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rheinische ART 02/2018

Archiv 2018

DEUTSCHE NACHKRIEGSKUNST IN USA

Klapheck in Cambridge

 

Erstmals widmet sich in den USA eine Kunstausstellung einer deutschen Epoche, die eher selten behandelt wird: Kreatives aus der unmittelbaren Nachkriegszeit ist in den Vereinigten Staaten weitestgehend unbekannt.

 

Keine Abstraktion und der Pop Art der transatlantischen Kunstszene voraus: Konrad Klapheck Typewriter (Schreibmaschine), 1955, oil on canvas, 68 x 74 cm, © Konrad Klapheck Fotoquelle: Harvard Art Museums Cambridge (MA) 2018

  

Ort der Präsentation sind die höchst renommierten Harvard Art Museums in der US-Ostküstenstadt Cambridge.

     Der Düsseldorfer Künstler Konrad Klapheck (*1935) ist einer der noch lebenden Zeitzeugen dieser meist unterschätzten Kunstphase und seinerzeit einer der jüngsten Vertreter der unter allerlei Nöten leidenden deutschen Kunstszene nach dem Zweiten Weltkrieg. Klapheck eröffnet am Donnerstag (23 Uhr MEZ) die bemerkenswerte Exposition in den USA, die den Titel „Inventur – Art in Germany, 1944–55“ trägt, mit einer Rede. Sie kann über YouTube live verfolgt werden.

     Die Überschrift „Inventur“ geht auf das berühmte gleichnamige Nachkriegsgedicht des deutschen Lyrikers Günter Eich (1907-1972) zurück. Wegen der lakonisch kargen Sprache gelten die sieben Strophen als klassisches Beispiel der kurzfristigen deutschen Literaturströmung zur Kahlschlag- und Trümmerthematik und als eindringliches Gedicht der „Stunde Null“.

 

Thomas Grochowiak Technischer Bezirk I, Blau 1951, Öl auf Leinwand, 100 x 140 cm. © Martin Grochowiak Fotoquelle: Harvard Art Museums Cambridge (MA) 2018

 

Präsentiert werden in der Cambridge-Exhibition 150 Werke von 50 Künstlern. Darunter namhafte Vertreter wie etwa K.O. Götz (mehr). Aber auch von weniger der Öffentlichkeit vertrauten Malerkollegen wie Thomas Grochowiak, der 1948 zu den Mitbegründern der Gruppe „Junger Westen“ gehörte und jahrelang als Direktor die städtischen Museen Recklinghausen und Schloss Oberhausen leitete. Zu den heute allgemein eher unbekannten Größen der Nachkriegsdekade werden ferner die bildenden Künstlerinnen Louise Rösler und Anneliese Hager gerechnet.

 

Werner Heldt Still Life at the Window,1950. Oil on canvas. Harvard Art Museums/Busch-Reisinger Museum, Purchase in memory of Eda K. Loeb, 2017.55. Fotoquelle: Harvard Art Museums Cambridge (MA) 2018

 

Willi Baumeister Growth of the Crystals II ( Wachstum der Kristalle II) Zyklus Metaphysical Landscape (Metaphysische Landschaft , 1947/52 , Oil with resin and putty on hardboard, 81 x 100 cm. Harvard Art Museums/Busch-Reisinger Museum, Partial gift of Felicitas Baumeister and Jochen Gutbrod and purchase through the generosity of the German Friends of the Busch-Reisinger Museum © President and Fellows of Harvard College

 

Hans Uhlmann Male Head (Männlicher Kopf) 1942. Steel sheet. Lehmbruck Museum, Duisburg, FrK 4237/1995. © 2017 Artists Rights Society (ARS), New York/VG Bild-Kunst, Bonn. Photo: Jürgen Diemer. Fotoquelle: Harvard Art Museums Cambridge (MA) 2018

 

Die Schau konzentriert sich auf moderne Kunst, die zu jener wirren Zeit entstand, als es in Deutschland galt, die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust, die bedingungslose Niederlage und die Besetzung durch die Alliierten sowie die ersten ideologischen Auswirkungen des Kalten Krieges anzuerkennen und zu verarbeiten.

