Archiv 2011: aus "Gelesen"
Wanderungen abseits des Mainstreams
Köln mal anders
Jede Metropole hat ihre geheimen Ecken, merkwürdigen Viertel und unbekannten Wege. Wer im guten alten Kölle danach sucht, kann sich auf einen Reiseführer der besonderen Art stützen. „Nur in Köln“, so der Titel, leitet zu Orten abseits touristischer Pfade und zu verborgenen Sehenswürdigkeiten, die selbst Einheimischen nicht immer vertraut sind. Ein ungewöhnlicher, gut illustrierter Stadtführer – spannend, anregend und überraschend. Ein empfehlenswerter Leitfaden für Stadtabenteurer und alle, die es werden wollen.
Spannend und zum „schmökern“ wie geschaffen sind sie allesamt, denn der eigenständige „Urban Explorer“ (Stadterforscher) aus Sheffield verlässt stets die Standardrouten der Touristen und damit die üblichen Reiseführer-Highlights. Ein paar Minuten Planung und ein Blick auf eine gute Straßenkarte, so vermerkt er im Vorwort, sind ausreichende Voraussetzung, um ausgetretene Besucherwege verlassen und ein ganz anderes Köln entdecken zu können. Da hat der Autor durchaus Recht. Der Reiseführer bietet Ungewöhnliches, wohlsortiert in sechs Stadtregionen mit 84 Örtlichkeiten. Smith spürt historischen Plätzen und interessanten Orten in bester, alter Baedeker-Manier nach: Er erwandert sie - und nutzt dabei das weitreichende Stadtbahnnetz. Der Köln-Besucher, der ein wenig Zeit mitbringt, kann Smiths Wandertipps zu religiösen Relikten, vergessenen Festungen, unerwarteten Kultstätten, verlassenen Friedhöfen und wenig bekannten Museen mühelos folgen und fasziniert die alte und neue Geschichte der viertgrößten deutschen Stadt erleben. Wer allerdings nach Rheinromantik à la Beckford, Radcliffe oder Lord Byron sucht, die ihre Landsleute bekanntlich in Scharen Ende des 18. Jahrhunderts an den Nieder- und Mittelrhein lockten, wird nicht fündig. Smith rückt zwar römische Ruinen, heilige Reliquien oder die Goldene Kammer in St. Ursula (mehr) ins Blickfeld des Entdeckers, lässt die romanische Kirchen-Architektur nicht außer Acht und ebenso wenig die Kuriosa im Dom. So ganz ohne Kölner Klassiker geht´s bei Smith eben auch nicht. Wer´s jedoch moderner und zeitnäher möchte, kann auch extravagante Läden, ein Kanalsystem aus dem 19. Jahrhundert, ein künstliches „akademisches“ Kohlebergwerk unter der Universität oder Europas erstes Kunsthotel aufspüren. Und der Luftfahrt-Enthusiast kann mit der Stadtbahn-Linie 5 dorthin fahren, wo der Rote Baron einst das Fliegen lernte – zum ehemaligen Flugplatz Köln-Butzweilerhof. Schließlich brachte dieses historisch bedeutende Flugfeld der Stadt vor hundert Jahren den Titel „Reichsluftschiffhafen Coeln“ ein. Besonders bemerkenswert ist, dass der Verfasser den in Köln noch vorhandenen Zeugnissen jüdischer Geschichte wie auch dem Andenken an die Nazigewalt, etwa mit dem NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus (mehr), Raum gegeben hat und zu Besuchen dieser Orte anregt. Klaus M. Martinetz
Duncan J.D. Smith, Nur in Köln
► Vom selben Autor sind erschienen „Nur in…“ Wien, Budapest, Berlin, München, Prag, Hamburg. In Vorbereitung ist ein Band über Zürich. |