Archiv 2019
GOETHE
„Voilà un homme!“
Mit dieser Bemerkung soll 1808 der französische Kaiser Napoleon Bonaparte den deutschen Dichterfürsten zu einem Herbstfrühstück in Erfurt empfangen haben. Beide schätzten sich. Beide waren, jeder auf seine Weise, die berühmtesten und mächtigsten Männer der damaligen Zeit.
Johann Joseph Schmeller Goethe, Kopie nach Joseph Stieler, vor 1838, Öl auf Leinwand, Foto © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH; oben: Andy Warhol Goethe (29/100), 1982, Farbserigrafie, 2019, © Goethe-Museum Düsseldorf, Foto © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH |
Ob der Ausruf bei diesem legendären „Petit Dejeuner à la française“ in der Erfurter Statthalterei tatsächlich so gefallen ist oder ob der Herrscher über Halb-Europa eher fragte „Vous êtes un homme?“ – darin sind sich die Historiker nicht einig.
Bonaparte überquert den Großen St. Bernhard. Kopie von Engelbert Willmes nach Jacques-Louis David, um 1810, Öl auf Leinwand, Kölnisches Stadtmuseum © Rheinisches Bildarchiv Köln Foto © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
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Der Ruhm von Johann Wolfgang Goethe, des weltweit bekanntesten Dichters deutscher Sprache, erstreckte sich zu Lebzeiten jedenfalls bereits auf ganz Europa.
Seine literarischen Werke wurden in unzählige Sprachen übersetzt und Figuren wie Werther oder Faust eroberten alle Kunstgattungen und sämtliche Sparten der Populärkultur.
Und: Goethe war ohne Zweifel ein bekennender Napoleon-Fan. Dabei verehrte er weniger den ruhmreichen Feldherrn, als vielmehr den Staatsmann, Reformer, Romantiker und genialen Geist.
Im Gegenzug war die Sympathie und Anerkennung des gebürtigen Korsen für den deutschen Dichter ebenfalls bemerkenswert groß. Einzige Agenda bei der Erfurter Audienz: Die leidenschaftliche Liebe am Beispiel Werthers.
Apropos Werther und Faust: Napoleon hatte Goethes Bestseller, die Liebesgeschichte „Die Leiden des jungen Werthers“, in seiner Reisebibliothek, Abteilung Romane, in der Regel stets dabei, auch bei Feldzügen. Nach dessen tragischem Lebensende auf der isolierten Atlantikinsel St. Helena verarbeitete Goethe dieses Herrscherdrama in seinem Faust!
Franz Skarbina Die Leiden des jungen Werther’s (Studie), 1880, Kreide © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, Frankfurt am Main Foto © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH |
Die erste große Goethe-Ausstellung seit 25 Jahren veranschaulicht derzeit das Werk und die Biografie des Meisters im Horizont der frühen Moderne sowie die einzigartige Rezeptionsgeschichte seines Wirkens. Zu sehen ist sie in der Bundeskunsthalle in Bonn unter dem Titel „Goethe. Verwandlung der Welt“.
Wie kein zweiter Dichter seiner Zeit hat Johann Wolfgang Goethe all jene politischen, ökonomischen und kulturellen Veränderungen reflektiert, die um 1800 die Fundamente des Kontinents erschütterten.
Er war aber nicht nur ein kritischer Beobachter der sogenannten „Franzosenzeit“, sondern zugleich ein äußerst wandlungsfähiger Künstler, der bis heute Schriftsteller, Maler und Bildhauer sowie Komponisten, Fotografen und Filmregisseure inspiriert hat.
Maria Gottweiss Goethe Illustration, nach dem Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Goethe in der römischen Campagna 1787 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
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Die groß angelegte Schau in Bonn versammelt rund 250 Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen weltweit.
