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rheinische ART 07/2020

Archiv 2020

BÖHM 100
Pilgerziel Gottesfels


Der große deutsche Architekt Gottfried Böhm vollendete im Januar sein 100. Lebensjahr. Er ist der Schöpfer des einzigartigen Mariendoms im rheinischen Neviges.

 

Gottfried Böhm Die katholische Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“, Neviges, 1963–1968. Blick auf den Dom und den Pilgerweg. Foto © Inge und Arved von der Ropp / Irene und Sigurd Greven Stiftung, ca. 1976. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main.

 

Mit der Ausstellung „Böhm 100: Der Beton-Dom von Neviges“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/Main (DAM) werden derzeit der Jubilar und seine berühmte, alles überragende Wallfahrtskirche in der kleinen Gemeinde Neviges bei Velbert gewürdigt.

 

Gottfried Böhm Innenansicht Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“, Neviges, 1963–1968. Foto © Inge und Arved von der Ropp / Irene und Sigurd Greven Stiftung, ca. 1968. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main.

 

Gottfried Böhm Portrait. Foto © Christian Schaulin, 2008. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main. Im Jahr 1986 bekam Böhm als erster deutscher Architekt den Pritzker-Preis verliehen, den Nobelpreis der Architektur (mehr).

 

Der Standort dieses gewaltigen Pilgerdoms in Sichtbeton-Ausführung, der Raum für etwa 3000 Besucher hat, ist überaus bemerkenswert. Denn Neviges, ein Ortsteil der Schloss- und Beschlägestadt Velbert, verzeichnet weniger als 19.000 Einwohner und ist mehrheitlich evangelisch-lutherisch geprägt.

     Dass sich gerade hier, inmitten des Städtedreiecks Düsseldorf-Essen-Wuppertal, eines der wichtigsten Zeugnisse der modernen deutschen Architektur und die zweitgrößte katholische Kirche des Erzbistums Köln, nach dem Kölner Dom, befindet, geht auf die Pilgertradition des niederbergischen Ortes zurück.

     Seit einer Marienerscheinung im Jahre 1676 finden Wallfahrten nach Neviges statt, der Ort ist eine der großen rheinischen Pilgerstätten (mehr). Angebetet wird ein kleines Marienbildnis, das lange vom Franziskanerorden gehütet wurde. Die Pilgerzahlen stiegen nach den beiden Weltkriegen so stark an, dass die ursprüngliche Klosterkirche zu klein wurde. Der Orden plante aus diesem Grunde, eine neue Pilgerkirche mit bis zu 8000 Plätzen in Auftrag zu geben. Der hierzu 1962/1963 ausgeschriebene Architekturwettbewerb zählte 15 Teilnehmer.


Einer davon war der Baumeister Gottfried Böhm (mehr). Sein Entwurf wurde, wie es in der Ausstellung heißt, zunächst wegen der expressiven Formensprache stark kritisiert und abgelehnt. Erst in einer zweiten Phase setzte sich der Architekt durch. Böhm hatte als Einziger vorgeschlagen, die Kirche als Endpunkt eines ansteigenden Pilgerweges zu inszenieren.

     Einer Erzählung zufolge soll der fast erblindete Kölner Erzbischof Frings das Modell des Entwurfs mit den Fingern ertastet und danach seine Zustimmung gegeben haben. Der Spatenstich erfolgte 1966. Zwei Jahre später überragte der monumentale Beton-Dom mit seinem kühn gefalteten Dach die mit Schiefer verkleideten Giebelhäuschen des Ortskerns um ein Vielfaches.


Gottfried Böhms fast fensterloses Dom-Bauwerk war ein typisches Kind seiner Zeit, der Nachkriegsmoderne. In den Sechzigerjahren dominierte als Werkstoff Sichtbeton, überwiegend in roher Verarbeitung. Der rheinische Architekt formte ihn zu einem riesigen, an eine Felsenskulptur erinnerndes Ensemble.

     Das Beton-Gebirge, für viele mehr Bunker als Bethaus, wurde im Volksmund schnell zum „Gottesfels“ erhoben. Der Korpus zählt architektonisch zu Böhms „brutalistischer“ Werkphase.

 

Gottfried Böhm Altarraum mit Empore der Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“, Neviges, 1963–1968. Foto © Steffen Kunkel, 2015. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main.

 

Weltberühmte Baumeister wie Le Corbusier (mehr), der US-Amerikaner Louis Kahn, die Briten Peter & Alison Smithson oder der Brasilianer Oscar Niemeyer hatten seit 1950 mit dem unverputzten Beton gearbeitet und bahnbrechende profane wie auch sakrale, häufig allerdings ungeliebte Bauwerke, geschaffen. Ihr radikaler Umgang mit dem Werkstoff und dessen Oberflächenstruktur war neu.

     Der international mit dem französischen Terminus „Béton brut“ (Roh- oder Sichtbeton) belegte Baustoff hat bis heute zahlreiche Verfechter (mehr). Die eben rau daherkommende Optik musste schließlich als Namensgeber für den Stil des „Brutalismus“ herhalten – oft allerdings falsch interpretiert. Neuerdings wird diese Betontechnologie unter anderem in Verbindung mit Holz und Zimmermannshandwerk zu neuen Bauformen etwa in Erdbebenregionen kombiniert.

 

Gottfried Böhm Innenansicht Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“, Neviges, 1963–1968. Blick zum Kerzenfenster der Gnadenkapelle. Foto © Inge und Arved von der Ropp / Irene und Sigurd Greven Stiftung, ca. 1968. Fotoquelle DAM Frankfurt/Main.

 

Wie sich später oft zeigte, wies die gewagte, neue Formensprache in der Architektur und die Materialwahl zahlreiche Schwächen auf. Dies thematisiert auch die Frankfurter Ausstellung.

     In Neviges etwa bildeten sich Risse im Stahlbetondach und ließen immer wieder Wasser in das Innere der Wallfahrtskirche dringen. Gegenwärtig wird eine neue, dünne Schicht aus sogenanntem Textilbeton aufgetragen. Dafür werden über einer Grundbeschichtung zwei Lagen Spritzbeton mit integrierten Carbonmatten und eine farblich angepasste Deckschicht aufgebracht, an geometrisch schwierigen Stellen der rund 2700 Quadratmeter großen Dachfläche auch mit der Maurerkelle.

     Durch das mehrlagige Textilbetonsystem sollen die wasserführenden Risse in ein fein verteiltes, und damit unschädliches Rissbild überführt werden. Das innovative Verfahren wurde am Institut für Bauforschung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen entwickelt.
rART/K2M


Der Mariendom in Neviges ist in der Regel täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Die Gottesdienste finden wegen der Viruspandemie unter den gesetzlich vorgegebenen Schutzmaßnahmen statt. Es können online Plätze in den Gottesdiensten gebucht werden.

 

Die Ausstellung „Böhm 100: Der Beton-Dom von Neviges“ wird bis zum 27. September 2020 gezeigt.
Deutsches Architekturmuseum (DAM)
Schaumainkai 43
60596 Frankfurt am Main
Tel T +49 (0)69 – 212 388 44
Öffnungszeiten
DI, DO bis SO 10–18 Uhr
MI 10–20 Uhr

 

 

 

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