Archiv 2015
IM INTERVIEW: YILMAZ DZIEWIOR
„Was wäre die Welt ohne Kunst?“
Er ist der Neue in Köln: Yilmaz Dziewior. Im Februar tritt der charismatische Rheinländer sein Amt an und tauscht den Chefsessel des Kunsthauses Bregenz gegen den im Museum Ludwig. Mit Robert Woitschützke unterhielt er sich über das Kuratieren und erfolgreiche Kunstschauen, über die Sichtbarkeit künstlerischer Positionen und den „Wow-Effekt“ in der Kunst.
Von Bregenz nach Köln: Yilmaz Dziewior ist der neue Direktor am Museum Ludwig in Köln. Foto Museum Ludwig
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Woitschützke Herr Dr. Dziewior, gibt es ein Geheimrezept für eine gute Ausstellung?
Dziewior Das gibt es sicherlich nicht, allerdings gibt es aus meiner Sicht verschiedene Faktoren, die auf das Gelingen einer Ausstellung schließen lassen. Zum einen finde ich, dass eine Ausstellung den Anspruch haben sollte, das Publikum zu unterhalten und zu informieren. Sie sollte Erkenntnisgewinn beim Besucher erzeugen, ohne zugleich didaktisch zu wirken. Im besten Sinne ist für mich eine Ausstellung dann gelungen, wenn die Besucher gar nicht merken, wie sehr sie zum einen unterhalten wurden und zum anderen Neues erfahren haben.
Kuratieren – das ist ja mittlerweile ein Modewort in den verschiedensten Bereichen geworden. Der lateinische Ursprung des Wortes „Curator“ bezeichnet jemanden, der im weitesten Sinne etwas pflegt, etwas betreut oder bewahrt. Davon sind wir in unserer heutigen Definition gefühlt meilenweit entfernt. Wir begreifen den Kurator als einen Gestalter von Ausstellungen, als jemanden, der selber Bestandteil eines kreativen Prozesses ist oder in einen kreativen Prozess eingreift. Wie definieren Sie den Begriff des Kurators?
Dziewior Das Spektrum des Kuratierens ist in der Tat sehr breit geworden. Man hört ja bisweilen, dass beispielsweise ein Schaufenster „kuratiert“ wurde. Ich tendiere persönlich zu der konservativen Diktion des Begriffes. Wenn ich etwa mit einem Künstler zusammenarbeite, dann sehe ich meine Aufgabe darin, genau das möglich zu machen, was dieser gerne möchte und betrachte mich in der Funktion desjenigen, der eine Hilfestellung leistet.
Manchmal wird man als Kurator stärker in inhaltliche Fragen eingebunden, manchmal hingegen weiß der Künstler selber schon ganz genau, wie alles aussehen soll, vor allem bei Einzelausstellungen. Dann hält man sich als Kurator stärker zurück.
Bei Gruppenausstellungen kann es reizvoll sein, je nach dem, was gezeigt werden soll, Fachleute einzuladen, um einen bestimmten Aspekt mit ihnen stärker heraus zu arbeiten oder auch Architekten mit dem Entwurf eines Raumsettings zu beauftragen. Künstlerischen Positionen den Weg zu bereiten, Ausstellungen zu ermöglichen – das sehe ich als die Hauptaufgabe des Kurators.
Rosemarie Trockel, Ausstellungsansicht der Schau „Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më“ im Kunsthaus Bregenz bis zum 06.04.2015. |
Wie genau ist denn der Einfluss des Kurators auf inhaltliche Aspekte zu verstehen? Beschränkt sich seine Tätigkeit darauf, ein Mittler zwischen Kunstwerk und Öffentlichkeit zu sein oder könnte man ihn auch, vorsichtig ausgedrückt, als „Künstler in zweiter Instanz“ begreifen?
Dziewior Es gibt diese Ansätze in der Tat. Wenn Sie sich zum Beispiel die Herangehensweisen Harald Szeemans oder Hans Ulrich Obrists anschauen, dann finden Sie diesen kreativen Aspekt sehr stark ausgeprägt. Ich persönlich sehe mich nicht als künstlerisch Tätigen, sondern als jemanden, der etwas auf den Weg bringt und Dinge initiiert.
