Archiv 2013
„Auf jeden Fall will man schockieren.“*
Leben mit Pop
„Würfel und deutsche Muster“, „Bilder des Kapitalistischen Realismus“: Die 1960er Jahre hatten es mit ihren Künstlern eines neuen Realismus, Pop Art genannt, ganz schön in sich. Die Kunstrichtung erreichte aus den USA kommend den alten Kontinent und in Deutschland machten sich Gerhard Richter, Manfred Kuttner, Sigmar Polke und Konrad Lueg auf, diese Form der künstlerischen Gesellschaftskritik dem Bürger visuell näher zu bringen. Konfrontation inbegriffen.
Blick in die Ausstellung "Leben mit Pop". Vorne im Bild die Aufnahme von Reiner Ruthenbeck mit der Außenansicht des Möbelhauses Berges, Flingerstraße 11, Düsseldorf ©rArt |
DIE VIER Artisten waren kaum ihren künstlerischen Kinderschuhen entronnen, hatten an der Düsseldorfer Kunstakademie bei den Professoren Hoehme, Goetz und Heerich gehört. Sie wollten der Formlosigkeit des herrschenden Informel entrinnen und schauten auf die sich mit Erfolg produzierende ZERO-Gruppe mit dem geflügelten Ausruf der Stunde Null in der Kunst. Auch sie fanden, dass es Zeit war für einen Neubeginn, in der Kunst und für sich selbst. Im stringenten Einsatz für ihr Ziel, sich vom profillosen Mainstream abzuheben, gingen sie ungewöhnliche Wege.
Ihre damaligen Aktionen sind heute legendär und mit ihren aufsehenerregenden Düsseldorfer Ausstellungen, wobei die im Möbelhaus Berges wohl zu den bekanntesten zählt, errangen sich die Künstler den Ruf, zu den Schöpfern der deutschen Pop Art zu zählen. Der von ihnen erfundene „Kapitalistische Realismus“ wurde im Laufe weniger Jahre zu einem auch politischen Begriff.
In der Düsseldorfer Kunsthalle ist nun eine Reproduktion des „Kapitalistischen Realismus“ zu erleben. Unter dem Titel Leben mit Pop dokumentiert die Schau die Kunst-Aktionen dieser vier Künstler in den Jahren 1963 bis 1966.
Gregor Jansen, Leiter der Kunsthalle Düsseldorf, verweist auf den aktuellen Zeitbezug: „Die Transferleistung des Begriffes Kapitalistischer Realismus ist enorm, auch wenn er heute so nicht mehr verwendet wird.“ Die für den Kapitalistischen Realismus typische Bildwelt wird in einer Auswahl von mehr als 50 Werken der Künstler in Form von fotografischen Reproduktionen gezeigt. Reproduktionen deshalb, weil es dem Veranstalter nicht möglich war, ausreichend Originale für die Schau zu erhalten. „Wir haben die Originale angefragt. Die sind kaum ausleihbar, da zu fragil, und manchmal war es auch zu teuer“, erklärt Jansen. So sind die Gemälde von Lueg, Polke und Richter nachgebildet.
Die Künstler malten damals Objekte, die sie in Magazinen und Zeitungen, besonders in der Werbung, vorfanden. Hier ging es um Konsumartikel, Interieur und Banal-Alltägliches. Sie malten und übermalten Portraits, vermeintliche Exotik, Freizeitvergnügen, Sport als neues Identifikationsmodell der Deutschen oder das Auto als Sinnbild für Fortschritt und Mobilität. Typisches für die Artisten ist bereits erkennbar. Richter malte seine unscharfen Bilder, Polke begann das Rastern und Lueg arbeitete mit dekorativen Stoff- und Tapetenmustern.
Als Sujets dienten den Künstler das Triviale ihrer direkten Umgebung. Indem sie das Wirtschaftswunder mit seinen fragwürdigen Versprechen auf ein besseres Leben thematisierten und die bürgerlichen Klischees und Werte sowie Verdrängungsmechanismen der Nachkriegszeit aufzeigten, dokumentierten sie aus heutiger Sicht auch ein Stück Gesellschaftsgeschichte.
