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rheinische ART 09/2017

Archiv 2017

FONTANA IM HANGAR
Wiederkehr kurzlebiger Schönheit


Für seine Kühnheit und Radikalität war er zunächst berüchtigt, dann berühmt. Als „Bilder-Mörder“ titulierte man ihn, nachdem er seine Leinwände mit dem Messer malträtierte. Aber alles galt nur einem Ziel: der Suche nach neuen Formen der Abstraktion.

 

Lucio Fontana Ambiente Spaziale, 1967. Fluorescent colors and Wood´s light Photo: Stedelijk Museum, Amsterdam. © Fondazione Lucio Fontana, Milano

 

Die ersten Inspirationen dieser Art hatte der Avantgardist Lucio Fontana etwa Mitte der Vierzigerjahre, und sie hielten lange an. Allerdings war es keine blinde Zerstörungswut, auch keine simple infantile Lust am Zerschneiden. Fontana bediente sich des Aufschlitzens, Durchlöcherns oder Zerhackens - und dachte sich was dabei.

 
Überwindung der Zweidimensionalität Der in Argentinien geborene Italiener wollte die Malerei zerstören um eine „Idee“ durchzusetzen, die er „Movimento spaziale“ (Raumkonzept) nannte. Um Plastizität zu erreichen, durchlöcherte er ab 1949 seine monochromen Gemälde. Später setzte er senkrechte Schnitte auf die Leinwand, unterlegte sie mit Gaze, um die räumliche Wirkung zu erhöhen.
     Das war neue Kunst. Die Zerstörung des Bildträgers war aus seiner Sicht die Liquidierung der Basis der traditionellen Malerei. Die Schnitte (Tagli) und Löcher (Buchi) machten ihn zu einem revolutionären Künstler der Nachkriegszeit.
 

Lucio Fontana © Fondazione Lucio Fontana, Milan/Milano

 
 

Lucio Fontana Ambiente nero, 1948-1949, Colored ink on photography © Fondazione Lucio Fontana, Milano

 

Gleichzeitig übertrug Fontana seine Raumideen auf die Architektur und schuf raumbezogene Installationen, die er „Ambienti spaziali“ nannte.
     Diesen Werksteil von Lucio Fontana (1899-1968) zeigt derzeit das Kunstzentrum Pirelli HangarBicocca in Mailand in Form von zehn Rekonstruktionen. Nachbildungen sind es deshalb, weil mit ihnen Fontanas Ideen der Umwelt- oder Rauminstallationen heute anschaulich gemacht werden können. Den ursprünglichen Aufbauten war nämlich nur ein kurzes Leben vergönnt. Nach einer Ausstellung wurden sie in der Regel vom Meister persönlich zerstört.

Die Ausstellung „Ambienti/Environments“ präsentiert damit die ersten Werke, die es in der modernen Kunst zum Thema „raumbezogene Installationen“ überhaupt gab. Trotz des hohen Innovationsgrades, so die Pirelli-Kuratoren, seien diese Kunstwerke relativ unbekannt. Erst in den letzten Jahren seien umfangreiche Recherchen und wissenschaftliche Forschungen zu diesen Fontana-Arbeiten erfolgt.
 

 

Lucio Fontana Ambiente spaziale, 1966, Black canvas, fluorescent paint Installation view, Walker Art Center, Minneapolis. Photo: Eric Sutherland. Courtesy Walker Art Center, Minneapolis. © Fondazione Lucio Fontana, Milano

 

Lucio Fontana Ambiente spaziale con neon, 1967. Reddish-purple neon tube. Photo: Stedelijk Museum, Amsterdam, © Fondazione Lucio Fontana, Milano

 

Lucio Fontana Struttura al neon per la IX Triennale di Milano, 1951. Crystal tube with white neon © Fondazione Lucio Fontana, Milano

 

Im HangarBicocca sind maßgebliche Environments zu sehen, die Fontana speziell für Museen kreiert hatte. So das „Ambiente spaziale“ von 1966 für das Walker Art Center in Minneapolis, in dem der Italiener in einem leeren dunklen Raum Licht als Medium platzierte.
     Ferner Rauminstallationen für das Stedelijk Museum, Amsterdam, 1967, in denen dominierendes rötliches Neonlicht oder fluoreszierende Farbkompositionen von ihm verwendet wurden. Zu den frühen Lichtkonstruktionen, die in Mailand ausgestellt werden, gehört ebenso Fontanas damaliges zweites Environment mit dem Titel „Struttura al neon per la IX Triennale di Milano“ (1951). Es ist eine aufwändige, verschlungene Neonskulptur, die er ursprünglich für die Decke der Triennale in Mailand entwarf.

Die Schau im sehenswerten HangarBicocca, einem großartigen Kunsttempel des Reifenproduzenten Pirelli (mehr) im ehemals industriellen Norden der lombardischen Metropole, bietet die einmalige Gelegenheit, komplett rekonstruierte Environments zu sehen, die auch erstmals in dieser Konstellation gezeigt werden. Der Besucher kann durch die gefeierten Raum-Kreationen wandern, die sich mit unterschiedlichen Formen und Farben an Glaswänden, in Korridoren und auf labyrinthischen Wegen entfalten wie colorierte Süßwaren in einer Wundertüte.
 

