Archiv 2019
FILMKUNST
„Im Kino gewesen. Geweint.“
Es war nicht irgendjemand, der zu Beginn der Zwanzigerjahre diesen lakonischen Tagebucheintrag verfasste. Franz Kafka war es. Einer unter zig Millionen Zuschauern, die in den „Goldenen Zeiten“ des deutschen Films in die dunklen Kinosäle strömten.
Thema Avantgarde Szenenfoto, Die Abenteuer des Prinzen Achmed (Lotte Reiniger, 1926), Scherenschnitt-Silhouettenfilm, Quelle: Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv; Bundeskunsthalle Bonn 2018 Foto oben Thema Exotismus Szenenfoto (Ausschnitt) Der Tanz der Maschinen-Maria (Brigitte Helm), Metropolis (Fritz Lang, 1927), Quelle und © Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv, Foto Horst von Harbou; Auszug Quelle Bundeskunsthalle 2018 |
Was den Literaten so rührte, gibt die Notiz nicht preis. An die Tränendrüsen rüttelnde Filmstreifen gab es ohne Zweifel damals genauso reichhaltig wie heute.
Thema Natur Szenenfoto, Die weiße Hölle vom Piz Palü (Arnold Fanck, G. W. Pabst, 1929) Quelle: Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv, Foto: Hans G. Casparius © Deutsche Kinemathek – Hans G. Casparius; Bundeskunsthalle Bonn 2018
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„Kino der Moderne – Film in der Weimarer Republik“ heißt die Exposition. Sie nimmt sich der Kunstform Film an und wirft gleichzeitig einen intensiven Blick auf den Film als historisches Dokument, das die dramatischen gesellschaftlichen Wandlungen der Zwanzigerjahre spiegelt.
Kaum mehr als 14 Jahre brillierten der moderne und wegweisende deutsche Film und das Kino – von 1918 bis zum Jahre 1933. Es war ein epochaler Sprung in der Unterhaltungsindustrie, aber unter den Bedingungen der ersten deutschen Republik. Der Film wurde als neue, siebte Kunst gefeiert. Gleichzeitig wurde er als wirksames Mittel für gesellschaftliche und politische Einflussnahme entdeckt.
Der Aufstieg dieses revolutionären neuen Massenmediums vollzog sich fast explosionsartig. Film und Kino wurden für jeden zugänglich und zum Spiegel der Zeit. Alles was die Nachkriegsjahre damals prägte und die Menschen interessierte, brachte der Film: Landflucht und Wohnungsnot, Arbeiterelend und Mietskasernen, neue Mobilitätsformen, Sporterfolge, Kabarett, Glamourgirls und Kriegskonsequenzen – es war ein Medium der harte Realitäten und gleichzeitig auch eine Traumfabrik.
Thema Urbanität Vergnügen und Laster Collage, vermutlich von Umbo Berlin. Die Sinfonie der Großstadt (Walther Ruttmann, 1927) Quelle: Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv; Bundeskunsthalle Bonn 2018
Thema Sport Plakat zu Liebe im Ring (Reinhold Schünzel, 1930) Entwurf von Josef Fenneker, 1930 Quelle: Deutsche Kinemathek – Plakatarchiv, © Stadt Bocholt (Stadtmuseum Bocholt/Josef Fenneker); Bundeskunsthalle Bonn 2018 |
Nachdem die Bilder erst wenige Jahrzehnte zuvor das Laufen gelernt hatten, etablierten sich das neue Medium und seine industrielle Fertigung vor allem in Berlin. Die Multikulti-Metropole war der geografische Kristallisationspunkt der jungen deutschen, oder wie es heißt Weimarer Filmkunst, die es damals technisch und dramaturgisch zeitweise mit der US-Filmindustrie in Hollywood aufnehmen konnte.
Und sie wurde selbst Objekt des modernen Films, so etwa in der experimentellen Dokumentation „Berlin – Die Symphonie einer Großstadt“ (1927, Regie Walther Ruttmann). Mitunter kündigten sich aber die Vorboten der nationalsozialistischen Folgezeit bereits an, etwa wenn es um Sport und Körperkult ging.
Dem Besucher der Bonner Schau werden drei große Themenbereiche geboten: Modernes Leben, Werkstatt Film und Im Kino: „Neues Sehen“.
Mit zahlreichen Filmausschnitten in drei in die Ausstellung eingebundenen Kleinkinos, mit Filmplakaten, einer Set-Situation mit Kamerawagen und Scheinwerfern, mit Drehbüchern, Originalkostümen, -fotos und -zeichnungen kann der Interessierte den Wechselwirkungen zwischen Kino, Kunst und Alltag jener berühmten Kulturphase Deutschlands nachspüren.
