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rheinische ART 01/2024

Archiv 2024

GELESEN
Der geächtete Humanist


Vor 230 Jahren, am 10. Januar 1794, starb verarmt, krank und desillusioniert der Naturforscher, Entdecker und Ethnologe Georg Forster in Paris.

 

Georg Forster Gemälde um 1785, zugeschrieben Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Bildquelle © Wikipedia gemeinfrei

 

Dass er, der nur 39 Jahre alt wurde, auch ein begnadeter Reiseschriftsteller, brillanter Wissenschaftler, unbestechlicher Beobachter, Zeichner, Weltreisender und revolutionärer Denker war, geriet lange in Vergessenheit.

     Forster, aus dem Ostpreußischen nahe Danzig stammend, hatte nie studiert und schon als 17-Jähriger die Welt gesehen. Schlagartig einen Namen machte er sich mit seinem Bericht von der zweiten Weltumsegelung unter der Leitung von James Cook (1728-1779), an der er als Zeichner teilgenommen hatte. Sein gewaltiges Buch „Reise um die Welt“ ebnete ihm den Weg zum weltberühmten Naturforscher.

 

Idealisierte Vergangenheit, majestätisch thronende Burgen, Rheinromantik in der Malerei: Johann Adolf Lasinsky Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein 1828 Bildquelle © LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: Jürgen Vogel. „Die ganze Geschichte von Europa liegt an diesem Fluss (…)." Victor Hugo. Der Rhein (Brief XIV).

 

Mit 24 Jahren war Forster bereits Professor für Naturgeschichte in Wilna und später in Kassel. Goethe wie auch Alexander von Humboldt waren von ihm begeistert. Mit dem Aufklärer Immanuel Kant, den er durchaus anerkannte, stritt er sich von 1786 bis zu seinem Tode. Forsters Kritik an Kants humanistischem Denken kam quasi von links.

 

Buchcover Georg Forster. Ansichten vom Niederrhein. Philipp Reclam Jun. Stuttgart 1965, 1981 Foto © rheinische ART

 

Portrait von Alexander von Humboldt 1807 in Berlin. Zeichnung von Frédéric d’Houdetot. Bildquelle © Bibliothek des Conseil d'État, Paris, gemeinfrei

 

Kundigen Rheinländern ist der Forscher bekannt durch die Publikation „Ansichten vom Niederrhein“, einem umfangreichen Bericht über eine große Reise durch Westeuropa. Der spezielle Blick auf den Niederrhein liefert nicht nur wunderbare Landschafts- und Kulturbeschreibungen, die Forster damit zu einem der ersten modernen Reiseschriftsteller machten.

     Sie sind vor allem ein Zeugnis der politischen Verfasstheit der Länder in Westeuropa zur Zeit der französischen Revolution und meisterhafte Beschreibungen ökonomischer Zustände.


Die Reise fand im Frühjahr 1790 statt, dauerte drei Monate und erstreckte sich von Mainz über Koblenz entlang des Rheinstroms bis Düsseldorf. Von dort ging es über Aachen, Lüttich, Brüssel und Dünkirchen nach Amsterdam und schließlich nach London.

     Mit von der Partie war der gerade Zwanzigjährige Alexander von Humboldt (1769-1859). Für den jungen Humboldt war es die zweite Rheinreise. Bereits ein Jahr zuvor hatte er kurze Zeit mit seinem Studienfreund, dem Arzt und Botaniker Steven Jan van Geuns, die Rheinregion besucht. Sie betitelte er humorvoll als das „basaltfreudige Vaterland“. Humboldts Augenmerk galt neben den Basalten den allgemeinen mineralogischen Gegebenheiten, dem Vulkanismus und der Botanik. Auch an der Schönheit der Natur konnte er sich erfreuen.

