Archiv 2021
75 JAHRE NRW
Mathias T. Engels – die graue Eminenz
Es kommt immer wieder vor, dass Initiativen und Leistungen von politischen Entscheidungsträgern vergessen, übersehen, falsch zugeschrieben oder in ihrer Bedeutung nicht erkannt werden.
Mathias T. Engels und Museumsdirektorin Irmgard Feldhaus im Clemens-Sels-Museum am Obertor Neuss im Juni-August 1953, anlässlich der Ausstellung Hans Lünenborg. Foto Courtesy Archiv Gisela Götte, Fotoreproduktion © rheinische ART 2021 |
Der Kunsthistoriker und Ministerialrat Mathias T. Engels (1911−1987) ist in dieser Hinsicht ein bemerkenswertes Beispiel. Eine heute fast vergessene Persönlichkeit, die der SPIEGEL 1960 als „umtriebigen Kunstbeamten“ betitelte, eine Charakterisierung, die er allerdings nicht mochte.
Der gebürtige Jülicher galt nach der NS-Zeit als politisch unbelastet. Er erhielt 1946 zunächst im Düsseldorfer Stahlhof, dem Sitz der britischen Militärregierung „eine Funktion bei der Kunstschutzabteilung“ MFA & A (Monuments, Fine Arts & Archives), wie er in seinen „Lebensdaten“ vermerkte. Diese Dienststelle, die britische Variante der mit einem Hollywood-Film populär gewordenen US-amerikanischen „Monuments Men“ (mehr), sollte eine wichtige Rolle spielen.
Christine Teusch um 1947. Die Kölnerin war bis 1933 Abgeordnete der Zentrumspartei im Berliner Reichstag. Sie stand in der NS-Zeit dem christlichen Widerstand gegen Hitler nahe. Foto © Landesarchiv NRW, Abtlg. Rheinland RWB 1264/3 Fotograph Carl August Stachelscheid. Bildquelle LVR Paul Klee Gezeichneter, 1935. Ölfarbe und Aquarell auf ölgrundierter Gaze, auf Karton, auf Keilrahmen genagelt. 30,8 x 27,5 cm. Foto © Kunstsammlung NRW. Nach der Emigration 1933 befand sich Klee in einer persönlich schwierigen Situation und schuf 1935 das symbolische Selbstbildnis. |
Nach der Gründung von Nordrhein-Westfalen (NRW) 1946 wurde Engels 1947 als Referatsleiter „Förderung der bildenden Künste“ in das Kultusministerium des neuen Landes berufen, dem die erfahrene CDU-Politikerin Christine Teusch (1888−1968) vorstand.
Engels regte an, Werke von regionalen Künstlern anzukaufen, um sowohl junge Talente als auch unter dem NS-Regime verfemte Künstler finanziell zu unterstützen. Die von ihm getätigten Ankäufe mündeten in der Sammlung „Kunst aus Nordrhein-Westfalen“, die seit Mitte der 1970er Jahre in der ehemaligen Reichsabtei Kornelimünster ihren Platz hat (mehr).
Engels konnte bei Antritt seiner Arbeit für das Land auf bewegte Jahre zurückblicken, hatte er doch unstete und schwierige Zeiten hinter sich, letztlich auch wegen seiner politischen Einstellung.
Ab dem Sommer 1931 studierte der künstlerisch begabte Zwanzigjährige an der Kunstakademie Düsseldorf als „Schüler von Heinrich Nauen“. Die NS-Ausrichtung der Akademie veranlasste ihn, das Studium im Winter 1932/33 abzubrechen. Er immatrikulierte sich an der Universität Köln für Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie, allerdings nur kurzzeitig. „Wegen seines Engagements für die moderne Kunst, vor allem für das Werk von Paul Klee, den er persönlich an der Düsseldorfer Akademie kennen gelernt hatte, mußte er die Kölner Universität verlassen“, erinnerte sich Irmgard Feldhaus, Weggefährtin in der Nachkriegszeit und bis 1985 Leiterin des Neusser Clemens-Sels-Museums (mehr).
Engels studierte weiter an der Universität Bonn und promovierte 1937 über mittelalterliche Glasmalerei. Beruflich öffneten sich für ihn in seiner rheinischen Heimat jedoch keine Türen. „Meine erste berufliche Tätigkeit übte ich in Ostpreußen aus, wo ich 1937 eine Stelle in der Inventarisation der Bau- und Kirchendenkmäler erhielt“, schrieb Engels rückblickend. Offenbar war der Endzwanziger das, was man heute einen „Nonkonformisten“ nennt.
Mathias T. Engels Handskizze auf NSDAP-Papier aus seiner Zeit bei der Stadt Bonn (undatiert), vor 1945. Foto Courtesy Gisela Götte, Fotoreproduktion © rheinische ART 2021
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Kurz vor Kriegsbeginn im September 1939 wurde Engels „aus politischen Gründen“ in Ostpreußen entlassen. Im Rheinland fand er, wie er es formulierte, durch „freundschaftliche Vermittlung“ eine Tätigkeit beim Bonner Amt für Denkmalspflege.
