Archiv 2011: aus "Besuchenswert"
Radreifen, 1899
Schmiedepresse um 1930
|
Krupps Historisches Archiv
Drei Ringe im Fokus
Aus dem fast unglaublichen Fotoschatz von rund zwei Millionen Aufnahmen zeigt die Krupp-Stiftung in der Essener Villa Hügel eine Auswahl von - leider nur - 400 industriegeschichtlichen und privaten Bilddokumenten der Unternehmerfamilie Krupp. Anlass, diese ungewöhnlichen Dokumente zu zeigen, ist das 200jährige Firmenjubiläum, denn 1811 gründete Friedrich Krupp in Essen eine Gussstahlfabrik, die den Beginn eines Weltkonzerns und industriellen Mythos markieren sollte.
Krupp war eines der ersten Unternehmen, das sich im 19. Jahrhundert intensiv dem neuen Medium Fotografie zuwandte und es für dokumentarische und kommunikative Zwecke nutzte. Die 1861 von Alfred Krupp (1812-1887) gegründete, hauseigene „Photographische Anstalt“ war im weiteren Sinne ein früher Vorläufer heutiger Kommunikations-Abteilungen von Großunternehmungen und hatte die Aufgabe, Fotografien zur Dokumentation, zur Produktwerbung und wissenschaftlichen Forschung anzufertigen.
Alfred Krupp, Sohn des Gründers Friedrich, befand weitsichtig: „Nach langen Jahren werden diese Bilder noch interessant sein.“ Die Werkfotografie dokumentierte in den Jahrzehnten alle wirtschaftlich relevanten Bereiche des aufstrebenden Stahlkonzerns: Produkte, Produktionsverfahren und Produktionsstätten, Forschungs- und Versuchsanlagen, Sozialeinrichtungen. Doch nicht immer waren es die imposante Technik oder die schiere Größe der Unternehmung, deren fast monumentale Bedeutung für Essen sich auch mit zahlreichen rauchenden Schloten manifestierte, sondern auch die Menschen, die Arbeiter, die hautnah im Fokus standen.
Sachkundig aufbewahrt wuchs in zwei Jahrhunderten Deutschlands größtes und ältestes Firmenarchiv heran, ein Fundus kostbarer Bilddokumente und einzigartiger Zeitzeugnisse der industriellen Revolution. Sie verdeutlichen auch den unter wirtschaftshistorischer Sicht atemberaubenden Strukturwandel Krupps: einst Stahlgießerei, Hersteller nahtloser stählerner Eisenbahn-Radreifen und gigantische Waffenschmiede, entwickelte sich der Konzern unter der Ägide des Managers Berthold Beitz (mehr) nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem modernen Werkstoff- und Technologiekonzern, der 1999 fusionierte und seither ThyssenKrupp heißt.
Dampfturbinenläufer, Bochumer Verein für Gussstahlfabrikation, 1961 |
Von Daguerre bis Darchinger
Unter fotohistorischen Gesichtspunkten von besonderem Gewicht sind Arbeiten in der Verfahrenstechnik der Daguerreotypie. Die auf silberbeschichtete Kupferplatten gebannten Bilder, benannt nach dem französischen Erfinder Louis Daguerre (1787-1851), gehören in Essen zu den wertvollsten Stücken der Sammlung. Es sind zwei Porträt-Daguerreotypien von Alfred Krupp, die um 1849 - also nur rund zehn Jahre nach Aufkommen dieser frühen Fototechnik - in Essen angefertigt wurden.
Zugang zur Familie Krupp, zu Produktionshallen und Fertigungsprozessen erhielten neben den Werksfotografen in den Nachkriegsjahrzehnten auch einige freie Fotografen. Unter ihnen so bekannte und international renommierte wie das Magnum-Mitglied René Burri und Josef (Jupp) Heinrich Darchinger, der als Bonner Fotokorrespondent unter anderem für DIE ZEIT und den Spiegel arbeitete, ferner Erich Lessing und Timm Rautert. Sie zählen zu den Protagonisten einer neuen modernen Industriefotografie, die sich innovativer, dynamischer, atmosphärischer und subjektiver gab.
Werkspanoramen
Gußstahlfabrik, 1864, Hugo van Werden |
Zu den Höhepunkten der Ausstellung in der Villa Hügel ist zweifellos das acht Meter lange Werkspanorama von 1864 zu rechnen. Die Krupp-eigene „Photographische Anstalt“ hatte bereits drei Jahre zuvor erste Panoramabilder des Firmengeländes angefertigt. Das Exponat, auch dieses im Übrigen weltweit einzigartig, wurde aus elf einzeln aufgenommenen Fototeilen zusammengestellt. Es zeigt das Drei-Ringe-Reich des Industriebarons Alfred Krupp in mehr oder weniger gereinigter Form. Denn der Patron höchstselbst hatte, ökonomisch und öffentlichkeitswirksam denkend, Anweisungen zur Ablichtung erteilt: Er wollte „…in größtem Maaßstabe eine oder besser zwei Ansichten mit Staffage und Leben auf den Plätzen, Höfen und Eisenbahnen.“ Und zwar solle man dazu Sonntage nehmen, „weil die Werktage zu viel Rauch, Dampf und Unruhe mit sich führen, auch der Verlust zu groß wäre.“ Ob die Staffage nun 500 oder 1000 Arbeiter dazu ausmache „…stelle ich anheim“.
Claus P. Woitschützke
► Die Sonderausstellung „Krupp. Fotografien aus zwei Jahrhunderten“ beleuchtet unter anderem auch die Frage, wie Fotografie im Industriemilieu verwendet wurde und welchen Zwecken sie diente. Damit wird nicht nur ein Beitrag zur Erforschung der Fotografiekultur geleistet, wie die Stiftung selbst betont, sondern auch ein spannender Einblick in die Historie des größten rheinisch-westfälischen Schwerindustriekonzerns ermöglicht.
► Die gemeinnützige Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung fördert die Fotografie nach wie vor auf vielfältige Art. Die Stiftung vergibt unter anderem Stipendien für Fotografen oder Museumskuratoren. Sie setzt damit die lange Fotografietradition des Hauses Krupp auf ganz neue Weise fort.
Die Ausstellung "Krupp. Fotografien aus zwei Jahrhunderten" ist bis zum 11. Dezember 2011 zu sehen.
Villa Hügel
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung
45133 Essen
Tel.: 0201 – 61 62 917
Fax: 0201 - 61 62 911
Öffnungszeiten:
Täglich außer montags von 10.00 bis 18.00 Uhr
©Fotos (4) Stiftung Krupp