Archiv 2019
JUNGES RHEINLAND
Durst nach Leben
Aus dem Bild blickt eine füllige Frau mit runder Brille und mütterlich resoluter Aura. Ihr Name: Johanna Ey. Um sie herum: ihre „Zeitgenossen“, eine Schar expressionistischer Künstler der Vereinigung Junges Rheinland.
Arthur Kaufmann (1888 –1971) Zeitgenossen, 1925, Öl auf Leinwand, 182 x 245,5 cm, Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2019, Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB. Die Dargestellten v.l.n.r., vorn: Gert H. Wollheim, Johanna Ey, Karl Schwesig, Adalbert Trillhaase; hinten: der Dichter Hermann Eulenberg, Theo Champion, Jankel Adler, die Schauspielerin Hilde Schewior, an der Staffelei Ernst te Peerdt, Arthur Kaufmann, Walter Ophey, Otto Dix, Frau Kaufmann und der Pädagoge Hans Heinrich Nicolini. |
Ist diese stattliche, matronenhafte Dame die meistgemalte Frau Deutschlands, wie die „Berliner Illustrierte“ Ey in ihrer Ausgabe vom 28. August 1930 beschrieb?
August Macke (1887–1914) Vier Mädchen, 1913, Öl auf Leinwand, 105 × 81 cm, Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: Kunstpalast - Horst Kolberg – ARTOTHEK
Max Ernst (1891–1976)Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Eluard und dem Maler (La vierge corrigeant l´enfant Jésus devant trois témoins, André Breton, Paul Eluard et le peintre),1926, Öl auf Leinwand, 196 × 130 cm, Museum Ludwig, Köln / Ankauf 1984 Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2019
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Es mag wohl zutreffen! Denn Johanna Ey (1864–1947) bildete mit ihrer Kaffeestube und späteren Galerie das Zentrum der rheinischen Künstler-Avantgarde, die sich Das Junge Rheinland nannte.
Ey war die gute Seele der kreativen Kunststudenten aus der Düsseldorfer Kunstakademie. Eine Talentmäzenin! Sie sammelte und stellte ab 1916 moderne Gemälde in das Fenster ihres Einfach-Bistros. Allerdings interessierte dies kaum jemanden.
Die Rheinländerin kümmerte sich in den magereren Kriegs- und Nachkriegsjahren um jene Maler, die im klassischen Akademiebetrieb der Stadt - zunächst jedenfalls - chancenlos waren und im besten Falle belächelt wurden. Sie dankten es ihr und zahlten, indem sie „Mutter Ey“ in unzähligen Varianten zeichneten und malten (mehr).
Am 24. Februar 2019 jährte sich zum 100. Mal die Gründung der Künstlervereinigung Das Junge Rheinland. Der Düsseldorfer Kunstpalast erinnert derzeit mit 120 Exponaten – Gemälden, Skulpturen, Papierarbeiten und Dokumenten – an die legendäre und bahnbrechende Gruppierung.
Titelgeber der Schau ist ein Kommentar des Surrealisten Max Ernst, der rückblickend auf den Künstlerverbund bekannte: alles sei „zu schön“ gewesen, „um wahr zu sein“ und der „Durst nach Leben, Poesie, nach Freiheit“ hätte das Klima des Jungen Rheinlands bestimmt.
Der antibürgerliche Dadaist Max Ernst (mehr) hatte 1921 seine erste Einzelausstellung in Johanna Eys Galerie. Er ist das Paradebeispiel für die provozierende Bildsprache und oft alle Konventionen sprengenden Kunsterzeugnisse des Jungen Rheinlands. 1926 sorgte er mit seinem Gemälde „Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen: André Breton, Paul Eluard und dem Maler“ für einen handfesten Skandal. Von da an war der Brühler mit der Wahlheimat Paris für viele ein Tabu.
Dem Jungen Rheinland gehörten bis 1933 über 400 Künstlerinnen und Künstler an, von denen zahlreiche aus Düsseldorf und der näheren Umgebung stammten. Neben Malerei, Grafik, Bildhauerei, Angewandter Kunst und Architektur waren auch Dichtung und Schauspielkunst in dem Verbund vertreten.
Zu den ersten Mitgliedern gehörten Heinrich Nauen, Adolf Uzarski, Arthur Kaufmann sowie die Maler Carlo Mense, Walter Ophey, Werner Heuser und der Architekt Wilhelm Kreis. Später stießen junge, teils traumatisierte und rebellische Kriegsheimkehrer dazu, wie Gert Heinrich Wollheim und Otto Pankok (mehr).