Es folgte eine Dienstverpflichtung zu einer „außerberuflichen Tätigkeit“, nämlich die Ausgabe von Bezugsscheinen und ein Jahr später zog ihn die Wehrmacht ein. Der Soldat Engels wurde in Frankreich verwundet und erlebte das Kriegsende in der Tschechoslowakei. Dorthin hatte es auch seine Familie im Zuge von Evakuierungen verschlagen. Engels künstlerisches Talent als Porträtist half, wie Irmgard Feldhaus notierte, beim Überleben, „indem er die Honorare der porträtierten Besatzer, die meist in Zigaretten bestanden, in Lebensmittel für seine Angehörigen umsetzen konnte“.
Spätes Portrait des Provinzial- bzw. Landeskonservators Prof. Dr. Graf Wolff Metternich (undatiert), Foto © Archiv des LVR 2021
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Bei der Besetzung von kunstaffinen Stellen spielte im Rheinland eine Persönlichkeit eine wichtige Rolle: der Kunsthistoriker, Honorarprofessor der Universität Bonn und ehemalige Landeskonservator der Nordrheinlande Franz Graf Wolff-Metternich zur Gracht (1893−1975).
Wolff-Metternich war bis 1942 in Paris Leiter des deutschen militärischen Kunstschutzes der Wehrmacht gewesen. Den NS-Stellen, vor allen den berüchtigten Kunsträubern des „Einsatzstabes Rosenberg“, passte Metternichs frankreichfreundliche Haltung nicht. Sie veranlassten seine Beurlaubung und 1943 seine Entlassung. Nach dem Krieg galt der Kunstfachmann als „Der Graf, der die Mona Lisa vor Göring schützte“.
Wolff-Metternich förderte gleichgesinnte, vertraute Bekannte und Kollegen aus der rheinischen Kultur- und Museumsszene. Durch ihn kamen sowohl Feldhaus im November 1945 als auch kurz darauf Engels zur Düsseldorfer MFA & A. Die Aufgabe dieser Stelle bestand vorzugsweise in der Rückführung ausgelagerter Kunstgüter heimischer Museen, die im Bereich der britischen Besatzungszone lagen. Zentraler Sammelpunkt derartiger Kulturgüter war das britische Kunstgutlager (Zonal Fine Arts Repository) im Schloss Celle in Niedersachsen.
Seine spätere Tätigkeit als Referatsleiter und Ministerialrat umschrieb Mathias T. Engels später trocken: „Mein Aufgabenbereich konzentrierte sich auf die staatliche Förderung der Kunst und der Museen. Diese Tätigkeit habe ich bis zu meiner Pensionierung im Jahre 1976 ausgeübt.“ Dahinter verbarg sich allerdings eine fast drei Jahrzehnte währende zukunftsweisende und kluge Kulturpolitik, die Engels im Rückblick als graue Eminenz mit bemerkenswertem Handlungsspielraum erscheinen lässt.
Zu einer der ersten Maßnahmen, die auf seine Initiative zurückging, gehörte ab 1948 der Ankauf von Kunstwerken junger „fördernswerter künstlerischer Begabungen“ mit Geldmitteln des Landes. Die international isolierten Kreativen sollten mit den Hilfsgeldern die schwierigen Nachkriegsjahre überstehen. Kontakte ins Ausland oder Ausstellungen waren für deutsche Künstler zu dem Zeitpunkt fast unmöglich. Eine Ausnahme bildete der Aachener Informel-Vertreter K.O.Goetz, der Mitglied der COBRA-Künstlergruppe geworden war und auch Verbindungen zum Leiter des Celler Kunstgutlagers, Major William Gear, unterhielt (mehr).
Der Erwerb von Malereien und Skulpturen diente in erster Linie als Förderinstrument, um notleidenden Künstlern unbürokratisch und schnell zu helfen, was Engels stets hervorhob. Als reinen Nebeneffekt sah er die Tatsache an, dass diese Kunstwerke von Landesbehörden angefordert und in Büros als „Ausschmückung“ genutzt werden konnten.
Bruno Goller Ballspielende Mädchen, um 1950, Öl auf Leinwand, 50,5 x 100,8 cm. Das Gemälde stammt aus dem persönlichen Besitz von Mathias T. Engels und wurde 2020 beim Kunsthaus Lempertz verauktioniert. Fotoquelle © Lempertz Köln 2020 |
Den Auftakt seiner Ankäufe markierte das Aquarell „Schildkröte“ des Gelsenkirchener Malers Karl Schwesig. Dem ehemaligen „Junges Rheinland“- Mitglied (mehr) brachte es 200 D-Mark ein. Auch der Informel-Akteur Hann Trier (mehr), damals 33 Jahre alt, gehörte zu den ersten Geförderten. Für sein Ölgemälde „Amboss“ erhielt er 600 D-Mark.
Bruno Gollers Werk „Altar im Gefangenenlager“ ging für 735 D-Mark an das Land. Das später als „Ladenhüter“ klassifizierte Werk wurde aber als „Amtsstubenschmuck“ kaum nachgefragt; Engels hing es in sein Dienstzimmer.