Und natürlich hat man immer einen gewissen Einfluss auf den kreativen Prozess an sich. Etwa, wenn ein Künstler im Rahmen einer Ausstellung ein spezielles Werk anfertigt oder beginnt, sich mit bestimmten Fragestellungen zu beschäftigen, die in seinen Arbeiten bislang keinen Niederschlag gefunden hatten.
Es wird gerne gesagt, dass wir in einer Zeit der Informationsüberfülle leben. Dies betrifft auch die Kunst. Durch das beispielsweise „Google Art Project“ kann sich jeder die Sammlungen vieler bedeutender Museen direkter ansehen, als es der Besucher in der musealen Realität jemals könnte. Will sagen: Die Information ist omnipräsent. Doch die Frage ist: Wie vermittle ich sie am besten? Könnte man sagen, dass in Zukunft die Bedeutung von Leuten wachsen wird, die Informationen für andere Menschen filtern? Dass dieses „Auswählen“ das Bild des Kurators in Zukunft noch stärker prägen wird?
Dziewior Sicherlich filtert der Kurator in diesem Sinne Informationen, allerdings ist er in diesem Prozess nicht die einzige Instanz. Die Medienvertreter filtern durch die Wahl ihrer Berichterstattungen ebenso gezielt Informationen und begünstigen oder verhindern dadurch die Sichtbarkeit künstlerischer Positionen. Die Sammler sind in diesem Kontext auch zu nennen, denn sie selektieren und distribuieren auch.
Was die allgemeine Zugänglichkeit der Kunst etwa im Internet betrifft: Hier ist die Feststellung korrekt, dass die Information tatsächlich sehr leicht zu erhalten ist. Aber ich bin mir sicher, dass das Internet nie die Spezifik des Museumsbesuches ersetzen wird. Die reale Begegnung mit dem Kunstwerk ist nicht austauschbar. Das Erlebnis dieser Begegnung ist für mich auch der Grund, weshalb ich in diesem Berufsfeld arbeite. Damit möchte ich nicht die Vorzüge des Internets schmälern sondern festhalten, dass die, nennen wir es „körperliche Erfahrung“ mit einem Kunstwerk, einmalig ist und eine Signifikanz besitzt, die außerhalb jeder Konkurrenz steht.
Wenn Sie nun auf Ihre bisherige Karriere zurückblicken, dann frage ich mich, welche Ausstellung Sie heute als Ihre erfolgreichste betrachten würden? Oder anders gefragt: Welche hat Sie besonders glücklich gemacht?
Dziewior Hier gibt es mit Sicherheit nicht „die eine“ Ausstellung. Aber es freut einen ganz besonders, wenn eine Ausstellung es geschafft hat, etwas zu ermöglichen, was ohne sie nicht eingetreten wäre. Ich denke da ganz spezifisch an Ausstellungen, die ein wissenschaftliches Feld neu erschließen oder bereichern. Ein Beispiel wäre, dass wir das Archiv von Valie Export durch eine Schau im Kunsthaus Bregenz zugänglich gemacht haben. Wir haben es zusammen mit der Künstlerin aufgearbeitet und dann im Kunsthaus präsentiert. Von den 57 Vitrinen, die damals ausgestellt wurden, hat die Künstlerin über 40 im Nachhinein als eigenständige Arbeiten definiert. Dass durch eine Ausstellung neue Werke entstehen ist nicht selbstverständlich und deshalb für mich als Kurator eine besonders schöne Erfahrung.
Fast genau so wichtig wie die Ausstellung selbst ist dabei für mich die Publikation, denn sie ist das einzige, was im Regelfall bleibt. Die Erstellung von Werkverzeichnissen der gezeigten Künstler ist hier besonders hervorzuheben und etwas, das wir bereits am Hamburger Kunstverein und hier im Kunsthaus Bregenz im Rahmen von Publikationsreihen realisiert haben. Solche substantiellen Publikationen verleihen einer Ausstellung einen über sie hinausgehenden Mehrwert.
