Archiv 2017
LUDWIG FORUM
Partizipationskunst
Früher wurde er auf Händen getragen, heute wird er mit Preisen geehrt. Die Biennale in Venedig zeichnete ihn in diesem Jahr als besten Künstler mit dem Goldenen Löwen aus und die Kaiser- und Hochschulstadt Aachen mit dem Kunstpreis 2016: Franz Erhard Walther.
Franz Erhard Walther Winkel, 1975, Stahl, 7 x 200 x 531 cm, Courtesy private collection, New York, USA, © Foto: François Doury / VG Bild-Kunst, Bonn 2017 |
In Venedig zeigt der heute 78jährige Bildhauer und Konzeptkünstler Arbeiten aus den Jahren 1975 bis 1986. In Aachen hingegen, im Ludwig Forum, wird er mit einer Einzelausstellung geehrt, die schon im Titel das trägt, was die Kunst von Franz Erhard Walter ausmacht: „Handlung denken.“
Walther (*1939 in Fulda) ist kein Unbekannter. In den 1960er Jahren wirkte er wie andere auch an den gesellschaftspolitischen Veränderungen mit. Er war ein Umstürzler, ein Rebell, der das Neue in der Kunst mit erfand. Sicher, mit jener entgrenzenden Zeit sind viele große Namen verbunden, allen voran der Kunstübervater Joseph Beuys, der sich übrigens eine blutige Nase während eines Happenings in Aachen holte, an dem auch Walther beteiligt war (mehr).
Franz Erhard Walther Drei Räume (aus der Serie „Wandformationen“),
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Es sollte nicht sein, was immer schon war: nach dieser Devise wurde gehandelt und was Walther betrifft, formuliert das ausstellende Haus, dass „... kaum ein Kunstschaffender die Definition, was Skulptur sein kann, derart frühzeitig und nachwirkend verändert (hat) wie er.“
Zur Ausstellung schreibt das Haus: „Ein schmaler Sockel aus Metall. Leer. Mitten im Museum. Ein Schritt nur und der Besucher könnte selbst zur Skulptur werden. Kunst, die sich erst durch den Menschen vollendet – daran arbeitet der Künstler Franz Erhard Walther seit rund 60 Jahren. Durch seine partizipativen Objekte und Textilskulpturen hat er das Verständnis von Kunst sowie das Verhältnis von Kunst und Betrachter einer grundlegenden Neubewertung und Erweiterung unterzogen. Den eigenen Körper, Zeit, Raum, Sprache oder Gestik – all diese 'Materialien' bezieht Walther bei seinen bildhauerischen Arbeiten oder Installationen mit ein. Der Betrachter soll dabei idealerweise aus seiner passiven Haltung heraustreten und zu einer intellektuellen, emotionalen und zum Teil auch physischen Auseinandersetzung mit Walthers Handlungsobjekten angeregt werden. Diese ist oft sogar unabdingbar, um die jeweilige Skulptur in ihrer Ganzheit 'geschehen' zu lassen.“
Franz Erhard Walther Zwei Boxen gegenüber, 1971, Sperrholzplatten, Baumwolle, 200 x 80 x 75 cm, Courtesy Galerie Jocelyn Wolff, Paris, Installationsansicht: ,Franz Erhard Walther: The Body Decides‘ at WIELS, Brüssel 2014, © Foto: Sven Laurent – Let me shoot for you 2014 / VG Bild-Kunst, Bonn 2017 |
Kunst, davon ist Walther auch nach sechs Jahrzehnten überzeugt, ist immer auch politisch. Anlässlich der Biennale äußerte er in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur: „Kunst an sich, als Manifestation von Freiheit, von Kreativität in Bezug auf den Menschen ist hochpolitisch, nicht parteipolitisch. Aber Kunst in einem freien, allein ästhetischen Raum gab es für mich nie, auch in der Geschichte nicht.“
In den 1960er Jahren wollte man die Kunst demokratisieren. Teilhabe war das Stichwort und Walther gilt heute als Pionier der sogenannten Partizipationskunst. Er verführt die Betrachter dazu, sich mit den gezeigten Objekten zu beschäftigen, sie anzufassen und sie über den haptischen Moment zu erfahren. Walther sieht den Betrachter, seinen „Rezipienten“, als „Werkvollenderer“. Wie das in diesen frühen Jahren ausgesehen hat, wird in der Aachener Ausstellung in einer Videodokumentation über seinen „1. Werksatz“, einer 58-teiligen Serie von Handlungsobjekten aus textilen Materialien, verdeutlicht. Dieser „1. Werksatz“ von Walther wurde übrigens 1969 im Museum of Modern Art, dem MoMA in New York, gezeigt.
Franz Erhard Walther Body Shape Bordeaux (aus der Serie „Körperformen“) 2006 – 2013. Eingefärbte Baumwolle und Schaumstoff, 30 x 130 x 225 cm, Courtesy Galerie Jocelyn Wolff, Paris. Installationsansicht: Galerie Jocelyn Wolff, © Foto: François Doury / VG Bild-Kunst, Bonn 2017 |
„Unter 'Handlungsobjekten' verstand Walther von ihm konzipierte Gegenstände, die Rezipienten dazu verleiten sollten, Handlungen zu vollführen. So konnte man sich die Objekte etwa umlegen, in sie hinein laufen, sich in sie legen oder auf sie stellen. Begleitet wurde der 1. Werksatz von über 5.000 Werkzeichnungen und Diagrammen, die als Wegweiser dienten, wie man sich den Gegenständen nähern kann. (...) So sollten die Benutzer zu Sensibilität gegenüber Materialität, Form und Volumina angeregt werden. Entsprechend dieser Grundidee lautete auch die erste Publikation von Franz Erhard Walther programmatisch OBJEKTE, benutzen (1968), nicht etwa Objekte betrachten. (...) Er stellte die Gleichung auf: erweiterter Kunstbegriff + Handlung (des Rezipienten) = Werk.“
Ausgehend von dieser grundlegenden Neudefinition des Kunstbegriffs durch Walther versammelt die Aachener Ausstellung „Handlung denken“ rund 70 Werke aus fast 60 Jahren künstlerischer Praxis. Mit Objekten beziehungsweise Installationen und zahlreichen Werkzeichnungen gibt die Ausstellung exemplarisch Einblicke in die Anfänge seines Schaffens. Darüber hinaus werden zwei von Walthers monumentalen textilen Wandarbeiten, Wandformationen (1969-1985) genannt, präsentiert. Obwohl die Benutzung vieler seiner Arbeiten aus konservatorischen Gründen heute nicht mehr möglich ist, entfalten diese noch immer maximale Wirkungskraft – oder mit Walthers Worten: „Der reale und imaginierte Gebrauch hat die gleiche Wirkung“.
ruwoi
Die Ausstellung „Franz Erhard Walther. Handlung denken“ ist bis zum 29. Oktober 2017 zu sehen.
Ludwig Forum
Jülicher Straße 97-109
52070 Aachen
Tel 0241/ 1807104
Öffnungszeiten
DI, MI, FR 12 - 18 Uhr
DO 12 - 20 Uhr
SA + SO 11 - 18 Uhr