Zunächst machten nur wenige Ministeriale und Landesbeamte von dem Leihangebot Gebrauch und Avantgarde-Kunst – die damals tonangebend war – wurde nur vereinzelt gewählt. Wiederaufbau-Minister Fritz Steinhoff etwa hatte als Requisiten Werke von Bruno Goller und Joseph Fassbender in seinen Büroräumen. Kultusministerin Christine Teusch favorisierte einen Gobelin der Kölner Künstlerin Alice Koch-Gierlichs, die mehrere Tapisserien für öffentliche Stellen herstellte.
Bilderkäufer Engels (mit Klee-Büste): Kristallisationspunkt am Rhein. Foto © DER SPIEGEL Nr. 31/ 1960. Glanz durch Klee 26.7.1960 |
In seiner Zuständigkeit für Kunstankäufe verantwortete Mathias T. Engels einen besonders markanten Vorgang. Für die damals ungeheure Summe von 6,5 Millionen D-Mark kaufte er 1960 dem Baseler Kunsthändler Ernst Beyeler 88 Arbeiten von Paul Klee ab. Diese stammten aus der Sammlung des US-Stahlindustriellen Georg David Thompson.
Das Konvolut bildete den Grundstock der im Aufbau befindlichen repräsentativen „Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen“ in Düsseldorf (heute K20/K21), die 1961 gegründet in diesem Jahr ihr 60-jähriges Bestehen feiert. Leiter der Staatssammlung war von 1962 bis 1990 der deutsch-schweizerische Kunsthistoriker Werner Schmalenbach, der diese zu einer bedeutenden Sammlung der Malerei des 20. Jahrhunderts aufbaute. Die tatsächliche Kaufentscheidung über die Klee-Werke oblag allerdings zwei Jahre zuvor dem Ministerialrat und Sachkenner Engels.
Die Klee-Arbeiten passten seinerzeit hervorragend ins NRW-Konzept. Sie können, wie es damals gelegentlich hieß, als eine Art Wiedergutmachung dem Vermächtnis Paul Klees gegenüber gelesen werden – und vielleicht auch von Seiten des Käufers Engels. Schließlich hatten der Künstler Klee und der junge Student Engels erdrückende Erfahrungen in des NS-Diktatur gemacht. Denn Paul Klee war vom Dessauer Bauhaus kommend in Düsseldorf als Professor zwei Jahre an der Kunstakademie tätig, bevor er durch die Nationalsozialisten 1933 entlassen wurde.
Mathias T. Engels Wilhelm Teuwen (Buchcover). Reihe: Monographien zur bildenden Kunst unserer Zeit, Band 23. Hrsg. Kultusministerium NRW, Verlag Aurel Bongers Recklinghausen, 1970, Foto © rheinische ART 2021
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Engels selbst sah seine berufliche Tätigkeit „immer von einem persönlichen Engagement für die Kunst bestimmt“. Er war mit einer Reihe von Künstlern befreundet und sammelte im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst Kunst. Von ihm stammen mehrere achtenswerte Publikationen über rheinische Maler wie zum Beispiel August Macke, Heinrich Campendonk, Wilhelm Teuwen sowie Adalbert Trillhase, den er als den „wohl bedeutendsten Vertreter der naiven Malerei in Deutschland“ ansah.
Im Josph Beuys-Jahr 2021, in dem das Land NRW den Künstler in einer umfassenden Retrospektive an vielen Kunstorten präsentiert (mehr), ist noch zu bemerken, dass Engels sich nicht dafür einsetzte, dass dem Künstler Beuys bis 1975 ein Kunstwerk mit Fördermitteln abgekauft wurde. Der Ministerialrat hielt Beuys für einen „Scharlatan" und bejahte die Entscheidung seiner Entlassung als Professor von der Kunstakademie Düsseldorf.
Claus P. Woitschützke
► Zu den Initiativen Engels während seiner Amtszeit gehörten unter anderen die folgende Maßnahmen:
• Alljährliche Verleihung von Förderpreisen an junge begabte Nachwuchskünstler, der Ankauf von Werken fördernswerter Begabungen
• Erfassung von Kriegsschäden an Kulturgütern jeder Art in NRW
• Herausgabe von sogenannten „Schuldrucken“, mit deren Herstellung namhafte Künstler beauftragt wurden und die kostenlos an die Schulen abgegeben wurden
• Gewährung von Zuschüssen an die Museen zum Ankauf von Kunstwerken und die Bewilligung von finanziellen Beihilfen für die Durchführung besonderer Kunstausstellungen
Zitierquellen:
- Persönliche Lebensdaten Dr. Mathias T. Engels, verfasst 1983
- Erinnerungen und Beschreibung von Dr. Irmgard Feldhaus, ehemals Direktorin des Clemens-Sels-Museums Neuss, zum Leben von Mathias T. Engels
- Glanz durch Klee, DER SPIEGEL 31/1960 vom 26.7.1960
- Marcel Schumacher: Die Sammlung im politischen Raum, S. 13 in: Bürokomplex. Die Kunst der Artothek im politischen Raum, Kunsthaus NRW Kornelimünster, im Auftrag des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen 2021