Die neue Wirkungsstätte Yilmaz Dziewiors liegt an prominenter Stelle im Schatten des Kölner Domes: Das Museum Ludwig. © Museum Ludwig, Foto: Lee M.
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Sie sind bekannt für Ihr Interesse an außereuropäischer Kunst, insbesondere aus Asien, Südamerika und Afrika – ein Umstand, der auch mit der stark international geprägten Sammlung des Museum Ludwig immer wieder in Verbindung gebracht wurde. Wann ist für Sie ein Künstler spannend?
Dziewior Am Anfang steht immer das unmittelbare Erlebnis des Werkes an sich, und von dem ausgehend machen sie sich dann ein eigenes Bild. Die Erfahrung spielt hier eine wichtige Rolle, denn wenn man sehr viel gesehen hat, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass es in der Kunst wie im Leben generell nur sehr wenige wirklich exzeptionelle Positionen gibt. Um ein „Wow-Erlebnis“ zu haben, muss eine Arbeit mehr sein als nur sehr gut, auch wenn das schon höchst respektabel ist. Und auch wenn es keine verbindlichen Qualitätsmaßstäbe gibt und jeder seiner subjektiven Meinung unterworfen ist, so gibt es doch Faktoren, die ein „Wow-Erlebnis“ begünstigen können. Etwa, wenn Form und Inhalt besonders gekonnt aufeinander stoßen oder wenn ein Thema mit größer Prägnanz auf den Punkt gebracht wird. Manchmal gibt es aber auch einfach einen emotionalen Stimulus, den man nicht erklären kann und der einen trotzdem hinreißt. Das durfte ich sehr früh bei Kai Althoff, Wade Guyton oder Cosima von Bonin erleben.
In jüngster Zeit habe ich dieses Erlebnis etwa bei dem Videokünstler Ed Atkins gehabt. Seine Arbeiten sind zum einen sehr klar und zum anderen sind die Bilder unglaublich verführerisch. So etwas lässt einen einfach nicht kalt. Die junge Malerin Avery Singer aus Los Angeles wäre ein anderes Beispiel. Natürlich kann man bei den beiden noch nicht sagen, wie ihr Stellenwert in Zukunft sein wird oder ob man aus einer Laune heraus mitgerissen wurde, aber ich werde diese Entwicklungen verfolgen.
Die Landesregierung in NRW hat mit dem Verkauf von Kunstwerken aus Landesbesitz kürzlich für Aufsehen gesorgt. Im Zuge dessen wurde vielfach der gesellschaftliche Wert der Kunst hervorgehoben. Was kann, aus Ihrer Sicht, Kunst in der Gesellschaft bewirken?
Dziewior Ich glaube, man muss sich die Frage stellen: Was wäre die Welt ohne Kunst? Wenn man Kunst im weitesten Sinne fasst: Was wären wir ohne beispielsweise Theater, Mozart, Beethoven, Jazz, Madonna et cetera ... das meint, ohne kulturelle Produktion? Ist unser Leben nur mit Politik lebenswert? Nur durch Essen und Trinken allein? Das ist wichtig und das brauchen wir auch, aber es reicht nicht. Kunst ist ein zentrales Moment unserer Gesellschaft und ich würde dies unseren Politikern und anderen Leuten, die nicht so nahe an der Kunst sind, immer wieder sagen: Ein humanistisches Weltverständnis, das immer auch durch Kunst gebildet wird, prägt und fördert nicht zuletzt auch den zwischenmenschlichen Umgang miteinander und ist deshalb von politischer Relevanz.
Herr Dr. Dziewior, Sie werden die Direktion des Museum Ludwig in Köln übernehmen und leiten damit ein Flaggschiff der deutschen Museumsszene. Das Haus spielt in der internationalen Top-Liga. Können Sie nachts noch ruhig schlafen?
Dziewior Dank meiner gesunden Frohnatur sogar sehr gut (lacht). Ich fange natürlich nicht erst im Februar an, denn die Vorbereitungen laufen schon seit Monaten. Ich bin bereits in vielen Ausstellungsprojekten aktiv involviert und habe mich mehrfach mit dem Oberbürgermeister, der Kulturdezernentin und der Stadtkämmerin getroffen. Im Rahmen der jetzt kommenden Sigmar Polke Ausstellung hatte ich etwa das Vergnügen, bereits mit Leihgebern zu verhandeln. Zusätzlich war ich bereits in der Jury des Wolfgang-Hahn-Preises, der jetzt zum ersten Mal an zwei Künstler vergeben wurde.
