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rheinische ART 11/2022

Archiv 2022

GELESEN
Der König der Züge


Wenn es ein Symbol für Eisenbahn-Luxusreisen gibt, dann dürfte die Rede schnell auf den Orient-Express kommen. Ab 1894 war auch Köln Station für den transkontinentalen Zug mit dem sagenhaften Komfort.

 

Routen des Orient-Express der Internationalen Eisenbahn-Schlafwagen-Gesellschaft zwischen 1883 und 1914. Ab Paris nach Konstantinopel (Istanbul) mit Ergänzungslinien London-Ostende-Köln-Wien und Berlin- Breslau-Budapest. Bildquelle © Wikipedia CCBY-SA3.0

 

Bis heute gilt der Orient-Express als berühmtester Zug der Welt. Agatha Christie, Graham Greene und die Filmschmiede Hollywood machten ihn zum Mythos. Wer hat aber diesen Eisenbahn-Klassiker seinerzeit auf die Gleise gestellt, welche Vision verbarg sich hinter der Gründung?

 

Buchcover Gerhard J. Rekel, Monsieur Orient-Express. Bildquelle © Verlag Kremayr & Scheriau 2022

 

Diese Fragen greift eine Neuerscheinung auf, die sich der Lebensgeschichte des belgischen Eisenbahnpioniers und Orient-Zug-Gründers Georges Nagelmackers widmet.

     „Monsieur Orient-Express / Wie es Georges Nagelmackers gelang, Welten zu verbinden“, titelt die hochinteressante wie spannende Publikation. Sie ist nicht nur für Eisenbahn-Enthusiasten oder Bahn-Historiker ein Gewinn.


Autor Gerhard J. Rekel nimmt die Leser mit in eine Zeit, als in Europa mehr oder weniger der Nationalismus Raum griff, die großen Flächenländer des Kontinents auf Abschottung zielten und ihre jeweilige Großmachtstellung festigen wollten.

     In dieser Zeit, um 1880, tauchte ein 35-jähriger Mann auf, der die Staaten Europas mit Schienen verbinden wollte: der Bankierssohn Georges Nagelmackers, gebürtig aus Lüttich. Ein Gründer und Förderer, gewiefter Finanzier, raffinierter Kaufmann und Bahnbewunderer, der gewissermaßen den Orient-Express erfand.

     Der junge Nagelmackers war also das, was man heute in der Betriebswirtschaft einen Entrepreneur und Start-up-Unternehmer nennen würde. Ein mutiger, technikaffiner und risikofreudiger Visionär, der aus den bis dato anstrengenden Bahn-Torturen in Europa angenehme und entspannende Bahn-Touren machen wollte: luxuriös, komfortabel und bequem.

 

 

Werbeplakat für den Orient-Express. Entwurf: Raphael de Ochoa y Madroza (1895) Bildquelle © Museum Folkwang/ Deutsches Plakat Museum (Sammlung Reisen in Luxus, Essen)

 

In diesen Rollen ist die Person des Georges Nagelmackers hierzulande weniger bekannt.

     Diese Lücke schließt nun das lesenswerte Buch von Gerhard J. Rekel. Der Autor beschreibt die Vita des Belgiers als ein dramatisches „Auf und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung“, er beleuchtet Nagelmackers wirtschaftliches Scheitern wie auch seine Triumphe, seinen erlittenen Spott und die spätere große Verehrung als Vordenker im europäischen Bahnwesen.
     

In jungen Jahren hatte der Belgier durch Aufenthalte in den Vereinigten Staaten einiges an Erfahrung im Eisenbahnwesen erworben; 1872 war er, zurück in Europa, an der Gründung der Internationalen Schlafwagen-Gesellschaft in Paris beteiligt. Die „Compagnie International des Wagons-Lits“, wie sie hieß, wurde zum Nukleus des Orient-Express und erhielt von Nagelmackers 1883 den Zusatztitel „et des Grands Express Européen“. Trotz Vorurteilen, Fremdenhass und administrativen Hindernissen gelang es ihm, mit einem Schienenzug Paris und Konstantinopel zu verbinden und ein Netzwerk von über 180 europäischen Nachtzuglinien aufzubauen.

 

George Nagelmackers (1845-1905), créateur de l'Orient-Express et de la Compagnie des Wagons-Lits. Fotografie von Felix Nadar. Bildquelle © Wikipedia, gemeinfrei.

