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rheinische ART 03/2022

Archiv 2022

NAEGELI

Totentanz in Köln

 

Die Kopfgeldjäger vermochten ihn, auf den für seine Ergreifung 3000 Schweizer Franken ausgelobt waren, nicht zu fassen. Es war seine Brille, die ihn vor Gericht brachte. Dem Schweizer Graffitikünstler Harald Naegeli ist eine Schau in Köln gewidmet.

 

Harald Naegeli vor Parole „Keine Auslieferung von Harald Nägeli“ neben eigener Sprayfigur, Köln, Enggasse, um 1983, Foto: © Guenay Ulutuncok; Bildquelle Museum Schnütgen Köln 2022

 

Harald Naegeli (*1939), der „Sprayer von Zürich“, kam gegen Ende des Jahres 1979 nach Köln. Seine nachts in den Straßen der Domstadt gesprayten Graffiti von Skeletten und Totenschädeln wurden als Kölner Totentanz berühmt.

 

Harald Naegeli Totentanz, um 1980; Westfassade von St. Cäcilien. Foto © Rheinisches Bildarchiv, Köln. Bildquelle Museum Schnütgen Köln 2022

 

Mittelalterliches Objekt in St. Cäcilien Tod als Sensenmann Süddeutschland, 18. Jh., Museum Schnütgen, © Rheinisches Bildarchiv, Köln. Bildquelle Museum Schnütgen Köln 2022

 

Am Westportal der Museumskirche St. Cäcilien des Museums Schnütgen ist ein Naegeli-Graffito aus den 1980er Jahren erhalten.

     Diese Totentanz-Figur wurde als Bestandteil der Kirche, die seit 1980 unter Denkmalschutz steht, und als kongeniale Ergänzung der Memento-Mori-Sammlung des Museums ebenso als Denkmal behandelt und konserviert.

     

Der heute 82-jährige Künstler aus dem Zürcher Großbürgertum entwickelte sich mit Mitte Dreißig relativ spät zum Rebellen, Anarcho, Revoluzzer und verdeckt arbeitenden Bürgerschreck.

     1977 begann Naegeli in Zürich seine ersten Strichfigurenzeichnungen an eine Mauer zu sprayen.

     Ihm waren die örtlichen Betonwände zu trist und die Illegalität seines Tuns eher egal. Er sprayte auf privaten und öffentlichen Wänden so ziemlich gegen alles an, was er in der vermögenden Schweiz sah: gegen die Sterilität urbaner Räume, Spießertum und Saubermänner, Atomaufrüstung und Basler Chemiekonzerne, Umweltverschmutzung, kommerzielle Kunst und Massentierhaltung.

     War das nun Kunst oder kriminelles Geschmiere? Auf jeden Fall waren die karikaturesken Strichmännchen von hintergründigem Humor geprägt. Aber das sahen nicht alle so.

     Es hagelte Anzeigen gegen den nicht identifizierbaren Sprayer und das berühmte Kopfgeld wurde ausgerufen. Nach zwei Jahren anonymer Graffitiarbeit ging Naegeli einer Zivilstreife ins Netz, als er seine verlorene Brille nahe eines „Graffiti-Tatorts“ suchte.

 

Harald Naegeli Totentanz, Köln, Goldgasse, um 1981. Foto © Bernd Wendt. Bildquelle Museum Schnütgen Köln 2022

 

 Einer neunmonatigen Haftstrafe wegen Sachbeschädigung entzog sich Naegeli durch Flucht ins Rheinland und Asyl in Düsseldorf. Während die Schweizer Staatsanwaltschaft dem Zürich-Sprayer 1983 mit internationalem Haftbefehl auf den Fersen blieb, wurde er für viele andere ein Pionier der Street Art.

     Düsseldorf war ein zunächst guter Boden für ihn, denn er fand Hilfe bei Kunst und Politik, namentlich bei Joseph Beuys und Willy Brandt. 1984 stellt er sich allerdings freiwillig der Schweizer Justiz. Ein erneuter Prozess, vier Monate Hochsicherheitstrakt in Winterthur, zwei Monate offener Vollzug und Geldstrafen waren die Folge.

     Naegeli habe seine Sprayzeichnungen, wie die Kölner Kuratorinnen Kim Mildebrath und Erchen Wang betonten, in verschiedenen Städten wie Zürich, Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart und Venedig hinterlassen und dies als künstlerischen Protest im öffentlichen Raum verstanden.