Lucio Fontana Fonti di energia, soffitto di neon per ´Italia 61´, a Torino, 1961. Neon, seven stories of neon lights © Fondazione Lucio Fontana, Milano

 

Anfänge Die raumbezogenen Ideen des gelernten Bildhauers gehen mindestens auf das Jahr 1946 zurück. Da war der multitalentierte Künstler noch kriegsbedingt in der Emigration in Argentinien. Von dort forderte er in seinem Manifesto Blanco eine Kunst, die von allen ästhetischen Kunstgriffen frei sein sollte.
     Nach Kriegsende zurück in Mailand gründete er 1948 die namengleiche Künstlergruppe „Movimente spaziale“ und trat mit dem „Ersten Manifest des Spazialismo“ an die Öffentlichkeit. Mit Fontanas „Spazialismo“ wurden, wie der SPIEGEL es in den Sechzigern formulierte, die Bilder zum Schlachtfeld und ihr Schöpfer zum Raumspezialist.
     Die Entwürfe brachten Fontana auf der Biennale in Venedig 1967 den Großen Preis ein und führende Kunsthäuser hängten sie an die Wände oder installierten sie wirksam. In Deutschland war auf der Kasseler documenta 4 im Jahre 1968 seine Raumkunst einer der großen Aufreger.
 

Lucio Fontana Ambiente spaziale in Documenta 4, a Kassel, 1968. Wood and chalk, „Lucio Fontana, Ambienti Spaziali“, installation View at Gagosian Gallery, New York, 2012. Executed by Lucio Fontana in collaboration with Aldo Jacober at Documenta 4 in Kassel, 1968. Collection Fondaziona Lucio Fontana. Reconstruction authorized for this exhibition by Fondazione Lucio Fontana, Milan, 2012. © Fondazione Lucio Fontana, Milan, Courtesy Gagosian Gallery. Photo Robert McKeever.

 
Ein alleiniger Blick auf diese Facette würde Fontana natürlich nicht gerecht werden. Es ist sein vielfältiges, wegweisendes Werk mit unterschiedlichsten stilistischen Ausprägungen, das bis heute bewundert, ja geradezu in den Kunsthimmel gehoben wird und für unendliche Inspirationen jüngerer Kreativer sorgt.
     Fontana verstand sich nicht nur als Bildhauer und Maler, sondern auch als Erfinder, Keramiker, Lichtkünstler und eben als Kreateur raumgreifender Installationen. Er hinterließ die kühnen Schnitte in bemalten Leinwänden, aber ebenso Plastiken aus Eisen, Bronze, Ton und Zement, feine Aktskizzen, Bühnenbilder, Neon-Licht-Skulpturen, Entwürfe für Mode und Architektur.

Ab den Sechzigern übte der „Spazialismo“ großen Einfluss auf die jüngere Künstlergeneration aus. Namentlich auf die Bewegungen Nouveau Réalisme mit Jean Tinguely (mehr) und Arte Povere mit Alberto Burri (mehr) sowie auch auf die rheinische Szene mit dem Künstlertrio ZERO.
     Der ZERO-Mitbegründer Heinz Mack (mehr) sah „in dieser Welt“ die „glücklichsten Erwartungen“ durch einen Meister wie Fontana verwirklicht. Für den ZERO-Artisten Otto Piene (mehr) war der Mann aus Mailand so etwas wie eine Offenbarung, gar ein „Tyrannen-Mörder“, der zeige, dass die Malerei „nicht immer das sein muss, was die Gewohnheit“ von ihr erwarte. Er spieße die Malerei regelrecht auf und schlitze ihr den Bauch auf, so Piene enthusiastisch, und schneide „ins Fleisch der verblödeten Zweibeinigkeit“. Fazit des ZERO-Vertreters damals: „Die Malerei ist tot, es lebe Fontana!“
cpw
 
 
 Im Rheinland zeigte 2014 das Museum Morsbroich Leverkusen die Schau "Keramische Räume“. Sie machte deutlich, welchen Einfluss der Keramiker Fontana, der eigenem Bekunden nach nie an einer Töpferscheibe gesessen habe, mit seiner Kunst aus Ton ausübte. Von ihm inspiriert wurden der Kölner Maler und Glasdesigner Nobert Prangenberg (1949-2012) wie auch Thomas Schütte (mehr) mit seinen mysteriösen Masken. Daneben der Keramiker Markus Karstieß (mehr) und die Düsseldorfer Kunstprofessorin Rosemarie Trockel, der die Bemerkung zugeschrieben wird: „Er ist mein Held.“ Wenn der Satz denn jemals so gefallen ist, dann war der große Lucio Fontana gemeint.
 
► Pirelli HangarBicocca ist eine 2004 gegründete gemeinnützige Stiftung zur Förderung zeitgenössischer Kunst, die in einer ehemaligen Eisenbahnfabrik drei große Ausstellungsräume betreibt. Das Kunstzentrum umfasst 15.000 Quadratmeter und ist eine der größten zusammenhängenden Expositionsflächen Europas.


Die Ausstellung „Lucio Fontana. Ambienti/Environments“ kann bis zum 25. Februar 2018 besucht werden. 
Pirelli HangarBicocca
Via Chiesa 2
Mailand
Tel +39-02644231 229
Öffnungszeiten
DO - SO 10 - 22 Uhr
Der Eintritt ist frei
 
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