Sigmar Polke Freundinnen, 1965 / 1966 aus der Sammlung Froehlich in Stuttgart. |
Ihr Vorgänger Philipp Kaiser wurde ja für die Neustrukturierung der ständigen Sammlung sehr gelobt, aber es gab auch kritische Stimmen. Es wurde hervorgehoben, dass der Wiedererkennungswert des Hauses unter der neuen Hängung gelitten habe. Und bei aller Internationalität ist und bleibt das Museum Ludwig auch immer ein „ur-kölsches“ Museum. Werden also auch Sie „aufräumen“?
Dziewior Es wird keine Umwälzung von heute auf morgen geben. Allerdings werde ich zusammen mit dem Team und den Kuratoren des Hauses sukzessive an der Präsentation der Sammlung arbeiten. Unser Ziel wird sein, die international unverwechselbare Position des Hauses zwischen Pop Art, Russischer Avantgarde, Picasso und einer sagenhaften Photografiesammlung weiter auszubauen. Allerdings wollen wir auch mit dem bislang weniger sichtbaren Bestand stärker arbeiten und gezielt Positionen aus dem Depot holen, die das Profil des Hauses schärfen. Von Bodys Isek Kingelez etwa besitzt das Museum eine eigens angefertigte Skulptur mit dem Titel „Köln“, eine surreale Stadtdarstellung aus Pappmache. Diese Arbeit und weitere mit einem ähnlichen Charakter werden auf absehbare Zeit in die Präsentation der ständigen Sammlung integriert werden.
Philipp Kaiser zeigte sich nach seinen amerikanischen Erfahrungen ja erstaunt und begeistert über die große Anteilnahme der Kölner an „ihrem“ Museum – etwas, das er in den USA in diesem Ausmaß nicht erlebt hatte. Was, glauben Sie, erwartet man in Köln von Museum Ludwig? Gibt es hier vielleicht einen Anspruch, den Sie erfüllen müssen, weil er gewissermaßen „im Raum schwebt“?
Dziewior Gott sei Dank gibt es ja in der Kunst das Wort „müssen“ nicht. Ich sehe mich in keiner Weise zu etwas gezwungen, auch wenn es natürlich Parameter wie Finanzen und Besucherzahlen gibt, die das eigene Handeln beeinflussen. Ich werde mich allerdings weiterhin dafür einsetzen, dass sich die Kölner mit ihrem Museum identifizieren, dass sie es als „ihr“ Museum ansehen. Zusammen mit meinem Team werde ich versuchen, neue Besuchergruppen für das Museum zu erschließen und vor allem, etwa in Zusammenarbeit mit Schulen, jüngere Menschen ins Museum zu locken, die vielleicht diesen Zugang noch nicht gefunden haben. Ich bin der Meinung, dass man das Museum noch stärker in der realen Gesellschaft verankern kann und insbesondere den Bezug zur Stadt Köln zu schärfen vermag.
Auf internationaler Ebene mag man mit dem Museum Ludwig vielleicht als erstes an Pop Art und Picasso denken, doch gerade in Köln selbst denkt man neben der Ludwig Sammlung auch stark an die Sammlung Haubrich mit ihren Meisterwerken des Expressionismus und der klassischen Moderne. Dasselbe gilt für die Sammlung Hahn mit ihrem Fluxus-Bestand. All dies kann man stärker herausarbeiten. Ein Museum wie das Ludwig ist ja nichts statisches und es kommt nun darauf an, hier bei der Präsentation treffende Auswahlen in angemessenen Intervallen zu kombinieren und abzupassen, um sowohl das internationale als auch das lokale Profil zu stärken und in Einklang zu bringen. Eine gewisse Dynamik ist mir insofern ein großes Anliegen.
Robert Woitschützke Herr Dr. Dziewior, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.