Mit Werken von Caspar David Friedrich, Auguste Rodin, William Turner und Angelika Kauffmann über Piet Mondrian und Paul Klee bis hin zu Cy Twombly, Andy Warhol, Barbara Klemm und Ólafur Elíasson reicht die Perspektive der Ausstellung vom späten 18./frühen 19. Jahrhundert bis in unsere heutige Zeit.
Die wechselvolle Rezeptionsgeschichte seines Werks wie auch seiner Person, so heißt es in Bonn, bildet einen wichtigen Ausgangspunkt für Fragen nach der Aktualität Goethes, der diese Ausstellung nachgeht.
Christoph Heinrich Kolbe Goethe am Golf von Neapel, 1826, Öl auf Leinwand © Friedrich-Schiller-Universität Jena, Kustodie; Foto: Jan-Peter Kasper Foto © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
Ausstellungsansicht (Kapitel 4 „Eine Welt im Umbruch. Revolution und Klassik“) Foto: Simon Vogel, 2019 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
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In neun Kapiteln erschließt die Schau Goethes Leben und Werk sowie den Epochenhorizont seiner Zeit – von 1749, dem Jahr seiner Geburt, bis zum Todesjahr 1832. Zentrale biografische Wendepunkte und Ereignisse sowie einige seiner bekanntesten Arbeiten bilden die Fokuspunkte. Gleichzeitig spielt der Blick auf das Zeitgeschehen eine zentrale Rolle: Die großen Ideenkomplexe und die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche liefern dafür nicht nur den zeitlichen Hintergrund, sondern spiegeln die maßgeblichen Fragestellungen der Zeit, mit denen Goethe sich intensiv auseinandergesetzt hat.
Dies sei am Beispiel von Kapitel 4 aufgegriffen, das sich dem Thema „Eine Welt im Umbruch. Revolution und Klassik“ widmet.
Goethe: „Es ist wahr, ich konnte kein Freund der französischen Revolution sein, denn ihre Greuel standen mir zu nahe und empörten mich täglich und stündlich.“
Er verfolgte die Umwälzungen in Frankreich von Beginn an mit entschiedener Ablehnung. Zunächst konnte er die revolutionären Vorgänge aus sicherer Distanz beobachten. Ab 1792 nahm der Zivilist Goethe an der Seite seines Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisennach an zwei militärischen Aktionen teil, die ihn nachhaltig prägten. Er erlebte im September des Jahres den Krieg in der Champagne bei der Kanonade von Valmy, wo Preußen gegen das jakobinische Frankreich kämpfte. Ein Jahr später, im Sommer 1793, beobachtete er die Belagerung von Mainz. Sein drittes Kriegserlebnis hatte er schließlich in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1806, als Preußen die Schlacht von Jena und Auerstedt gegen Napoleons Armee verlor und die Kleinstadt Weimar, sein Wohnsitz, in die Kampfhandlungen gezogen wurde.
Claus Bach „Wir bleiben hier“ Goethe- und Schillerdenkmal 1989, Fotografie © Foto: Claus Bach Foto © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
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Abgestoßen von den Gewaltexzessen, entwickelte Goethe zusammen mit Friedrich Schiller ein klassizistisches Kunstprogramm. Im Zentrum dieses Programms stand die ästhetische Erziehung des Individuums.
Während Goethe den politischen Umbruch in Frankreich strikt ablehnte, bewunderte er Napoleon Bonaparte. Der Herr über Europa, der mit 26 Jahren General wurde, galt ihm als Überwinder der Revolution, als Herold einer Zeitenwende und als Stifter einer neuen kontinentalen Ordnung. So wie Napoleon im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts die nationale Identität der Franzosen prägte, so wurde Goethe im Verbund mit Schiller eine nationalkulturelle Symbolfigur der Deutschen.
K2M
Die Ausstellung „Goethe. Verwandlung der Welt“ endet am 15. September 2019.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Museumsmeile Bonn
Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Tel. 0228 /9171-200
Öffnungszeiten
DI, MI 10–21 Uhr
DO–SO und feiertags 10–19 Uhr