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rheinische ART 04/2022

Archiv 2022

ISAMU NOGUCHI
Alles ist Skulptur

 

Wenn bei der Namensnennung zweimal gefragt wird, wie der Künstler denn nun heiße, lässt dies erkennen, dass da ein Defizit existiert. Der Mann ist einer der großen Bildhauer des 20. Jahrhunderts, dennoch hierzulande eher unbekannt. Jedenfalls in der breiten Öffentlichkeit, wie oft vermerkt wird.

 

Isamu Noguchi Play Sculpture, 1965/2021 © The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/ VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Nicholas Knight. „Wenn ein Künstler aufhört ein Kind zu sein, dann hört er auf, ein Künstler zu sein, sagte Noguchi. Übrigens: Für die Kids, die mit ihren Eltern die Schau besuchen, steht die "Play Sculpture", und das ist ungewöhnlich genug, zum Spielen zur Verfügung. Anfassen und klettern erwünscht!

 

Dabei schmücken zahlreiche Designobjekte des japanisch-amerikanischen Universalkünstlers Isamu Noguchi (1904–1988) klassische Wohnzimmer ebenso wie Studentenbuden, hippe Start-up-Büros oder Lofts von Jung-Entrepreneuren oder jenen, die es werden wollen.

     Universalkünstler deshalb, weil Isamu Noguchi als Bildhauer Wandgemälde, Plastiken und Papierleuchten, Möbel, als Landschaftsarchitekt öffentliche Plätze, Gärten und Brunnen, Kinderspielplätze und als Szenarist auch Bühnenbilder gestaltete. Und zwar in einer derart breiten Kreativität, dass die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) feststellte, es sei manchmal schwer zu glauben, „dass all dies aus der Werkstatt desselben Künstlers“ stamme.

 

Installationsansicht (Hérodiade, Bühnenbild für Martha Graham mit Spiegel, Stuhl und Kleiderständer, 1944) Isamu Noguchi im Museum Ludwig, Köln 2022 © The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Rheinisches Bildarchiv, Köln, Marleen Scholten

 

Noguchi beim Zusammenbau von Figure in seinem Atelier in der MacDougal Alley, 1944. The Noguchi Museum Archives, 03765 © The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022. Foto Rudolph Burckhardt © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

 

Tat es aber! Denn der in den Vereinigten Staaten geborene und in Japan aufgewachsene Noguchi war ein gobaler Bürger und Wanderer zwischen den Welten, mit einer kaleidoskopartigen Künstlerkarriere, changierend zwischen Kunst und Design wie auch zwischen westlichen und fernöstlichen Traditionen.

     Jetzt ist er im Rahmen einer europäischen Wanderretrospektive im Kölner Museum Ludwig zu sehen. Die Ausstellung ist der erste umfassende Rückblick auf den Bildhauer und Designer seit über 20 Jahren in Europa.

     Sie zeigt mit 150 Arbeiten alle Schaffensphasen Noguchis und präsentiert ihn als „experimentierfreudigen und politisch engagierten Künstler“, wie das Museum Ludwig betont.

     Im Zentrum der Schau stehen gleichwohl Noguchis surrealistische Skulpturen aus den 1940er Jahren. Die sogenannten Interlocking Sculptures erinnern, wie es in Köln heißt, teilweise an menschliche Körper. Deren Elemente greifen wie locker gespannte Glieder oder Knochen ineinander. Für den Betrachter entladen sie die ihnen innenwohnende Energie förmlich in den Raum - auch die schmerzhafte. Leid, so erfährt man in der Schau, war für Noguchi keine abstrakte Größe. Aber eine, der er eine ästhetische Form zu geben verstand.

 

Verblüffende Vielseitigkeit Noguchi ist einer der berühmtesten Vertreter des sogenannten Midcentury-Designs. Für diesen Wohnstil charakteristisch sind einfache Formen, Reminiszenzen an die Natur mit Fokus auf Funktionalität – anders ausgedrückt: gutes Design für Jedermann in der Nachkriegszeit.

 

 

 

Ewiger Design-Klassiker bei Wohnmöbeln: Couchtisch Coffee Table nach Isamu Noguchis Entwurf von 1944. Untergestell Esche schwarz gebeizt, Tischplatte Kristallglas. Foto © Classic Design 24 2022

 

Isamu Noguchi Chess Table (IN-61), 1944; The Noguchi Museum Archives, 00856 © The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022; Foto: Kevin Noble

 

Was von Noguchis Schöpfungen am ehesten hierzulande bekannt sein dürfte, sind seine aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren stammenden Möbelentwürfe.

     Darunter vor allem der geschwungene, filigran und leicht wirkende Coffee Table, den der amerikanische Möbelproduzent Herman Miller auf den Markt brachte und der bis heute hergestellt wird. Als Prestigeobjekt in Wohnungen ist er etwa der Wagenfeld-Lampe, dem Eames-Sessel und Plastic Chairs sowie der Corbusier-Perriand-Liege (mehr) längst gleichzusetzen.

     Der Kaffeetisch sei der einzige ganz große Erfolg unter seinen industriellen Möbelentwürfen, kommentierte der Meister einmal mit Blick auf seine Design-Projekte. Berühmt wurde aber auch anderes. Sein ausgeklügelter Schachtisch (Chess Table) von 1944 etwa, ebenfalls für Miller, und der fast grazil anmutende Hocker Rocking Stoll für Knoll International (1954).

