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rheinische ART 12/2021

Archiv 2021

HISTORIE
Auf Draht gebaut

 

Das Rheinland spielt in der deutschen Wirtschaftsgeschichte eine herausragende Rolle. Zahlreiche Unternehmerfamilien prägten über Jahrhunderte das ökonomische Geschehen der Region.

 

 

Historische Darstellung Fabrikanlage der Felten & Guilleaume Carlswerk AG, Köln Mülheim, 1899. Das Werk produzierte dort ab 1874 ein breites Sortiment an Drähten und Kabeln, vom Klavierdraht bis zum späteren Telegraphenkabel, darunter mehradrige Verbindungen für Nachrichtenverkehre über Land sowie die erste unterseeische Fernsprechleitung von Buenos Aires nach Montevideo. Bildquelle © Rheinisches Bildarchiv Köln

 

Zu den großen Industriebetrieben gehörte die Kölner Felten & Guilleaume AG (F & G) mit ihrem Carlswerk im rechtsrheinischen Stadtteil Mülheim. Der Seil- und Kabelproduzent war bis weit in das 20. Jahrhundert einer der größten Arbeitgeber der Stadt.

     Die Wurzeln dieses später global agierenden Industrieunternehmens reichen bis in das Jahr 1682 zurück. Damals betrieb der Seilermeister Hartmann Felten in Köln eine Hanfseile- und Kordelwerkstatt. 1820 nahm der spätere Nachfahre Johann Theodor Felten seinen Schwiegersohn Carl Guilleaume in die Firma auf. Mangels Felten-Nachkommen leitete die Guilleaume-Familie nun das Unternehmen unter Beibehaltung des Gründernamens.

 

Christian Sell (1831–1883) Verlegung des Telegraphenkabels Berlin-Köln bei Mülheim, 1880, Foto © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. Original: Frankfurt a.M., Museum für Kommunikation.

 

Anonym Portrait Franz Carl Guilleaume, um 1874, Bildnachweis: Rheinisches Bildarchiv Köln, Bildquelle © Wikipedia gemeinfrei

 

Franz Carl Guilleaume, Skulptur am Kölner Rathausturm, 1991, Bildhauer: Georg Paul Maria Ahrens. (Stadtkonservator Köln) Bildquelle © LVR Bonn

 

Eine der führenden Figuren wurde als Alleininhaber der dynamische und vorausschauende Franz Carl Guilleaume (1834–1887), verheiratet mit der Aachenerin Antoinette Gründgens (1837–1923), eine Tante des Schauspielers, Regisseurs und Theaterintendanten Gustaf Gründgens.

     Franz Carl Guilleaume trieb vor allem die Entwicklung des Stromkabelgeschäfts voran, begünstigt durch die im preußischen Rheinland einsetzende Industrialisierung.

     Das trug ihm den anerkennenden Titel „Siemens des Westens“ und später eine Skulptur am Rathaus der Domstadt ein. Das Unternehmen F & G expandierte und prosperierte; um 1900 beschäftigte allein das Kölner Carlswerk rund 4.900 Arbeitnehmer.

Die Söhne Theodor, Max und Arnold von Guilleaume – die Familie hatte 1904 den Adelstitel erhalten – standen an vorderster Stelle der Kölner Millionäre.

 

Üblicherweise lebten Firmeninhaber in der Stadt oder nahe der Betriebsstätte. Die Familie Arnold von Guilleaume residierte zum Beispiel am Kölner Salierring. Das war allerding nicht zu jeder Jahreszeit besonders erstrebenswert, Sommerfrische war gefragt. Wie viele Vermögende hatte auch der Geldadel „Lust aufs Land“.

     So lautet auch der Titel einer regional-historischen Publikation, erschienen in Oberwinter, die sich nicht so sehr der bereits oft geschilderten Wirtschaftsgeschichte führender Unternehmerpersönlickeiten widmet, sondern deren Drang nach Landhäusern.

