Archiv 2022
FOTOGRAFIE
„En Route to Cologne“
Sie wird als eine der facettenreichsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Lee Miller war Covergirl, Muse und Militärangehörige. Eine Ausstellung in Monschau zeigt eindrückliche Dokumentarfotos von ihr aus dem letzten Kriegsjahr im Rheinland.
Lee Miller Small, tired boy waits at crossroads for transport (Raymond Melchers aged 7), Iweschtgaass, Bech, Luxembourg, 1945, Ausschnitt. © Lee Miller Archives, England 2021. All rights reserved. www.leemiller.co.uk |
Der Lebensweg der Amerikanerin ist an Ungewöhnlichkeit kaum zu überbieten: vom Fotomodell zur Frontreporterin, ein Leben zwischen Glamour und Krieg, eine Künstlerin mit Inspirationen vor und hinter der Kamera.
David E. Scherman Lee Miller 1944.United States Army Signal Corps. Der Time-Life-Fotojournalist Scherman arbeitete eng mit Miller zusammen und war zeitweise ihr Lebensgefährte. Er fertigte 1945 das berühmte Bild von Lee Miller in der Badewanne Hitlers in dessen Münchener Wohnung. Foto © U.S. Military, Fotoquelle Wikipedia (gemeinfrei)
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Elizabeth „Lee“ Miller (1907–1977) hielt sich weder privat noch künstlerisch an Konventionen, ging ihren eigenen Weg nicht nur über den Laufsteg, war experimentelle Portraitistin und Kriegskorrespondentin.
Eine unabhängige, eigenwillige, moderne und starke Frau, eine gefeierte Schönheit, die 1927 auf dem Titelbild des US-Magazins Vogue erschien.
Aus dem begehrten Modell wurde im Paris der Dreißigerjahre die Muse des Surrealisten Man Ray. Bald fotografierte sie selbst, ehelichte den ägyptischen Geschäftsmann Aziz Eloui Bey und schuf experimentelle, fast meditativ wirkende Schwarz-Weiß-Fotografien in Nordafrika.
Als eine von nur vier amerikanischen Bildjournalistinnen wurde sie im Zweiten Weltkrieg als Kriegskorrespondentin für die Magazine LIFE und Vogue akkreditiert. In dieser Rolle dokumentierte sie nach der Landung der US-Streitkräfte in der Normandie 1944 den Vormarsch der alliierten Truppen durch Frankreich und die Befreiung von Paris.
Dort war sie im Sommer des Jahres die erste Reporterin in der Metropole, fotografierte den ungezähmten Siegestaumel von Zivilisten und Militärs und mehrere ihrer Künstlerfreunde, darunter Pablo Picasso, der während der deutschen Besatzung in Paris gelebt hatte (mehr). Durch das Elsass und Luxembourg kam sie nach Aachen und ins Rheinland (mehr).
Ihr außergewöhnliches Lebenswerk, die unter die Haut gehenden Fotografien von Kriegsgräueln, Konzentrationslagern und Nachkriegselend in Westeuropa, hatte sie jahrlange unter Verschluss gehalten.
Die Dokumente wären heute vermutlich vergessen, wären sie nicht nach ihrem Tod von ihrem Sohn Antony Penrose gefunden worden. Er entdeckte sie auf dem Dachboden ihres Hauses und überführte sie 1982 ins „Lee Miller Archives“ in East Sussex/ Großbritannien.
Lee Miller Plaster work, [Aachen facade with Dreifaltigkeitskirche in background], Zollernstrasse, Aachen, Germany 1945 by Lee Miller © Lee Miller Archives England 2021. All Rights Reserved. www.leemiller.co.uk
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Auf der Basis dieses Foto-Nachlasses brachte der Kölner Greven Verlag in den letzten Jahren zwei Bildbände heraus, die sich Millers Kriesgfotos im Rheinland sowie in Mittel- und Süddeutschland widmen (siehe Literaturhinweise).
Bislang wurden nur wenige Ausstellungen zu ihrem Gesamtwerk gezeigt, so 2016 im Londoner Imperial War Museum. Eine der umfangreichsten war bis Anfang 2021 im Zürcher Museum für Gestaltung zu sehen. Mit 200 Exponaten wurde die gesamte Spannbreite von Millers Bildwelten gespiegelt – von eindrücklichen, glamourösen Modestrecken über surrealistische Fotowerke bis zu den aufrüttelnden Kriegsfotos und Reportagereihen aus dem besiegten Deutschland.
Um so bemerkenswerter ist die Monschauer Ausstellung mit dem Titel „En Route to Cologne. Lee Miller Fotografien (1942-1945)“. Denn eine ausschließlich mit Werken von ihr bespielte Schau mit Kriegsfotografien aus dem Frühjahr 1945 im Rheinland war bislang hier nicht zu sehen.
Miller erreichte im März 1945 Aachen und hielt die zerstörte Stadt in zahlreichen Schwarz-Weiss-Fotos fest. „Dies ist Deutschland, und es ist Frühling“, schrieb sie ihren Auftraggebern von der Zeitschrift Vogue begleitend zu den Bild-Negativen.
Mit den US-Truppen zog sie von Aachen aus weiter nach Köln und Bonn, Weimar und München. Bei den ausgestellten Fotografien handelt es sich selten um direkte Frontszenen als vielmehr um unmittelbar nach den Gefechten entstandene, eindringliche Bildzeugnisse vom Alltag in den deutschen Trümmerwüsten. Miller erfaßte einerseits schonungslos das Ausmaß der Zerstörungen sowie die Gräuel im KZ Dachau. Die KZ-Aufnahmen entstanden einen Tag nach der Befreiung der Häftlinge Ende April 1945. Andererseits hielt sie auch fest, wie das Leben kurz nach Kriegsende bei allen Widrigkeiten weiterging.
rART/cpw
Die Ausstellung „En Route To Cologne – Fotografien von Lee Miller (1942–1945)“ ist bis zum 22. Mai 2022 geöffnet.
Fotografie-Forum der StädteRegion Aachen
Ehemals Kunst- und Kulturzentrum (KuK)
Austraße 9
52156 Monschau
Öffnungszeiten
DI – FR 14 – 17 Uhr
SA, SO 11 – 17 Uhr
Literaturhinweise:
► Richard Bessel: Lee Miller Deutschland 1945. Greven Verlag Köln 2018, 140 Seiten, ISBN 978-3-7743-0698-1
► Lee Miller: Köln im März 1945. Mit Beiträgen von Kerstin Stremmel und Walter Filz. Herausgegeben von der Historischen Gesellschaft Köln e.V. und dem Zentral-Dombau-Verein zu Köln von 1842. Greven Verlag Köln 2013, 120 Seiten, gebunden, ISBN-13: 978-3774306189.
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