 

Rheinromantik Joseph Mallord William Turner Der Loreley-Felsen, 1817, Wasser- und Deckfarbe, 20,2 x 30,2 cm; Bildquelle © Leeds Museums and Galleries

 

In einem Brief an van Geuns nannte er den nahe am Rhein bei Unkel liegenden Steinbruch mit den „Unkelsteinen“ eine der „Rheinischen Naturschönheiten“, neben dem Binger Loch und dem Siebengebirge. Da befand sich der Hype um die Rheinromantik noch in den Anfangsjahren. Und der englische Maler William Tuner sollte erst gut ein Vierteljahrhundert später Aquarelle schaffen, die zu den berühmtesten der Rheinromantik avancierten.


Der Reiseinitiator Georg Forster hingegen hatte ganz andere Interessen. Zwar sah auch er das Pittoreske am Fluss und verstand sich auch auf Botanik. Sein Hauptaugenmerk richtete er jedoch auf wirtschaftliche Fragen, volkswirtschaftliche Zustände und soziale Probleme.

     In Bacharach und Kaub sah er „längs der ganzen Stadtmauer hin eine Reihe ärmlicher, verfallener Wohnungen“ und die Armut der Bewohner, die mit Straßenbettelei an Reisende herantraten. In Köln wenig später bewunderte er zwar enthusiastisch den Dom. Stellte gleichwohl fest, es sollten viele Reiche in der Stadt wohnen, was ihn aber nicht befriedige, „so lange ich auf allen Straßen nur Schaaren von zerlumpten Bettlern herumschleichen sehe.“

     Seine Kritik am Klerus war unverhohlen. „Die Geistlichen aller Orden, die hier auf allen Wegen wimmeln, und deren ungeheure Menge auf einen Reisenden immer einen unangenehmen Eindruck macht, könnten zur Moralität dieser rohen, ungezügelten Menge auf das heilsamste wirken. Allein sie tun es nicht.“

     Weiter in Düsseldorf, jener Stadt, die mit der bedeutendsten Kunstgalerie am Strom gesegnet war, atme man „eine andere Luft“, dies sei ein „Hort der Aufklärung, des frischen neuen Denkens“. Seine präzisen Beschreibungen von Architektur und Kunst in der Residenzstadt wurden zu Grundlagen der jungen Disziplin Kunstgeschichte. An Aachen ließ er kein gutes Haar und notierte, „geistlicher und oligarchischer Zwang“ habe „den Fleiß aus den Mauern“ der Stadt vertrieben. Da seien Nachbarorte wie Burscheid und vor allem Vaals wesentlich fortschrittlicher. „Wohin man sieht, erblickt man jetzt große Fabrikgebäude.“

 

Versammlung des Mainzer Jakobinerklubs im Akademiesaal des ehemaligen kurfürstlichen Schlosses. Am Rednerpult vermutlich Georg Forster. Vor der Schranke sitzend die Mitglieder des Jakobinerklubs, dahinter Zuschauer. Lavierte Federzeichnung von Johann Jacob Hoch, 44,3 x 57,9 cm. Bildquelle © Landesmuseum Mainz


Zwei Jahre später, im Oktober 1792, eroberten französische Revolutionstruppen Mainz, im November trat Forster dem Mainzer Jakobinerklub bei, im März 1793 wurde ebendort die Republik ausgerufen. Aber die „Mainzer Republik“, das erste demokratische Experiment auf deutschem Boden, fand keinen Widerhall in der Bevölkerung und war nach neun Monaten Geschichte. Georg Forster, der stets als ein enger Verfechter republikanischer Ideen und Ideale auftrat, wurde als „Vaterlandsverräter“ abgestempelt und geriet ins politische Abseits. Er zog nach Paris und starb dort ein Jahr später an einem Freitag in seiner Dachkammer. Es war das unspektakuläre Ende eines „Ausnahmelebens“.
cpw

 

Literaturhinweise (Auswahl):


Georg Forster, Ansichten vom Niederrhein. Eine Auswahl. Reclam, Universal-Bibliothek, Stuttgart 1965, 1981. ISBN 3-15-004729-3


► Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Juni 1790. Die Andere Bibliothek, 480 Seiten. Berlin 2016. 79 Euro. ISBN 978-3-8477-0018-0


► Jürgen Goldstein: Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt. Verlag Matthes & Seitz, Berlin. 301 Seiten. ISBN 978-3-95757-090-1

 

 

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