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rheinische ART 07/2022

Archiv 2022

ERINNERUNGSKULTUR

Goya und die Kriegsgräuel


So schnell kann es Krieg ins Museum schaffen. In Wien zeigt die ALBERTINA Goya-Radierungen aus der Serie Die Katastrophen des Krieges und stellt ihnen Fotografien vom Krieg in der Ukraine gegenüber.

 

Francisco de Goya Los Desastres de la Guerra: Lo mismo – Dasselbe, 1812-1815,  Radierung, Aquatinta, ALBERTINA Wien. Bildquelle © ALBERTINA Wien

 

Die Verbindung beider Kriegsereignisse zeigt bemerkenswerte Parallelen. Zu Francisco de Goyas Werken ist ein historischer Rückblick wichtig. Napoleon Bonaparte erklärte sich 1804 zum Kaiser von Frankreich. Vier Jahre später begann er einen Eroberungskrieg gegen Spanien, schickte die dortigen Herrscher ins Exil und setzte seinen Bruder Joseph auf den Thron in Madrid. Das führte zu einem Volksaufstand und zwischen 1808 und 1813 und zu einem brutalen Unabhängigkeitskrieg, den spanische Guerillakämpfer gegen die größte Armee Europas führte.

     Vom Beginn des Krieges bis etwa 1820 arbeitete Goya (1746–1828) an 80 Drucken, die er Los Desastres de la Guerra (Die Katastrophen des Krieges) nannte. Das Bemerkenswerte an Goyas Arbeiten, die erst 1863 veröffentlicht wurden, also 35 Jahre nach seinem Tod: Statt heldenhafter Soldaten und glorreicher Schlachtenbilder hatte er krasse, ernüchternde Bilder von Brutalität, Gemetzel, Folterungen, Schändung von Frauen und Elend geschaffen.

 

Francisco de Goya Los Desastres de la Guerra: Se aprovechan - Sie machen sich’s zunutze, 1810-1812, Radierung, ALBERTINA Wien. Bildquelle © ALBERTINA Wien

 

Mykhaylo Palinchak Ohne Titel, Ukraine 2022. C-Print. Im Besitz des Künstlers © Mykhaylo Palinchak; Bildquelle © ALBERTINA Wien

 

Mykhaylo Palinchak Kiew, Ukraine 5. März 2022. C-Print. Im Besitz des Künstlers © Mykhaylo Palinchak; Bildquelle © ALBERTINA Wien

 

Das war in jenen Jahren völlig neu. Denn mit seinen Bildern enthüllte Goya den Schrecken des Krieges, von der Grausamkeit bei Einzelkämpfen bis zur Madrider Hungersnot, die ab 1812 über 20.000 Menschenleben forderte.

     Mit einer in der Kunstgeschichte beispiellosen Intensität vermitteln seine Drucke die Barbarei und Sinnlosigkeit des Krieges. Niemand, so zeigen die Werke, wird von der Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen verschont, und kein Tod ist glorreich. Das war vor 200 Jahren so und ist heute nicht anders.

 

Goya prangerte, wie es in der ALBERTINA heißt, auch seine eigenen Landsleute an. Etwa die nicht minder abscheulichen Verbrechen der Spanier, die Kaltherzigkeit Begüterter gegenüber Sterbenden, die Frauen, die zu mordenden Furien werden, und die verlogene Frömmelei des Klerus. Goyas Kritik richtete sich somit allgemein gegen die Sinnlosigkeit des Krieges und seine Folgen. Nie, so betonen die Ausstellungsmacher, hat ein Künstler dies eindringlicher zum Ausdruck gebracht.

 

Warum die Druckserie zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht wurde, ist bis heute unklar. Vermutet wird, dass der Künstler befürchtete, dass seine Radierungen politisch gefährlich sein könnten oder die kriegesmüde Nation sie nicht sehen wollte.

     Auf jeden Fall enthüllte auch das späte Erscheinen ein Thema, das in der Kunst des 20. Jahrhunderts weiterhin zum Ausdruck kommen sollte: das Leiden der Zivilbevölkerung, wenn ein Krieg nicht auf ein Schlachtfeld beschränkt bleibt.

 

Mykhaylo Palinchak Borodyanka, Ukraine, 6. April 2022. C-Print. Im Besitz des Künstlers © Mykhaylo Palinchak; Bildquelle © ALBERTINA Wien

 

Dies zeigt sich aktuell in der Ukraine. Seit Ausbruch des Krieges dort im Februar 2022 dokumentiert der Fotograf Mykhaylo Palinchak (*1985) die Zerstörung seiner Heimat und die Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft und Infrastruktur.

     Die Bilder der Ruinen von Wohnblöcken, der Toten und Überlebenden, von Menschen auf der Flucht und jenen, die vor Ort geblieben sind, überliefern eindrücklich die unmittelbaren Folgen der Kämpfe. In der ALBERTINA sind rund 40 aktuelle Kriegsfotografien Palinchaks zu sehen, der sich wiederholt mit einschneidenden politischen Entwicklungen in der Ukraine auseinandergesetzt hat.
     Palinchak arbeitet landesweit. In seinen Fotografien erzählt er die Geschichte von Land und Leuten und wirft dabei auch einen scharfen, oftmals kritischen Blick auf die Menschen. Seine Serien dokumentieren Landschaften der ehemals beliebten Erholungs- und Kurorte an der Küste des Asowschen Meeres, das Dorf Schyrokyne in der Region Donezk, Tschernobyl, Solotwyno sowie das Zentrum von Kiew.

     Das Gesamtbild, das er festhält, gewährt dem Betrachter einen erschütternden Einblick in das Leben der ukrainischen Bevölkerung, betont das Museum. Goyas Los Desastres de la Guerra aus dem frühen 19. Jahrhundert belegen ebenso wie die Fotografien Mykhaylo Palinchaks die universelle Brutalität des Kriegsgeschehens sowie das Leid der Zivilbevölkerung.
rART/K2M


Die Ausstellung Die Schrecken des Kriegs Goya und die Gegenwart wird bis zum 21. August 2022 gezeigt.
Galerie der Basteihalle ALBERTINA
Albertinaplatz 1
1010 Wien
Tel +43 (01) 534830
Öffnungszeiten
Täglich 10 – 18 Uhr
MI + FR 10 – 21 Uhr

 

 

 

 

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