RAUMKUNST
Erwartungen
Seine wichtigste Erfindung, sagte Lucio Fontana selbst, sei das „Loch“ (italienisch buco) gewesen. Er machte sie 1949. In diesem Jahr durchlöcherte er erstmals Papierbögen und Leinwände mit einem Stecheisen: eine einfache bildhauerische Handlung, die die Spielregeln der Kunst ein für alle Mal veränderte.
Lucio Fontana Concetto spaziale. Rosso e pietre, 1954,Mischtechnik mit aufgelegtem Sand und farbigen Glasfußbrocken auf perforierter Leinwand, 65 x 80 cm, Von der Heydt-Museum Wuppertal © Fondazione Lucio Fontana, Mailand, by SIAE / GEMA 2024 / VG Bild-Kunst, Bonn 2024 |
Bis dahin war die Fläche einer Leinwand oder eines Blattes Papier nichts anderes als ein Untergrund gewesen, auf dem malerisch eine Illusion von Raum dargestellt wurde. Fontana aber öffnete sie tatsächlich physisch für den Raum.
Lucio Fontanas (1899-1968) zentrales Thema war der Raum, die Räumlichkeit, die schöpferisch-spielerisch von ihm in Szene gesetzt wurde. Kraftvoll waren diese „Einschnitte“ im wahrsten Sinne des Wortes auch in sein Œuvre, denn von da an war der Weg in die Konzeptkunst nicht weit.
Lucio Fontana Concetto spaziale / Raumkonzept, 1964-65, Messing, Ritzung, perforiert, 96,5 x 63 cm, Privatsammlung, Niederlande, Foto: Eric de Vries © Fondazione Lucio Fontana, Mailand, by SIAE / GEMA 2024 / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
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Seit 1946 bezeichnete er die Mehrzahl seiner Arbeiten als „concetto spaziale“ (Raumkonzept). Zusammen mit anderen Künstlern erklärte er in einer Reihe von Manifesten die Raumkunst, den „Spazialismo“, zur Kunstform der Gegenwart. Die Gegenwart – es war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und seiner Überzeugung nach verlangte es die Menschen in dieser neuen Zeit auch nach einer neuen Kunst. Sein Werk verstand Fontana als Angebot, den Raum mit den Mitteln der Kunst anders zu erfahren und umfassend neu zu denken.
Anregen ließ er sich dazu durch die Fortschritte der modernen Wissenschaft und Technik, die er aufmerksam verfolgte. Insbesondere Astronomie und Weltraumfahrt beschäftigten ihn. Vielfach sprengte er vertraute Formen, arbeitete mit ungewöhnlichen Materialien und verschob die Grenzen der traditionellen Gattungen.
Lucio Fontana Natura. 1960, Bronze, Ø 56, 2/3, Von der Heydt-Museum Wuppertal © Fondazione Lucio Fontana, Mailand, by SIAE / GEMA 2024 / VG Bild-Kunst, Bonn 2024 |
Lucio Fontana zählt zu den Schlüsselfiguren der Kunst des 20. Jahrhunderts. Sein Werk, das betonen die Ausstellungsmacher im Von der Heydt-Museum, ist wegweisend für viele Generationen von Künstlern – hier ist besonders die ZERO-Gruppe, die ebenfalls in der Schau vertreten ist, zu erwähnen - bis heute. Erstmals seit fast 30 Jahren in Deutschland zeigt diese Schau Fontanas Schaffen in seiner ganzen Breite, von der Zeichnung bis zur Rauminstallation. Sie entstand in enger Kooperation mit der Fondazione Lucio Fontana / Mailand. Anhand ausgewählter Arbeiten spannt sie einen Bogen von den 1930er Jahren bis zu Fontanas Todesjahr 1968.
Lucio Fontana Concetto spaziale. Attese. 1968, Leinwand, 82 x 65 cm, Von der Heydt-Museum Wuppertal © Fondazione Lucio Fontana, Mailand, by SIAE / GEMA 2024 / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Lucio Fontana Crocifisso / Kreuzigung, 1955/57, Keramik, farbig glasiert, 43 x 35,5 x 11 cm, Galerie Karsten Greve Köln, Foto: Saša Fuis © Fondazione Lucio Fontana, Mailand, by SIAE / GEMA 2024 / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
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Der Titel der Ausstellung „Erwartung“ verweist auf seine bekannteste Werkgruppe: die Schnittbilder, die er mit dem vieldeutigen Begriff „Attesa“ (Erwartung) benannte. Sie verkörpern besonders klar seine Faszination für den Raum, seinen Anspruch, ins Neue und Offene aufzubrechen.
Diesen Arbeiten – sie fertigte Fontana ab 1958 - ist eine besondere Anziehungskraft zu eigen. Sie bestehen aus Bildern, deren Oberflächen er durch einen oder mehrere Schnitte mit dem Messer durchtrennte. Hinter den Schnitten scheinen sich gefühlt Räume von unbestimmbarer Tiefe zu öffnen.
Mit zahlreichen Variationen, auch in der Skulptur, führte er die Serie fort bis zu seinem Tod. Der Titel „Erwartung“, so das ausstellende Haus, deute auch in die Zukunft, auf ein Ereignis, das eintreten wird oder eintreten könnte. Hier vermittele der Künstler „ein Gefühl von Optimismus und Fortschrittsglauben. Zugleich schwingt etwas Nachdenkliches in ihnen mit, die Vorstellung eines Jenseits. Wie Fontana selbst sagte, war der Schnitt in eine Leinwand für ihn ein ‚Akt des Glaubens an das Unendliche‘. Wenn er sich selbst in eines seiner Schnittbilder vertiefe, fühle er sich vollkommen frei: als ein Mensch, dem Gegenwart und Zukunft offenstehen.“
Der Mensch Lucio Fontana wird dem Besucher durch eine Serie von schwarz-weiß Fotografien des Lichtbildners Lothar Wolleh näher gebracht. Die Düsseldorfer Galerie von Alfred Schmela, die bereits 1960 Werke von Lucio Fontana zeigte, war damals ein Zentrum der jungen Kunstszene im Rheinland und der Fotograf Lothar Wolleh begegnete hier vielen Künstlern, etwa Joseph Beuys, Gotthard Graubner, Adolf Luther, Heinz Mack, Blinky Palermo, Jan Schoonhoven und Günther Uecker. Zwischen Wolleh und Fontana entwickelte sich eine Freundschaft und 1963 war Fontana einer der ersten Künstler, die Wolleh porträtierte.
rART/ruwoi
Die Ausstellung „Lucio Fontana. Erwartung“ ist bis zum 12.01.2025 zu sehen.
Von der Heydt-Museum
Turmhof 8
42103 Wuppertal
Tel. 0202 / 563-6231
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 18 Uhr
DO 11 – 20 Uhr