     Und Köln? Naegelis Arbeiten und eine Dokumentation seines Kölner Totentanzes treten im Museum Schnütgen erstmals in einen unmittelbaren Dialog mit den mittelalterlichen Objekten des Hauses sowie mit ausgewählten Leihgaben der Graphiksammlung „Mensch und Tod“ der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

     Leider existiert heute, wie das Haus hervorhebt, Naegelis Totentanz bis auf wenige Ausnahmen nur noch in historischen Fotografien. Von den über hundert Sprayzeichnungen an Kölner Brückenpfeilern, Kirchenportalen, Tiefgaragen und anderen alltäglichen Orten der Stadt finden sich gerade noch drei. Ein Großteil wurde damals von städtischen Reinigungsteams entfernt.

 

Blick in die Sonderausstellung. Mittelalterliche Skulpturen des Museums Schnütgen begegnen Graffiti auf Sichtbeton-Bauten der Kölner Nachkriegsmoderne. Foto © rheinische ART 2022

 

Harald Naegeli Tod mit Sense, 2018, Museum Schnütgen. Foto © Rheinisches Bildarchiv, Köln/ M. Mennicken, © Harald Naegeli, VG Bild-Kunst, Bonn 2022. Bildquelle Museum Schnütgen Köln 2022

 

Harald Naegeli Totentanz, Köln, Parkhaus der Hochschule für Musik und Tanz, um 1981. Foto © Bernd Wendt, verwendet für das Ausstellungsplakat. Foto © rheinische ART 2022

 

Der Mann aus Zürich, dessen Inspiration die Strichmännchen des französischen Künstlers Gérard Zlotykamien waren, konnte  interessanterweise auch anders. Weniger bekannt sind nämlich Naegelis Zeichnungen auf Papier, die nun gezeigt werden.

     2018 schenkte er dem Museum Schnütgen 102 Zeichnungen und ein Mappenwerk mit Radierungen. Für die Ausstellung wurde daraus, wie das Museum betont, eine Auswahl getroffen.

     Diese reicht von kleinformatigen Arbeiten mit figürlichen Darstellungen bis zu den großformatigen, mystischen Tuschezeichnungen der Urwolke aus feinsten Federstrichen und Punkten. Inhaltlich ging es Naegeli dabei um seine zeichnerische Utopie des kosmischen Raumes.

     Zusätzlich werden bislang nie gezeigte Leihgaben aus dem Zürcher Atelier des Künstlers präsentiert: 20 Blätter der Apokalypse mit dramatischen figürlichen Zeichnungen auf den zeitlos schwebenden Teilen der Urwolke.

 

Harald Naegeli, der gerne als einer der Urväter der Graffiti-Kunst gepriesen wird, polarisiert bis heute. Die Stadt Zürich verlieh ihm 2020 den Großen Kunstpreis für sein Lebenswerk, während der Kanton ihn verklagte.

     Bis 2019 lebte er abwechselnd in Zürich und Düsseldorf. Danach verlegte er seinen Lebensmittelpunkt endgültig vom Rhein an die Limmat in Zürich. Nicht ohne zuvor in der NRW-Hauptstadt erneut vor Gericht zu stehen. Grund: Auf einigen Wänden der Stadt hatte er „pinke Flamingos“ hinterlassen, wie Schnütgen-Direktor Moritz Woelk vermerkte, und zahlreiche Striche der Utopie. Die hätten die Kölner auch gerne!
cpw

 

Der Kölner Totentanz als erste Darstellung seiner vier Totentanz-Serien reflektiert, wie es im Museum Schnütgen heißt, den Zustand des Künstlers nach seinem Exil und seiner Flucht aus Zürich in die Bundesrepublik. Die von 1979 bis 1981 im urbanen Kölner Raum geschaffenen Sprayarbeiten wurden seinerzeit von drei Fotografen in der heute bemerkenswerten Fotodokumentation erfasst: Hubert Maessen, Bernd Wendt und Wilhelm Siepe. Ab 1980 fotografierte Siepe Naegelis Sprayungen systematisch. Seine Fotografien heben die Ästhetik und den Minimalismus der herumspringenden Sprayfiguren besonders hervor.


Die Ausstellung Harald Naegeli in Köln – Sprayer und Zeichner endet am 12. Juni 2022
Museum Schnütgen
Cäcilienstraße 29-33
50667 Köln
Tel 0221 / 22131355
Öffnungszeiten
DI, MI, FR, SA, SO  10 – 18 Uhr
DO  10 – 20 Uhr