     Die wohlhabenden Guilleaumes aus Köln erwarben am Mittelrhein bei Remagen und Wachtberg luxuriöse Villen und Sommerresidenzen und bauten teils herrschaftliche Häuser für ihre Zwecke um. Zu diesen Objekten gehörten Schloss Gudenau, Jagdschloss Calmuth, Schloss Marienfels, Schloss Ernich und Haus Herresberg.

 

Schloss Ernich ehemalige Residenz des französischen Botschafters bis 1999. Bildquelle © Kreis Ahrweiler

 

Kulturdenkmal Schloss Marienfels, Sommersitz am Mittelrhein mit wechselnden Eigentümern. 1860 erbaut vom Krefelder Zuckerfabrikanten Eduard Frings, über Max von Guilleaume (1907) bis zum Entertainer Thomas Gottschalk (2004). Foto © Tohma 2009. Bildquelle © Portal Rheinische Geschichte, LVR Bonn 2021

 

So kauften die Eheleute Arnold und Ella von Guilleaume 1903 in Remagen auf einem Plateau in der Gemarkung „auf der Ernichlay“ 50 Morgen Wald.

     Auf dem Areal ließen sie nach Plänen des kaiserlichen Hofbaumeisters Ernst Eberhard von Ihne, ein typischer Vertreter des wilhelminischen Neobarocks, das Schloss Ernich als Sommersitz errichten.

     Die Bauherren erweiterten 1916 ihren Grundbesitz ferner um die unweit gelegene Villa Herresberg. Das Anwesen vermieteten sie später an den Düsseldorfer Maler und „Junges Rheinland“-Mitglied Fritz Westendorp (mehr). 

    Bruder Max von Guilleaume erwarb für sich und die Seinen 1907 das Remagener Schloss Marienfels und modernisierte es. Er war auch Eigentümer des idyllischen Jagdschlosses Calmuth.

 

Die bewegteste Geschichte dieser Landsitze verzeichnete Schloss Ernich, denn es avancierte zu einem diplomatischen Nobelort und nachkriegspolitischen Hotspot. Von 1949 bis 1955 war es Residenz des französischen Hohen Kommissars, dann 45 Jahre lang Frankreichs Botschaftsresidenz in der Bundesrepublik. Das Schloss besuchten hohe Staatsgäste, einige wohnten darin wie Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle bei seinem Bonn-Besuch im September 1962. Mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin 1999 verlor der Standort seine Bedeutung.

 

Buchcover „Lust aufs Land – die Landhäuser der Familie von Guilleaume“

Die Mitglieder des Familienclans der Guilleaumes verkehrten ab dem Jahr 1900 in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen des Kaiserreiches und zelebrierten „dabei einen Lebensstil, den sich einfache Bürger nicht vorstellen konnten“, wie es in der Publikation heißt. Ihre fürstlichen rheinischen Residenzen waren zwar allgemein bekannt, aber nur die „wenigsten wussten, wer und was sich drin verbarg“.

     Die regionalgeschichtliche Publikation „Lust aufs Land“ ist eine detail- und bildreiche Fundgrube für Familien- und Wirtschaftshistoriker.

     Vor dem Hintergrund der ungeheuren politischen, ökonomischen und sozialen Verwerfungen, die eine Weltwirtschaftskrise, technische Revolutionen, zwei Weltkriege und Besatzungszeiten umfassten, werden die Familiengeschichte der Guilleaumes, ihre unternehmerischen Aktivitäten und ihr feudales „Landleben“ mit zahlreichen, teils amüsanten und skurrilen Geschichten und Anekdoten, ausgebreitet.

     Das Buch „Lust aufs Land“ ist aber mehr als eine unterhaltsame Geschichtenkollektion, es bietet ein höchst anschauliches kulturgeschichtliches Spiegelbild des Rheinlands.
rART/cpw

 


 Literaturhinweis
Christian Schmiedel, Heinz Wilms: Lust aufs Land. Die Landhäuser der Familie von Guilleaume. 336 Seiten, über 600 Abbildungen. Hrsg. Vereinigung Rathaus Oberwinter und Archiv e.V.. 2. Auflage 2016. ISBN 978-3-9819031-1-9 

 

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