Archiv 2017
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Hürtgenwald – ein kritische Inventur
Eine bemerkenswerte Dokumentation über den Kriegsschauplatz Hürtgenwald in der Nordeifel hat das NS-Dokumentationszentrum (NS-DOK) der Stadt Köln jüngst vorgelegt. Der Band hebt sich deutlich von den oftmals einseitigen und mythendurchsetzten Schriften zu dieser Thematik ab.
Kriegsgräberstätte Hürtgenwald-Vossenack, Foto © Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Bildarchiv |
Der Hürtgenwald war im Winter 1944/1945 Schauplatz schwerster Kämpfe zwischen amerikanischen Soldaten und der deutschen Wehrmacht.
Tausende wurden verwundet oder getötet. Die wochenlangen Gefechte in den verschneiten Eifel-Wäldern, in der US-Militärhistorie als „Bloody Huertgen“ ein fester Terminus, forderten die höchsten Opfer der US-Army während des Zweiten Weltkriegs in Europa. Sie gingen, von dem Bestseller-Autor Ernest Hemingway verarbeitet, auch in die Weltliteratur ein (mehr).
Gedenkkreuz errichtet 2012 bei Raffelsbrand vom Geschichtsverein Hürtgenwald e.V. für den deutschen Soldaten Benno Schott. Sein Leichnam war im selben Jahr aufgefunden und auf der Kriegsgräberstätte Vossenack beigesetzt worden. Foto © LVR-Amt für Bodendenkmalpflege Rheinland, W. Wegener 2013
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Es ist bekannt, dass nirgendwo sonst in Deutschland die Spuren von Kampfhandlungen bis heute derartig umfassend in Form und Vielfalt erhalten sind wie im Hürtgenwald.
Vergleichbar damit sind am ehesten noch die Kriegsgebiete am Niederrhein im Klever Reichswald oder die Seelower Höhen östlich von Berlin. Die einstige Kriegslandschaft in der Nordeifel hat sich in den Jahren zu einer beispiellosen Erinnerungslandschaft verwandelt: mehrere Kriegsgräberstätten, zahlreiche Gedenksteine, Kreuze, Tafeln und künstlerische Objekte zeugen davon.
Wie kann die Gesellschaft heute mit der Erinnerung an die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg umgehen? Dies sei eine zentrale Frage, die vielerorts gestellt werde, erklärte die stellvertretende Direktorin des NS-DOK, Karola Fings, bei der Buchvorstellung.
Buchcover. Das Foto zeigt die Platzierung des Hochkreuzes auf der von 1949 bis 1952 angelegten Kriegsgräberstätte Hürtgenwald-Vossenack. Standort ist die während des Krieges umkämpfte „Höhe 470“. Foto © Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Bildarchiv
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Bemerkenswert sei, dass die hitzigen Debatten, die andernorts jahrzehntelang um angemessene Formen des Erinnerns an die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg geführt wurden, im Hürtgenwald wenig Resonanz fanden. Die Folge: Die Region geriet - so das NS-DOK in der Analyse - in den letzten Jahren wegen eines verengten Blicks auf das rein militärische Geschehen, durch das dominante Auftreten des Veteranenverbandes „Windhunde“ (116. Panzer-Division), zweifelhafte Sinnstiftung und der Ausblendung wesentlicher Aspekte der NS-Herrschaft zunehmend in die Kritik.
Dokumentation Der breit angelegte und überaus faktenreiche Band trägt den Titel „Hürtgenwald – Perspektiven der Erinnerung“ und ist der dritte in der Reihe „Veröffentlichungen des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln“.
Es ist eine kritische Betrachtung und Bestandsaufnahme. Sie rückt deutlich ab von den sonst weit verbreiteten Fixierungen auf das Schlachtengeschehen und die Kampftechniken. Das reich illustrierte Buch zeichnet die Geschichte der Erinnerungskonflikte nach, wägt das historische und touristische Potenzial der „Erinnerungslandschaft Hürtgenwald“ ab und gibt Hinweise zu ihrer Veränderung und Weiterentwicklung.
Als Beispiel für eine Ist-Aufnahme und als kritische Würdigung hat die Publikation durchaus exemplarische Bedeutung auch für andere Regionen Deutschlands, in denen die Erinnerung an den Krieg lebendig und umstritten ist. Es handelt sich nicht nur um eine interessante regional-historische Aufarbeitung, sondern auch um eine spannende Lektüre. Sie schließt zahlreiche bislang bestehende Defizite in der historischen Darlegung. Karola Fings und Mitherausgeber Frank Möller von der Gesellschaft für interdisziplinäre Praxis e.V. betonten, dass die Dokumentation als ein Meilenstein bei der Kulturbetrachtung der Nordeifel, speziell für den brisanten Teil rund um den Hürtgenwald, angesehen werden könne.
cpw
► Entlang des über 240 Kilometer langen sogenannten Westwall-Abschnitts zwischen Deutschland und Benelux, eines ehemals linear verlaufenden Verteidigungssystems, existiert eine große Dichte kriegstouristischer Einrichtungen. Etwa 70 Museen zwischen Arnheim und Luxembourg thematisieren den Zweiten Weltkrieg. Besuchspunkte, teilweise über kriegshistorische Themenrouten wie Reise- oder Wanderwege erschlossen, sind ferner Soldatenfriedhöfe, Mahnmale, Monumente und Militärbauten wie das Fort Eben-Emael zwischen Lüttich und Maastricht oder die NS-Ordensburg Vogelsang (mehr) in der Nordeifel.
Literaturhinweis
Karola Fings, Frank Möller (Hrsg.) Hürtgenwald – Perspektiven der Erinnerung. Veröffentlichung des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Metropol Verlag Berlin 2016, 239 Seiten, 134 Abb., ISBN 978-3-86331-317-3. 22 Euro