Archiv 2011: aus "Kunst erleben"
Irmgard Feldhaus: „Von Ensor bis Matisse“ und vom Aufbau einer Sammlung
Dr. Irmgard Feldhaus an ihrem Schreibtisch, Anfang der 1970er Jahre |
„Machen Sie das mal.“
Als nach dem Krieg alles in Schutt und Asche lag, setzte sich die junge promovierte Kunsthistorikern mit Überzeugung bei den damaligen Stadtvätern ihrer Heimatstadt für den Aufbau eines Museums ein. Das historische Obertor in Neuss, heute Teil des Clemens-Sels Museums, wurde die Stätte ihres Wirkens. Schritt für Schritt und klug auch immer das finanziell Machbare im Blick baute sie eine Sammlung auf, deren Ruf weit über die regionalen Grenzen strahlt. Der Museumsführer der Wochenzeitung DIE ZEIT bemerkt hierzu anerkennend: "Das Wohnzimmer androgyner Racheengel. Ausgerechnet am Niederrhein, im städtischen Museum von Neuss, findet man die subtile und erlesene Malerei des Symbolismus."
DOCH BIS es soweit war, sollten viele Jahre vergehen. Die 1920 geborene Irmgard Feldhaus, Spross der Neusser Unternehmerfamilie Feldhaus, die sich mit der bekannten Schokoladenmarke „Novesia Goldnuss“ in so viele Herzen und Köpfe vor allem rheinischer Genussmenschen verankerte, erlangte ihre Promotion im April 1945 in München.
Das Kunsthistorische Institut in Bonn spielte dabei eine nicht unwesentliche Rolle und über die dort geknüpften Verbindungen erhielt sie mit dem Ende des Krieges eine für einen Kunsthistoriker außerordentlich spannende Aufgabe: Franz Graf Wolff Metternich vermittelte ihr eine Stelle im Hauptquartier der im Rheinland zuständigen englischen Militärregierung. In der dortigen Kunstschutzabteilung MFA & A, den „Monuments, Fine Arts & Archives“ arbeitete sie unter der Leitung des Kunstwissenschaftlers Mathias T. Engels mit an der Rückführung des rheinischen Museumsgutes aus den Kriegsauslagerungsdepots. Die musealen Bestände mindestens 20 städtischer Museen waren aus dem umkämpften Rheinland bis nach Bayern ausgelagert worden. Sie galt es, zurück zu holen und diese Tätigkeit verschaffte der jungen Kunsthistorikern einen herausragenden Überblick über die Kunst- und Kulturschätze ihrer Heimatregion.
Henri Jacques Edouard Evenepoel (1872 - 1899) |
Art Nouveau und Symbolismus
1949 wandte sich Feldhaus an den Oberbürgermeister in Neuss und fragte, ob sie im Obertor aufräumen und die erhaltenen Bestände des Museums sortieren könne. Die Antwort lautete: „Machen Sie das mal“, und Feldhaus machte.
Seit seiner Gründung 1950 nahm das „Clemens-Sels Museum im Obertor“, wie es damals noch hieß, eine einzigartige Entwicklung. Feldhaus die wusste, welche Kunstwerke sich in ihrer unmittelbaren musealen Nachbarschaft in Köln und Düsseldorf befanden, suchte einen anderen, letztlich auch ihren Weg, um sich in diesem Reigen hervorzutun. Sie setzte den Schwerpunkt beim Ausbau der Sammlung auf die rheinische und internationale Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Ebenso bot sich die Einbeziehung der Präraffaeliten an. Inspiriert zu diesem Schritt war sie durch die Glasmalerei Jan Thorn Prikkers in der Neusser Dreikönigenkirche. Die Regionalität und Internationalität dieses Künstlers waren in den Augen der Kunsthistorikerin beispielhaft. Thorn Prikker ( mehr ) wirkte im Rheinland, und sein künstlerisches Werk zeigt die Verbindung mit der niederländischen, belgischen und französischen Kunst des Art Nouveau und des Symbolismus auf.
In den 1950er Jahren stand Feldhaus mit ihrer Ausrichtung aber vielfach alleine da. Die herrschende Kunstwissenschaft schaute auf anderes, doch das irritierte sie nicht. Dieser Umstand, der heute als glücklich zu bezeichnen ist, verschaffte ihr den relativ preisgünstigen Erwerb verschiedener Werke, denn die finanzielle Ausstattung des neuen Museums war überschaubar. Und so manches Mal, wenn Feldhaus unverhofft ein Werk zum Kauf angeboten wurde und schnell entschieden werden musste, wartete sie nicht die zeitlich langen städtischen Verwaltungswege ab, sondern kaufte selbst, um später die Stadtväter davon zu überzeugen, die entsprechende Arbeit in die städtische Sammlung zu übernehmen.
Paul Adolf Seehaus (Bonn 1891 - 1919 Hamburg), Straße in Bonn, 1913/14 |
Macke, Campendonk, Seehaus
Ihr Blick richtete sich auf Strömungen, die parallel zum Impressionismus und den Protagonisten der modernen Malerei mit Paul Cézanne, Vincent van Gogh und Paul Gauguin existierten. Bereits 1956 befanden sich Werke des Franzosen Maurice Denis, des Holländers Jan Theodoor Toorop, der rheinischen Expressionisten August Macke, Heinrich Campendonk und Heinrich Nauen sowie der Belgier Georges Minne und James Ensor im Besitz des Museums.
