Archiv 2015
GOVERT FLINCK
Der Apelles von Kleve
In Amsterdam, seiner Wahlheimat und Stätte großer Erfolge, hätte man sie eher erwartet: Die Ausstellung anlässlich des 400. Geburtstags von Govert Flinck. Gefeiert aber wird in Kleve am Niederrhein, wo der begabte Maler – erst Rembrandts Gehilfe und später Konkurrent - zur Welt kam.
Govert Flinck Selbstporträt, 1643 © The Leiden Collection, New York
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Die erste Einzelausstellung seit 50 Jahren beleuchtet sein facettenreiches Werk, veranschaulicht die Nähe zu Rembrandt und spürt seiner späteren Entwicklung zum künstlerisch eigenständigen Maler nach. Zugleich hinterfragt in der Ausstellung - quasi als Parallelveranstaltung - der israelisch-britische Videokünstler Ori Gersht in neuen Werkreihen die Bedeutung nobilitierender Porträtmalerei und transformiert das Thema „Porträt“ in die gegenwärtige Wahrnehmung des 21. Jahrhunderts.
Apelles Er sei der „Kleefsche Apelles“ gewesen, schrieb der niederländische Dichter Joost van den Vondel nach dem Tod von Govert Flinck 1660. Somit war es kein Geringerer als der bedeutendste Dichter des Goldenen Zeitalters, der Flinck diesen Ehrentitel verlieh. Antiken literarischen Quellen zufolge war Apelles der bedeutendste Maler des Altertums, und noch im 17. Jahrhundert galt er als der perfekte Künstler, der die Malerei zur Vollendung geführt hatte. Mehreren niederländischen Malern wurde der ehrenvolle Vergleich mit Apelles zuteil, darunter auch Peter Paul Rubens (mehr), der von dem flämischen Verleger Balthasar Moretus als „zeitgenössischer Apelles“ bezeichnet wurde.
Govert Flinck Mädchen am Hochstuhl, 1640 © Mauritshuis, Den Haag
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Prominenz Lange war das große Atelier mit Oberlichtern, das sich Govert Flinck 1649 in Amsterdam eingerichtet hatte, Treffpunkt der städtischen Prominenz, wo auch die Bürgermeister Cornelis und Andries de Graeff verkehrten. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst von Brandenburg, Johann Moritz von Nassau-Siegen und Amalia von Solms, die Witwe des Prinzen von Oranien, gehörten ebenso zu Flincks Auftraggebern wie die Amsterdamer Schützengilden oder vermögende Privatpersonen.
Nachdem Flinck 1656 und 1658 mit zwei großformatigen Historienbildern erfolgreich zur Ausstattung des neuen Rathauses in Amsterdam beigetragen hatte, zog er Ende 1659 ein weiteres bedeutendes Projekt an sich: Er erhielt den Auftrag für die Folge von zwölf Wandbildern mit Szenen aus dem Aufstand der Bataver gegen die Römer, die die Große Galerie des Rathauses dekorieren sollten.
Govert Flinck Rembrandt als Schäfer, 1636 © Rijksmuseum, Amsterdam
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Rembrandt Keine drei Monate später verstarb er unerwartet am 2. Februar 1660 mit 45 Jahren. Rembrandt wurde damit betraut, ein einzelnes der zwölf Gemälde, die Verschwörung des Laudius Civilis (Stockholm, National Museum) anzufertigen. Jedoch sollte es nicht lange in der Großen Galerie verbleiben: Die Stadtväter gaben es an Rembrandt zurück mit der Bitte, das großformatige Lünettenbild nachzubessern.
Offensichtlich hatte er gegen das geltende ‚decorum‘ verstoßen. Dass Govert Flinck zu Lebzeiten eine höhere Reputation genoss als Rembrandt ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass er sich am Geschmack der Zeit und des Kunstmarktes orientierte, während Rembrandt (mehr) an seiner später aus der Mode gekommenen, pastosen und experimentelleren Malweise festhielt.