Gert H. Wollheim (1894 –1974) Abschied von Düsseldorf, 1924, Öl auf Leinwand, 160 × 185 cm, Kunstpalast, Düsseldorf, © Jutta Osterhof / Nachlass des Künstlers, Foto: Kunstpalast - Horst Kolberg – ARTOTHEK |
Sie waren es, die Johanna Ey mit dieser neuen Szene in Kontakt brachten. Ey zeigte Arbeiten des Jungen Rheinlands in ihrer Galerie „Neue Kunst Frau Ey“ auf dem Hindenburgwall 11 (heute Heinrich-Heine-Allee) und avancierte damit zur professionellen Kunsthändlerin; eher zufällig als gewollt wurde sie damit auch die erste Galeristin Deutschlands.
Karl Schwesig (1898 –1955) Lulu, 1922, Öl auf Leinwand, 190,5 × 80,5 cm, Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf, © Nachlass Karl Schwesig / Galerie Remmert und Barth, Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB
Lotte B. Prechner (1877–1967) Epoche, 1928, Öl auf Leinwand, 105 x 85,5 cm, Friedrich-Ebert-Stiftung e.V., © Nachlass Lotte B. Prechner, Foto: Friedrich-Ebert-Stiftung e.V.
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„Das Junge Rheinland veranschaulicht eine besonders lebendige Phase der rheinischen Kunstentwicklung. Das 100-jährige Gründungsjubiläum ist uns ein willkommener Anlass, auf die wechselvolle Geschichte dieser Gruppe zurückzublicken, die das Kunstleben der Stadt Düsseldorf und der Region in bedeutender Weise mitgeprägt hat“, erklärt Felix Krämer, Generaldirektor Kunstpalast. „Unser Haus ist mit seinen umfangreichen Sammlungsbeständen ein ganz wesentlicher Teil dieser Geschichte.“
Der Künstlerverbund hatte sich unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Folge eines Aufrufs des Dichters Herbert Eulenberg (1876–1949), des Malers Arthur Kaufmann (1888–1971) und des Illustrators und Schriftstellers Adolf Uzarski (1885–1970) als ein Sammelbecken für Künstler und Intellektuelle verschiedener Fachrichtungen formiert.
Ihre Gründer „…wollten möglichst vielen Kunstschaffenden, auch über regionale und Ländergrenzen hinweg, ein Forum für Ausstellungen und Diskussionen bieten. Sie blieben deshalb bewusst offen in ihrem ästhetischen Programm. Nur der jugendliche Elan der Beteiligten sollte zählen“, betonen die Kuratoren.
Den Kernbereich der Schau bilden Werke von 12 exemplarisch ausgewählten Protagonisten, darunter Otto Dix, Max Ernst, Wilhelm Kreis, Carl Lauterbach, Heinrich Nauen, Lotte B. Prechner, Karl Schwesig, Adolf Uzarski.
Es handelt sich um Künstler, deren Entwicklung die Schlüsselfragen der Geschichte des Jungen Rheinland beispielhaft veranschaulichen: die traumatische Kriegserfahrung, die entweder zur Politisierung oder zu introvertierter Selbstbesinnung führen konnte, die Konflikte um fortschrittliche und moderate künstlerische Haltungen, die Marginalisierung von Frauen, das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Generationen, das Beziehungsgeflecht zwischen Akademie, Museum und freien Künstlern, das Aufkeimen des Faschismus und die unterschiedlichen Reaktionen darauf.
K2M
► Die Rheinische Sezession, die Nachfolge-Gruppe des Jungen Rheinland, wurde 1938 durch die Nationalsozialisten verboten. Die Geschichte des Jungen Rheinland markiert für die Kunststadt Düsseldorf einen wesentlichen Augenblick künstlerischer und intellektueller Freiheit, der die Weimarer Jahre der deutschen Geschichte auch in Düsseldorf bis zu ihrem jähen Ende 1933 strahlen ließ.
Die Ausstellung „Zu schön, um wahr zu sein" – Das Junge Rheinland endet am 2. Juni 2019
Kunstpalast
Ehrenhof 4-5
40479 Düsseldorf
Tel 0211 – 566 42 100
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 18 Uhr
DO 11 – 21 Uhr