 

Gruppe von Akari im Kagawa Museum, Takamatsu, Japan, 1953; Models; 27N, 2N, BB3-70FF, BB2-S1 14A, BB1-YA1, 31N © The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022. Foto: Courtesy of the Kagawa Museum

 

Und dann natürlich seine überaus dekorativen Lichtobjekte. 1951 hielt sich das Multitalent Noguchi, der als US-Bürger keinen japanischen Pass besaß, in Japan auf und besuchte unter anderem die Stadt Gifu auf der Hauptinsel Honshū, ein Zentrum der Papierschirm- und Laternenherstellung.

     Fischerboote mit Leuchten aus Papier und Bambus inspirierten ihn dort, so die Story, zu seinen „Akari-Light-Sculptures“.

     Mehr als 100 Modelle für Tisch-, Steh- und Deckenleuchten kreierte er noch vor Ort. Die volumigen Lampen bestachen durch ihre elegante und schwerlose Erscheinung aufgrund des dünnen Shoji-Papiers. Noguchi stattete sie mit Kerzen und Glühlampen aus und schuf damit die legendären Akari-Leuchten für die alltägliche Nutzung, die tausendfach Nachahmer fanden.

 

Installation Isamu Noguchi Sieben Portraits aus Terrakotta, Holz, Bronze und Bakelit (v.l.): Noguchis Onkel Takagi (1931), die Journalistin Suzanne Ziegler (1932), japanisches Mädchen Tsuneko-san (1931), der Maler José Clemente Orozco (1931), Radio Nurse (1937), die Schriftstellerin Tara Pandit (1947), Indonesiens Präsident Sukarno (1950).Foto © rheinische ART 2022

 

Was zahlreiche seiner Arbeiten regelrecht schön macht, basiert auf Noguchis Faszination für Leichtigkeit und Schwerkraft, für die Kombination von verschiedenartigen Materialien wie Holz, Papier, Stein, Ton, Knochen oder Bronze sowie von Kunst mit Design.

     Und alles am liebsten dreidimensional, denn für ihn galt „Everything is sculpture“. Noguchis Denken, so Kuratorin Rita Kersting, war in jeder Hinsicht grenzüberschreitend, transnational und radikal interdisziplinär. Von jungen Jahren an bis ins hohe Alter fertigte er autonome Skulpturen, Denkmäler mit politischer Aussage, diverse Lichtobjekte, über 20 Bühnenbilder, Spielplätze, Gärten – „auf der Suche nach der Verbindung von Kunst und Leben“.

 

 

Isamu Noguchi Sculpture To Bee Seen From Mars, 1947, The Noguchi Museum Archives, 01646 © The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/ VG Bild-Kunst, Bonn 2022. Foto: Soichi Sunami

 

Die Präsentation von hierzulande kaum Bekanntem aus seinem Schaffen macht die Ausstellung so überaus interessant. So etwa seine öffentlichen und politischen Kunstprojekte der 1930er Jahre, Tanzkollaborationen unter anderem mit der Tanz-Pionierin Martha Graham, Keramiken sowie urbane Entwürfe für Grünanlagen und Gedenkorte in Jerusalem, Hiroshima, Paris und Delhi.
     Im letzten Schauraum thematisiert das Museum Noguchis Idee, die Erde als künstlerisches Material zu sehen. Dies manifestiert sich in seinem Entwurf zu Sculpture to Be Seen from Mars (Memorial to Man). Eine Arbeit, die er 1947, zwei Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki konzipierte, jedoch nie realisierte.

     Noguchi entwarf darin eine außerirdische Perspektive auf unseren Planeten. Auf der Oberfläche der Erde erscheint ein riesiges menschliches Antlitz, eine Erinnerung an die Menschheit, die die Erde mit Kultur geformt, aber auch zerstört hat. Ausdruck einer Sehnsucht mit einem bedrückend aktuellen Bezug!
cpw


Isamu Noguchi war der Sohn einer US-amerikanischen Schriftstellerin und eines japanischen Poeten. Er wurde in Los Angeles geboren und verbrachte seine Jugend in Japan. Er studierte in den USA und war 1928 für ein halbes Jahr in Paris als Assistent des Bildhauers Brȃncuşi tätig. In den Fünfzigern lebte er meist in Japan und beschäftigte sich dort intensiv mit Keramiktechniken. 1951 reiste er nach Hiroshima und empfand die zerstörte Stadt als Friedhof. Der Atomtod Tausender Bewohner wurde für ihn zu einem einschneidenden Ereignis, das sowohl seinen humanistischen Blick auf die Welt als auch seine japanisch-amerikanische Identität betraf, heißt es in der Ausstellung.

 

  1968 fand im Whitney Museum of American Art in New York City die erste Retrospektive statt. Noguchi erhielt 1982 die Edward MacDowell Medal for Outstanding Lifetime Contribution to the Arts und 1986 den Kyoto Prize in Arts. Im selben Jahr vertrat er die USA auf der Biennale in Venedig. Weitere Ehrungen waren 1987 die National Medal of Arts und der Orden des Heiligen Schatzes von der japanischen Regierung im Jahr 1988.


  Die Ausstellung gastierte bereits in London. Die nächsten Stationen sind Bern und Lille. Die Schau wurde vom Museum Ludwig zusammen mit dem Zentrum Paul Klee, Bern, dem Barbican in London und dem LaM – Lille Métropole Musée d´art moderne, d´art contemporain et d´art brut, organisiert.


Die Ausstellung Isamu Noguchi kann bis zum 31. Juli 2022 besucht werden.
Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz
50667 Köln
Tel 0221-221 26165
Öffnungszeiten
DI – SO 10 – 18 Uhr
Jeden 1. Donnerstag im Monat 10 – 22 Uhr

 

 Großzügig gefördert wird die Exposition unter anderen von der Terra Foundation for American Art (mehr), der Peter und Irene Ludwig Stiftung (mehr) und der REWE Group.

 

 Zitat aus: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 17.12.2021

 

 

 

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