Gesellschaftskritik
Mit ihren Arbeiten setzten sie hinter das kapitalistische Leben der Gesellschaft mit der beginnenden Sattheit und einem neuen Überfluss ein Fragezeichen. Als Provokation, weniger als Anklage, malten sie in einem auch bitter-süßen Tenor und manchmal ziemlich bunt gesellschaftliche Zustände - eben den kapitalistischen Realismus. Polkes „Würstchenesser“ scheint am Überfluss über kurz oder lang ersticken zu müssen, Richters aufgeschlitzten „Party“ - Gästen bleibt das Lachen im Halse stecken und Luegs „Omovertreter“ scheint mit seinem Wunsch nach Reinheit auch die Reinwaschung von der Vergangenheit zu meinen.
Die wohlanständige Nachkriegsära überdeckte die von den Generationen unbewältigte Kriegsvergangenheit. Doch diese tauchte immer wieder auf und durchbrach die zuvörderst oberflächliche Fröhlichkeit der Pop Art. Richters vom Himmel herabstürzende Jagdbomber, inmitten fallender Bomben, beeindrucken wie sein berühmtes Bild „Onkel Rudi“, das den geliebten Onkel in einer Wehrmachtsuniform zeigt. Liebe zum Menschen und Abscheu vor dem System, dem er diente: Der Widerstreit der Gefühle hat hier einen bildhaften Ausdruck gefunden.
„Die Haltung der Künstler zum Kapitalismus war ebenfalls ambivalent“, schreibt die ausstellende Kunsthalle. „Einerseits erkannten sie sein emanzipatorisches Potential und nutzten bewusst seine Werbestrategien, um sich als Künstler zu inszenieren und ihre eigene Karriere voranzutreiben. Andererseits führen sie seine Vulgarität durch entsprechende Bildzitate vor.“
Karrieren
Karriere machten die Künstler sehr unterschiedlich. Manfred Kuttner, der mit seinen Farbrhythmen vermehrt eigene Wege ging, hörte konsequent auf zu malen und verdiente sein Geld in der Wirtschaft, Konrad Lueg machte sich als Galerist Konrad Fischer (mehr) einen legendären Namen, Sigmar Polke, der 2014 in einer Retrospektive im Artist Space des MoMa in New York gezeigt wird, ging als Rasterkünstler in die Geschichte ein und Gerhard Richter, der sich in den 1960er Jahren noch Gerd nannte, gehört zu den teuersten zeitgenössischen Malern weltweit. Der Kunstkritiker John Anthony Thwaites (im Mai 1963, Deutsche Zeitung) sollte mit seiner Empfehlung zum Besuch der Ausstellung der neuen Malergeneration in der Kaiserstraße Recht behalten: „Es ist interessant zu sehen, wie sie durch diese Verkleidung die Temperamente und Talente erahnen lassen: Richter schwerfällig und etwas sadistisch; Lueg räumlich, rhythmisch, genau; Polke etwas banal. Frühe Talente sind unbeständig. Trotzdem wäre es verwunderlich, wenn wir nicht bald wieder von Richter und Lueg hören würden.“
Faszination Pop
Die Ausstellungsarchitektur in der Kunsthalle vermittelt durch vergrößerte historische Fotos von Manfred Kuttner, Rudolf Jährling und Reiner Ruthenbeck die Atmosphäre der Zeit sehr lebendig. Man glaubt den Butterkuchen auf der Kaffee- und Kuchentafel in der Galerie Schmela förmlich zu schmecken, der Geist der 1960er Jahre kann in Illustrierten jener Jahrgänge nachgeblättert werden und das Möbelhaus Berges scheint zum Eintritt einzuladen. „Leben mit Pop“ ist eine Ausstellung, der ein großes Publikum zu wünschen ist.
Irmgard Ruhs-Woitschützke
Die Ausstellung „Leben mit Pop. Eine Reproduktion des kapitalistischen Realismus“ ist bis zum 29. September 2013 zu sehen.
Kunsthalle Düsseldorf
Grabbeplatz 4
40213 Düsseldorf
Tel. 0211 / 89 962 40
Öffnungszeiten
DI – SO 11- 18 Uhr
► Parallel läuft in der Langen Foundation auf der Raketenstation in Neuss die "Werkschau" von Manfred Kuttner. 30 Originale des Künstlers, gemalt zwischen 1961 und 1964, sind zu sehen.
* Die Kunstkritikerin Yvonne Friedrichs in der RP vom 16.05.1963