 

Die Weitsicht des Unternehmers war bemerkenswert. Denn bereits am 20. April 1870 hatte er in Lüttich und in Aachen eine Denkschrift mit dem Titel „Projet d'Installation des Wagons-Lits sur les Chemins de Fer du Continent“ veröffentlicht, in der Pläne und Vorteile der technisch neuen Eisenbahn-Schlafwagen dargestellt wurden.

     Etwa zeitgleich nahm er Verhandlungen mit deutschen, belgischen und französischen Eisenbahnverwaltungen auf, die jedoch wegen des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/1871 unterbrochen wurden. Nach dem Krieg installierte Nagelmackers Bahnlinien von Ostende nach Berlin, von Paris nach Köln und von Wien nach München. Im Folgejahr machte er sich einen Namen, als er Züge von Paris zur Weltausstellung in Wien organisierte.

 

Werbeplakat für die Orient-Express-Linie London–Bagdad. Motiv: Palastruine in Mahuza, auch Bogen von Ktesiphon genannt. Entwurf: Roger Borders (1931) Bildquelle © Museum Folkwang / Deutsches Plakat Museum (Sammlung Reisen in Luxus, Essen)

 

Der berühmte Orient-Express hatte seine Jungfernfahrt 1883, er wurde zum Symbol für puren Luxus wie auch für Macht. Bis 1939 verband der Zug mit Unterbrechungen Paris mit dem heutigen Istanbul. Diverse Kurswagen zum Beispiel ab Ostende via Köln und Frankfurt am Main erweiterten den Einzugsbereich der eleganten Waggons. Die rund 3074 Kilometer durch Mitteleuropa und den Balkanraum schaffte der „König der Züge“ in sensationellen drei Tagen und zehn Stunden. Weiterfahrten in den Nahen Osten nach Bagdad waren möglich. Autor Gerhard J. Rekel zitiert in seinem Buch Baudouin Nagelmackers, einen der letzten Nachfahren des Bahnpioniers: „Georges Nagelmackers hat etwas komplett Neues für Europa eingeleitet: Er hat es vollbracht, Grenzen zu überwinden, ohne Krieg zu führen.“ Ob er auch an ein gemeinsames Europa gedacht haben mochte, ist nicht überliefert.

 

Werbeplakat für den Simplon-Orient Express. Entwurf: Jacques Touchet (1930) Bildquelle © Orient Express Stiftungsfonds

 

Mit der reinen Beförderung durch den europäischen Bahn-Flickenteppich und dessen technische Handicaps war es im Sinne des Belgiers nicht getan. Ein Jahr nach Aufnahme des fahrplanmäßigen Orient-Betriebs bestellte er bei der Münchner Waggonfabrik Rathgeber den ersten Speisewagen in Europa, in dem 24 Fahrgäste verköstigt werden konnten.

     Das komfortable Reisen, verbunden mit dem „Essen auf Rädern“ zog über die Jahrzehnte Prominenz an. Die Liste namhafter Passagiere war lang. Schauspieler, Politiker und Diven wie Marlene Dietrich, der Abenteurer Lawrence von Arabien (mehr), Könige wie Ferdinand von Bulgarien, Päpste oder Finanzmogule wussten das elegante Ambiente im Art-Déco-Stil, Sicherheit und Schnelligkeit zu schätzen.

     Mehrere Literaten wie etwa Ernest Hemingway (mehr) und der Romancier Joseph Kessel ließen sich von dem exklusiven Zug inspirieren und festigten dessen Mythos. Letztlich sorgten abenteuerliche Filme wie James Bonds „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963) und die Agatha Christie-Verfilmung „Mord im Orient-Express“ (1974) mit den Weltstars Ingrid Bergmann, Sean Connery und Anthony Perkins für die Unsterblichkeit des Luxuszugs.
rART/K2M

 


Literaturhinweis:
Gerhard J. Rekel Monsieur Orient-Express. Wie es Georges Nagelmackers gelang, Welten zu verbinden. Verlag Kremayr & Scheriau Wien. Format 13,5 x 21,5 cm, 288 Seiten Hardcover mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-218-01305-5. Preis (A, D) Euro 25,- Auch als E-Book erhältlich.

 

Plakate zum Thema Orient-Express finden sich unter anderem im Deutschen Plakatmuseum Essen.
Deutsches Plakatmuseum/ Folkwang Museum Essen
Museumsplatz 1
45128 Essen
Tel +49 201 8845 108
Öffnungszeiten: auf Anfrage

 

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