     In diesem Zusammenhang, so heißt es in Cambridge, bedeute „Inventur“ eine Sichtung und Aufnahme nicht nur der künstlerischen, sondern auch des physischen und moralischen Bestands. In der Kunstgeschichte Deutschlands sei über die unmittelbare Nachkriegszeit immer wieder hinweggesehen worden, so Kuratorin Lynette Roth. „Zweifellos ist dies eine sehr belastete Periode, die weiter kontrovers debattiert wird und Emotionen aufwühlt.“

 

Für viele Kunsthistoriker, Kritiker und Feuilletonisten galt die Nachkriegsära als ein Zeitraum der Apathie, als eine künstlerische „Lücke“, da bedeutende Kreative der Moderne infolge der nationalsozialistischen Kunst- und Kulturpolitik in die innere Emigration oder ins Exil gingen, in die Isolation oder in Depressionen getrieben wurden.

     Die interessante Schau eröffnet einen Blick auf eine Phase und ihre Protagonisten, die – „ob auf dieser oder jener Seite des Eisernen Vorhangs“ – trotz der traumatischen Erfahrungen mit Totalitarismus und extremen Lebensbedingungen in der Lage waren, der neu erwachenden Kunstszene ein Gepräge zu geben. Das setzte voraus, dass diese Künstler vom Nazi-Regime in ethnischer und politischer Hinsicht akzeptiert oder doch wenigstens toleriert worden waren. Heute wird klar, welch bemerkenswerter Reichtum, welche Kreativität und welche Vielfalt an Kunst damals in Zeiten großer materieller wie seelischer Not entstehen konnte, betonen die Ausstellungsmacher in den Harvard Art Museums.

 

Inventur zeigt dies anhand einer Reihe von Fallbeispielen. Dazu gehören etwa die Künstler Willi Baumeister, Wilhelm Rudolph, Otto Steinert, Konrad Klapheck und Künstlerinnen wie die Zeichnerin der „Neuen Sachlichkeit“ Jeanne Mammen – die erst jüngst mit großen Schauen geehrte wurde – sowie Anneliese Hager oder Hannah Höch.

     Die schöpferische Breite in den Werken dieser Persönlichkeiten wird an unterschiedlichen Medien deutlich – von der Fotografie über die Collage bis zu Malerei, Bildhauerei und Design.

     Damit scheine, wie in der Ausstellung hervorgehoben wird, mittlerweile die Vorstellung überholt, „dass die Zensur der Nazis zu einer langen Phase schöpferischer Apathie geführt hätte“. Vielmehr nahm in jener Dekade die Kunst eine wichtige Rolle ein in den „hitzigen Debatten über nationale und kulturelle Identität“, die allerorten nach dem Krieg in Deutschland geführt wurden.
Claus P. Woitschützke

 

Die besondere Eröffnungsveranstaltung wird live auf YouTube übertragen. Donnerstag 8. Februar 2018 von 23.00 bis 3.00 Uhr MEZ / 5.00 - 9.00 p.m. EST US-Zeit.

 www.harvardartmuseums.org/visit/calendar/opening-celebration-inventur-art-in-germany-1943-55


Die Harvard Art Museums sind ein Verbund aus dem Busch-Reisinger Museum, dem Fogg Museum und dem Arthur M. Sackler Museum sowie vier Forschungszentren (Straus Center for Conversation and Technical Studies, Center for the Technical Study of Modern Art, Harvard Art Museums Archives und Archaeological Exploration of Sardis). Sie beherbergen eine der größten und angesehensten Kunstsammlungen der Vereinigten Staaten.

 

Die Sonderausstellung Inventur—Art in Germany, 1943–55 wird bis zum 3. Juni 2018 gezeigt.
Harvard Art Museums

Special Exhibitions Gallery
32 Quincy Street
Cambridge, MA 02138, USA
Tel 1 (617) 495-9400
Öffnungszeiten
Täglich 10-17 Uhr

 

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