Leben Govert Flinck wurde 1615 als Sohn eines angesehenen Textilhändlers in Kleve geboren. In jungen Jahren zog er nach Leeuwarden und ging bei Lambert Jacobsz. in die Lehre, bevor er sich in Amsterdam niederließ. Dort gab es einen Maler, der die Kunstszene beherrschte: Rembrandt. Govert Flinck trat um 1633 in seine Werkstatt ein, um bei ihm zu arbeiten. Vermutlich nicht als sein Schüler, da er seine Ausbildung bereits abgeschlossen hatte, sondern als Gehilfe oder Mitarbeiter. Er adaptierte Rembrandts Malweise und fertigte in den nächsten Jahren Historiengemälde, Bildnisse und Landschaften so getreu in dessen Stil an, dass sie für echte Rembrandts gehalten und als solche verkauft wurden.
Govert Flinck Porträt eines Mannes, 1640 © Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung, Kleve
Govert Flinck Porträt von Gerard Pietersz. Hulft, 1654 © Rijksmuseum, Amsterdam |
Das Porträt eines Mannes (1640, Museum Kurhaus Kleve) gleicht mit seiner gedämpften Lichtführung und ruhigen Atmosphäre sowohl stilistisch als auch formal den distinguierten Porträts, die Rembrandt um 1640 ausführte. Die edle Kleidung und der Handschuh verweisen auf den hohen gesellschaftlichen Stand des Dargestellten.
„Mit viel Mühe und Arbeit“ - wie der Kunstbiograph Arnold Houbraken schrieb – gewöhnte er es sich in den 1640er Jahren wieder ab, im Stile von Rembrandt zu malen und orientierte sich mit einem helleren Kolorit und in der Formgebung am Malstil von Bartholomeus van der Helst.
Durch den Einfluss flämischer und italienischer Maler kamen in den nördlichen Niederlanden zunehmend gefälligere Posen sowie glatt aufgetragene und hellere Farben in Mode. Binnen kürzester Zeit avancierte er insbesondere auf dem Gebiet der Bildnismalerei zu Rembrandts großem Konkurrenten. Mit dem Bildnis des Gerard Pietersz. Hulft (Rijksmuseum, Amsterdam), das 1654 entstand, bediente Flinck eine Klientel, die eine individuelle Bildikonographie mit Repräsentationsaspekten gleichberechtigt kombiniert wissen wollte. Trotz aller Erfolge als Maler, die Govert Flinck erzielte, bleibt Rembrandt rückblickend der größere Meister: Gerade weil er nicht bereit war, seine künstlerischen Überzeugungen aufzugeben, und weil die differenzierte Farbbehandlung seine späten Gemälden so faszinierend und tiefschürfend wirken lässt.
Anhand von 30 Gemälden aus aller Welt und ebenso vielen Zeichnungen und Druckgraphiken spürt die Ausstellung der malerischen Entwicklung von Govert Flinck nach. Druckgraphiken, die nach seinen Gemälden angefertigt, und Gedichte, die über sie geschrieben wurden, vermitteln ein Bild der zeitgenössischen Rezeption seiner Kunst.
Ori Gersht The Patrons Portfolio (Adele und Werner van Ackeren), 2015 © Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung, Kleve & Ori Gersht
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Selfies versus Porträtmalerei Abgerundet wird die Ausstellung durch eine künstlerische Intervention des israelisch-britischen Fotografen und Videokünstlers Ori Gersht (*1967 in Tel Aviv), der für die spannungsvolle Auseinandersetzung mit den Bildnissen alter Meister des 17. und 18. Jahrhunderts bekannt ist. Im Selfie-Zeitalter (mehr) möchte er den Besuchern wieder ein Gefühl dafür geben, dass es früher etwas ganz Besonderes war, sich porträtieren zu lassen. Gersht bietet den Museumsbesuchern die Möglichkeit, mithilfe eines 3D-Scanners und -Druckers ihr Abbild anzufertigen. Ihre Ausdrucke finden Eingang in eine sich ständig erweiternde Installation im Museum Kurhaus Kleve.
Marion Lisken-Pruss
Die Ausstellung „Govert Flinck - Reflecting History“ ist bis zum 17. Januar 2016 zu sehen.
Museum Kurhaus Kleve
Tiergartenstraße 41
47533 Kleve
Tel. 02821 / 750 10
Öffnungszeiten
DI – SO 11 – 17 Uhr