Die erste von ihr organisierte Ausstellung fand im Herbst 1951 unter dem verheißungsvollen Titel »Moderne Kunst aus Neusser Privatbesitz« statt. Sie zeigte Werke der Klassischen Moderne aus der Sammlung des Rechtsanwalts Johannes Geller (1873–1954). Zum ersten Mal wurden Werke von Klee, Kirchner, Heckel, Thorn Prikker und Mataré, um nur einige zu nennen, in Neuss gezeigt. In den folgenden 34 Jahren sollten noch über 100 weitere Ausstellungen folgen.
Das Obertor wurde zum Treffpunkt von Kennern des In‑ und Auslandes, selbst Max Ernst und Victor Vasarely, der 1964 bei seinem Besuch von einer »Atmosphère humaine« sprach, erklommen die steilen Treppenstufen des südlichen Obertor-Turms, um in die Ausstellungsräume zu gelangen. Bemerkenswerterweise war das Clemens‑Sels Museum das einzige deutsche Museum, das dem von der internationalen Kunstwelt gefeierten Max Ernst 1961 eine Ausstellung zu seinem 70. Geburtstag widmete. Neuss befand sich mit dieser Würdigung in bester Gesellschaft: Das Museum of Modern Art in New York richtete Max Ernst in demselben Jahr eine große Retrospektive aus.
Von Ensor bis Matisse
Irmgard Feldhaus, die 2010 verstarb, vermachte dem Museum große Teile ihrer eigenen Kunstsammlung, denn natürlich hat sie privat von Kunst umgeben gelebt. Das Clemens-Sels Museum stellt dieses Vermächtnis derzeit in der Ausstellung „Von Ensor bis Matisse“ aus. Darunter auch Werke, die seinerzeit nicht ins Haus fanden, da der kommunale Haushalt keine Spielräume für ihren Erwerb hatte. Von der künstlerischen Qualität überzeugt, hat Feldhaus diese dann, konsequent wie sie war, behalten. Doch jetzt ergänzen sie die Sammlung des Museums und haben so letzendlich doch zu ihrem, von der Stifterin zugedachten, Platz gefunden.
Aus diesem Konvolut herauszuheben ist sicherlich das bedeutende Gemälde „Die Marquise“ von James Ensor aus dem Jahre 1911. Dieses Meisterwerk gelangt einhundert Jahre nach seiner Entstehung erstmals in eine öffentliche Sammlung. Über Jahrzehnte befand sich „Die Marquise“ in Privatbesitz, zunächst in Hannover, dann bei Irmgard Feldhaus in Neuss. Damit besitzt das Haus nunmehr drei Ensor-Werke, die jetzt gemeinsam präsentiert werden.
Irmgard Ruhs-Woitschützke
Die Ausstellung „Von Ensor bis Matisse“ ist bis zum 14. August 2011 in Neuss zu sehen.
Clemens-Sels-Museum Neuss
Am Obertor
41469 Neuss
Tel. 02131 / 904141
Öffnungszeiten
DI – SA 11 – 17 Uhr
SO und feiertags 11 – 18 Uhr
► Als Mäzenin schenkte Irmgard Feldhaus bereits vier Jahre zuvor der Stadt Neuss ihre private Sammlung populärer Druckgrafik. Hier handelt es sich um volkstümliche Papierarbeiten aus Europa, die der Unterhaltung, Erbauung aber auch Belehrung dienten. Diese mit 5.000 Exponaten außerordentliche Sammlung hat ihren Raum im nach ihr benannten Feld-Haus auf der Raketenstation des Kulturraums Insel Hombroich gefunden, das im Februar 2010 zu ihrem 90. Geburtstag eingeweiht wurde. (mehr)
► Die Werke der Schenkung: Aus ihrer wertvollen Sammlung von Malerbüchern, Mappenwerken und illustrierten Büchern erhielt das Grafische Kabinett Arbeiten von Josef Albers, Max Beckmann, William Blake, Georges Braque, Marc Chagall, Lovis Corinth, Maurice Denis, James Ensor, HAP Grieshaber, Max Klinger, Fernand Léger, Aristide Maillol, Henri Matisse, Max Peiffer‑Watenphul, Pablo Picasso, Robert Pudlich, Jozsef Rippl‑Ronai, Max Slevogt und Victor Vasarely sowie zwei Einzelblätter von Heinrich Campendonk.
► Desweiteren übereignete Irmgard Feldhaus dem Clemens‑Sels‑Museum testamentarisch Gemälde von Wolf von Beckerath, dem italienischen Klassizisten Vincenzo Camuccini, dem belgischen Symbolisten James Ensor, eine nächtliche Pariser Straßenszene von Henri Evenepoel sowie Gemälde von Bruno Goller, Gerhard Kadow, Hans Lünenborg, Adolf Seehaus, Wilhelm Teuwen und Adalbert Trillhaase.
► Link zum Museumsführer von DIE ZEIT (mehr)
© Fotos: VG-Bildkunst (1), Clemens- Sels Museum (3)
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