenzen werden. Eine kurzweilige Lektüre für Mußestunden am Fluss – aber natürlich auch andernorts.
rART/cpw

Literaturhinweis:
Mathijs Deen, Fluss ohne Grenzen. Der Rhein – eine literarische Biografie. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Hardcover, 1. Auflage 2023. 301 Seiten. Verlag Knesebeck München. ISBN 978-3-95728-682-6. Preis 25,00 Euro
 

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