Das Kino war seinerzeit das Leitmedium schlechthin. Die Zahl der Lichtspielhäuser wuchs rasant, wie man der Ausstellung entnehmen kann. 1928 hatte sich ihre Zahl in Deutschland gegenüber dem Jahr 1919 fast verdoppelt, es gab über 5000 Filmtheater. Der Tonfilm war es, der neue Besucherrekorde brachte, der Publikumsandrang an den Kassen war legendär. Aus Tanzsälen und Gaststätten wurden immer größere Kinopaläste, pompös, elegant, mit Hunderten von Plätzen: vom „Rasiersitz“ im Parkett bis zum Premiumplatz in der „Loge“. Die jährliche Besucherzahl überschritt zeitweise die 350-Millionen-Marke. Heute liegt aufgrund hoher, vor allem TV-bedingter Konkurrenz und mangelnder Kinoknüller die Zahl der Zuschauer gerade bei rund 50 Millionen.
Thema Natur Marlene Dietrich und ihre Tochter Maria Riva in Swinemünde, Usedom, 1929 Quelle: Deutsche Kinemathek – Marlene Dietrich Collection Berlin: Bundeskunsthalle Bonn 2018
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Der Ausstellungsbogen in Bonn ist außerordentlich breit gespannt. Man könnte auch sagen: Es fehlt an nichts! In der Abteilung Modernes Leben erfährt der Besucher in allen Facetten, wie die Filmindustrie das Leben beeinflusste und Impulse setzte: bei Mode und Sport, Mobilität und urbanem Leben, bei Genderfragen, Avantgarde, Vergnügen, Laster und Exotismus. Sie widmete sich den sozialen Fragen wie auch den Wirkungen des soeben beendeten Ersten Weltkriegs.
Die deutsche Filmproduktion, und mit ihr Regisseure wie Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang, Schauspielstars wie Marlene Dietrich und Emil Jannings erlangten zu dieser Zeit Weltgeltung. Andere, wie Willy Fritsch, Hans Albers, Luis Trenker oder Heinz Rühmann, um nur einige zu nennen, sind fester Bestandteil der deutschen Kinogeschichte.
Thema Kino Plakatentwurf von Albin Grau, 1922 zu Nosferatu (F. W. Murnau, 1922) Quelle: Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Bundeskunsthalle Bonn 2018 |
Die Schau macht ferner deutlich, dass das Kino der Zwanziger ein Experimentierfeld war und dass es wie keine andere Stilepoche des deutschen Films die internationale Filmästhetik nachhaltig beeinflusste.
Ein besonderes Augenmerk, so betont die Bundeskunsthalle, wird auf das vielfach in Vergessenheit geratene Schaffen von Frauen hinter der Kamera gerichtet, eine der Protagonistinnen: Leni Riefenstahl.
Zugleich wird das damalige Kinopublikum in den Blick genommen. Denn die Reaktionen der Zuschauer oder Filmkritiker habe wesentlich zur Entwicklung der modernen Filmsprache beigetragen. „Wie in einem Filmset beleuchtet die Ausstellung die rasante Entwicklung des Kinos in der Moderne und seinen enormen Einfluss auf die Künste, die Gesellschaft und die Alltagskultur: Großes Kino und eine Schule des neuen Sehens!“, so Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle über die Schau. Fazit: Ein lohnender Besuch, nicht nur für Kino-Enthusiasten und Geschichtsinteressierte.
cpw
► Die Exponate stammen zu großen Teilen aus den Sammlungen der Deutschen Kinemathek in Berlin. Viele werden in der Bundeskunsthalle erstmals öffentlich ausgestellt und durch zentrale Leihgaben aus dem In- und Ausland ergänzt.
► Ein Blick in die regionale Filmgeschichte offenbart: Köln war einst Deutschlands Kino-Stadt der ersten Stunde. Am 20. April 1896 fand im Stadtzentrum am Augustinerplatz 12, heute Hohe Pforte, die nachweislich erste öffentliche Vorstellung von „lebenden Photographien“ – also von Film – im Lande statt. Diese Premiere war dem Engagement des damals 39-jährigen Kölner Schokoladenfabrikaten Ludwig Stollwerck (1857–1922) zu verdanken (mehr). Er hatte sich früh die Lizenz zum Deutschland-Vertrieb des Cinématographen der Lumière-Gebrüder gesichert, der dem Kino übrigens zu seinem Namen verhalf.
Die Ausstellung „Kino der Moderne – Film in der Weimarer Republik“ endet am 24. März 2019.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Museumsmeile Bonn
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